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Karolin Bräg: Boxenstopp: Eingriff 3

25. Mai 2003 – 7. September 2003

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Karolin Bräg, "Mir gefällt's recht gut da", 2003.
Bereits seit Jahren lädt das Kunstmuseum des Kantons Thurgau immer wieder Künstlerinnen und Künstler zu Arbeiten ein, die die Besonderheit der Kartause Ittingen reflektieren und gleichzeitig zeitgenössische Ausdrucksformen der Kunst modellhaft realisieren. Arbeiten von Jenny Holzer, Joseph Kosuth, Jochen Gerz oder Janet Cardiff sind Beispiele solcher Eingriffe in das gewachsene Ensemble von Bauten und Inhalten. Im Rahmen der Ausstellung „Boxenstopp“ wurde Karolin Bräg eingeladen, eine Arbeit in und für die Kartause Ittingen zu realisieren. Die Münchner Künstlerin hatte bereits früher verschiedene ortsbezogene Projekte realisiert.

Die Basis für den künstlerischen Eingriff in der Kartause Ittingen bildeten Gespräche von Karolin Bräg mit über sechzig Personen auf der Klosteranlage. Die Künstlerin liess sich im Schneeballsystem von einer Person zur nächsten weiterreichen, um so im Laufe der Zeit Einblick zu gewinnen in alle im ehemaligen Kloster vertretenen Arbeits- und Lebensbereiche. Die Gespräche orientierten sich an der Frage „Warum bin ich hier?“. Die Antworten waren so unterschiedlich wie die Menschen auf der Anlage. In ihnen spiegeln sich nicht nur der Vielfalt aktueller Tätigkeiten im Kloster sondern auch die unterschiedlichsten Vorstellungen, was das Kloster heute ist und welche Bedeutung es für die einzelnen Personen hat.


Die Künstlerin fügte ihre Besprächsnotizen zu einer wohlgeordneten Dokumentation zusammen. Diese wird allerdings versiegelt der Bibliothek in Ittingen übergeben. An die Öffentlichkeit gelangen aus jedem Gespräch lediglich eines oder vielleicht zwei Zitate, die in einer kleinen Publikation zusammengefasst sind. Diese Gesprächssplitter sind die Essenz aus dem stundenlangen Reden und Zuhören, Konzentrat und Verdünnung gleichermassen. Wie in einem Echo klingen hier die Gespräche über den Ort und die Frage: „Warum bin ich hier?“ nach.

An der Zusammenstellung der Zitate ist nichts zufällig. Beim blätternden Vorwärtslesen entwickelt sich ein vielfältig schillerndes Bild eines Ortes mit all seinen Facetten und Widersprüchen. Es handelt sich dabei nicht um eine der „offiziellen“ Darstellungen des Klosters. Wohl klingen die Leitmotive des Ortes vielfältig an. Allerdings nur als Kommentare der Mitarbeitenden, als Wertungen und Reaktionen auf die vorgegebenen Ideale. Im Buch entwickelt sich so quasi eine Innenansicht des Ortes, die die äusseren Ansichten kommentiert und verfeinert. Wer dieses Buch als imaginären Reiseführer durch die Kartause nutzt, wird den Ort auf ganz neue und differenziertere Art und Weise erleben können. Das Kloster wird zu einem Ort gelebten Lebens, in dem Vergangenheit und Gegenwart gleichermassen präsent sind.

Diese Innenansicht eines Ortes ist nicht nur für Freundinnen und Freunde der Kartause von Interesse. Als Kunstwerk verstanden skizziert die Arbeit von Karolin Bräg modellhaft einen Weg, wie die Kunst in einer Gesellschaft der Bilderflut und der Werbung präzis agieren kann. Karolin Bräg zeichnet keine eigenen Bilder der Kartause mehr. Im Kern ihres Projektes stehen Kommunikationsakte: das Gespräch mit einigen wenigen Gesprächspartnern auf der einen Seite, das Lesen der Zitate durch ein interessiertes Publikum auf der anderen Seite. Die Künstlerin ist in beiden Fällen Katalysatorin einer offenen Auseinandersetzung mit einem Ort, seinen Bildern, den mit ihm verbundenen Vorstellungen. Ihr Agieren schafft Räume für Sichtweisen, die weder objektiv sein müssen noch durch irgendwelche Richtlinien geleitet werden. Karolin Bräg öffnet so Bereiche des freien Denkens und des offenen Gesprächs.

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