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Max Bottini: Mobile Kleinstküche

Max Bottini, "Mobile Kleinstküche", 2002, Aluminiumwagen mit Küchenausstattung für 2 Personen, 60 x 67 x 90 cm
Max Bottini, "Mobile Kleinstküche", 2002, Aluminiumwagen mit Küchenausstattung für 2 Personen, 60 x 67 x 90 cm

Herstellungsjahr: 2002

Technik: Aluminiumwagen mit Küchenausstattung für 2 Personen

Masse: 60 x 67 x 90 cm

«Ich tummle mich auf einem dieser üppigen exotischen Märkte, fernab der Heimat. Animierend, verführerisch und reich das Angebot. Auge und Nase werden auf das Äusserste gereizt. Quälend die Gewissheit, keine der buntschimmernden Goldbrassen nach Hause mitnehmen zu können; sie beidseitig kreuzweise mit einem scharfen Messer einzuritzen, mit einer ausgedrückten Knoblauchzehe einzusalben, mit Salz und Pfeffer zu würzen, mit Olivenöl zu beträufeln, um sie danach im Backofen bei 180° C lind zu garen. Es darf nicht sein, denn ich bin unterwegs, auf Reisen, bar jeder Möglichkeit, wenigstens kochend, meine Sinneslust zu befriedigen. Jetzt eine Küche herzuzaubern, nur so klein, dass sie in einen Koffer passen täte, nur das würde meine aufgewühlte Seele wieder ins Lot bringen. – Das habe ich mir gewünscht, und mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Seit Kurzem bin ich stolzer Besitzer einer mobilen Kleinstküche.» Max Bottini

Die Arbeit "Mobile Kleinstküche" von Max Bottini besteht aus einem gerade mal 60 cm breiten, 67 cm langen und 90 cm hohen Aluminiumwägelchen, das ähnlich wie ein Bürotrolley leicht vom Ort zu Ort verschoben werden kann. Das Innere der Kiste birgt ein ausgeklügeltes Arsenal an Küchenutensilien. Da gibt es einen Kocher mit zwei Gasbrennern, befeuert von einer Gasflasche (inklusive einer Reserveflasche), zwei Klappstühle mit Lehne, dann je zwei flache Teller, Suppenteller, Trinkgläser, Kaffeetassen, grosse Tassen und zwei vollständige Bestecksätze. Es gibt Behälter für Gewürze, für Zwiebeln, Knoblauch, Rüebli, dann Rüstmesser, Schneidebrett, Holzkellen und -spachtel, Röstiraffel, Käseraffel und natürlich Kochtöpfe und Bratpfannen sowie einen 10 L Wassersack, ja, selbst eine kleine Bialetti-Kaffeemaschine und eine Salatschleuder fehlen nicht. Und weil nach dem Essen auch aufgeräumt werden will, findet sich im Wagen zudem Küchenpapier, ein Schwamm, ein Handtuch und zu guter Letzt sogar ein Abfallsack. Der Wagen ist so konzipiert, dass er bequem in allen öffentlichen Verkehrsmitteln transportiert werden kann: ultraleicht, treppentauglich und gut lenkbar. Er enthält alles, was der Künstler benötigt, um an irgendeinem Ort unterwegs ein Gastmahl für zwei Personen zuzubereiten und zu geniessen.
Max Bottini benutzte diese mobile Kleinstküche zwischen 2002 und 2008 für sein Performanceprojekt "Tisch", das ihn nicht nur durch die ganze Schweiz, sondern sogar bis nach Kopenhagen führte. Über vierzigmal machte sich der Künstler auf die Reise, baute seine Kleinstküche auf Bahnhöfen, in einem Radiostudio oder in Schulen, ja, einmal sogar in der Bergstation der Säntisbahn auf, um da für eine zufällig anwesende und von ihm eingeladene Person ein Essen zuzubereiten. Die Koch- und Essaktionen dokumentierte der Künstler jeweils mit einem auf einem Stativ montierten Fotoapparat, der in regelmässigen Abständen das Geschehen festhielt. Zusätzlich führte er «Aktionsprotokolle», in denen er jeweils nach jedem Essen den Inhalt der geführten Gespräche stichwortartig festhielt. Die Notizblätter ebenso wie Fotodokumentationen sind im Besitz des Kunstmuseum Thurgau.
Mit der Aktion "Tisch" überführte Max Bottini den Prozess des Kochens und Essens in den öffentlichen Raum. Da der Mittagstisch auf dem Bahnperron oder auf der Seepromenade stand, konnte jede Passantin, jeder Passant den Akteuren in die Kochtöpfe und die Teller schauen. Das intime tête à tête wurde so zur Performance, zum Kleinsttheaterstück, in dem persönliche Geschmacksvorlieben plötzlich für alle sichtbar realisiert und verhandelt wurden. Das aufgeführte Stück wandelte sich dabei immer wieder, bestimmt durch die vor Ort eingekauften Lebensmittel und die eingeladene Person.
Die Kochperformances waren weit mehr als ein aktionistisches Unterhaltungsangebot für ein Kunstpublikum. Max Bottini beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit künstlerischen Mitteln intensiv mit allem, was das Essen anbelangt. Er thematisierte in zahllosen Aktionen und Ausstellungen die Produktion und die Zubereitung von Nahrungsmitteln, die gesellschaftliche Bedeutung des Tafelns, die Möglichkeiten der Gespräche bei Tisch oder die Kultivierung aller Sinne, die mit Kochen und Essen einhergehen. In seinen Augen bildet das Essen und alles, was damit verbunden ist, eine der zentralen Kulturleistungen des Menschen. Mit Aktionen, Kunstwerken und Ausstellungen spürt er so seit 1991 den Fragen nach, welche ästhetischen Möglichkeiten im breiten Feld der Nahrungsmittelproduktion und -zubereitung enthalten sind, wie sich Riechen, Schmecken, Spüren und Schauen zu einem umfassenden Gesamtkunstwerk verbinden lassen.
Mit der Übernahme der mobilen Kleinstküche in die Sammlung des Kunstmuseums Thurgau verwandelt sich das Performanceinstrument in eine Skulptur, die nur noch in Ausnahmefällen in ihrer ursprünglichen Funktion eingesetzt werden wird. Als Skulptur auf den Sockel in den Museumsraum gestellt, verweist die mobile Kleinstküche nicht nur auf die stattgefundenen Aktionen des Künstlers, sie wird auch zu einem Dokument des Wandels der Kunstauffassung im frühen 21. Jahrhundert: Kunstwerke sind heute immer weniger Objekte einer reinen Anschauung, einer kontemplativen Betrachtung. Kunstwerke werden vermehrt verstanden als ein Instrument einer beiderseitigen Interaktion zwischen Künstlerinnen/Künstlern und dem Publikum. Kunstwerke sind Katalysatoren von offenen Prozessen, in denen es um die Überprüfung von Wahrnehmungsmöglichkeiten und Erfahrungen geht. (Text: Markus Landert)

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