Direkt zum Inhalt springen
  • Drucken
  • Sitemap
  • Schriftgrösse

Bernhard Schiesser: Boxenstopp. Eingriff 2

4. Mai 2003 – 7. September 2003

Schiesserportraet
Berhard Schiesser in seinem Atelier in der Degenau © Kunstmuseum des Kantons Thurgau
Das malerische Schaffen von Bernhard Schiesser thematisiert Bildkonstruktion und Farbe. Der Künstler besetzt rechteckige Flächen oft grossflächig mit satten, schweren Farbtönen, welche zu ausgewogenen Kompositionsfeldern zusammengeführt werden. Die Bildproduktion ist dabei ein langsamer Prozess. Die Farben werden Schicht auf Schicht aufgetragen, so dass es zu gleichsam tektonischen Farbüberlagerungen kommt. Meist bilden zahlreiche übermalte Farbkonstellationen den Untergrund eines sichtbaren Bildes und bestimmen dieses wesentlich mit. Obwohl übermalt sind die verschwundenen Bildkonstruktionen im sichtbaren Bild noch präsent, bleiben sie bei genauer Betrachtung sichtbar. Jedes Einzelbild trägt so in Andeutungen seine Vorgänger mit.

Für den Bernhard Schiesser ist der „Öschinensee“ von Hans Brühlmann eines der interessantesten Werke in der Sammlung des Kunstmuseums. Mit seinem Eingriff in die Ausstellung „Boxenstopp“ stellt Schiesser diesem herausragenden Werk des bedeutenden Malers seine eigenen Bilder direkt gegenüber und provoziert damit einen Vergleich über die Jahrzehnte hinweg.

Hans Brühlmann (1878 - 1911) gehörte in der Ostschweiz und im süddeutschen Raum im frühen 20. Jahrhundert zu den auffälligsten Künstlerpersönlichkeiten. Aufgewachsen in Kreuzlingen und im Toggenburg, erhielt der Maler an den Akademien in Stuttgart und München eine fundierte Ausbildung. Bald folgten die Teilnahme an wichtigen Ausstellungen und Aufträge für öffentliche Bildwerke. Hans Brühlmann war Teil einer innovativen Bewegung, die an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert die Grundwerte der Kunst neu zu bestimmen versuchten. Getragen von der Lust am Ornamentalen des Jugendstils und der Aufbruchsstimmung des jungen Jahrhunderts suchten die Künstler nach neuen, verbindlichen Konstruktionsprinzipien für ihre bildnerische Tätigkeit.

Im monumentalen Bild „Öschinensee bei Kandersteg“ aus dem Jahre 1905 gelingt Hans Brühlmann eine irritierende Landschaftskonstruktion an der Grenze zur Abstraktion. Die Seenlandschaft präsentiert sich als schroffe Szenerie, der jede Lieblichkeit abgeht. Grau- und Brauntöne dominieren. Vorder-, Mittel- und Hintergrund sind stark flächig gehalten. Nur vereinzelte gegenständliche Bildelemente wie eine Alphütte oder ein Baum verweisen noch auf die Abbildlichkeit des Gemäldes, wodurch das Bild zu einem irritierenden Seherlebnis mit unbestimmter Räumlichkeit wird. Nur wer sich bewusst ist, dass Wassily Kandinsky erst 1912 das erste gänzlich abstrakte Bild der Kunstgeschichte malte, kann die Radikalität dieses Werks von Hans Brühlmann ganz würdigen.

Die Gegenüberstellung der gegenstandslosen Bildkonstruktionen von Bernhard Schiesser mit dem Landschaftsbild von Hans Brühlmann schafft für beide Werke einen gleichermassen anregenden, neuen Kontext. Zwei rund hundert Jahre auseinander liegende Recherchen in Bereich der Malerei treffen unmittelbar aufeinander. Verschiedene Sehweisen und Konstruktionsprinzipien lassen sich in direkter Gegenüberstellung vergleichen. Dadurch wird einerseits das Werk eines der bedeutensten Thurgauer Malers des letzten Jahrhunderts nach seiner Aktualität befragt. Andererseits wird sichtbar, dass auch scheinbar wurzellose Entwicklungen der heutigen Malerei in einen historischen Kontext gestellt werden können, der weit bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen kann.

Biografie

open positions