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Helen Dahm: Ohne Titel

Helen Dahm, ohne Titel, 1933, Abklatschtechnik, Kunstmuseum Thurgau

Herstellungsjahr: 1933

Technik: Abklatschtechnik

Masse: 75 x 94

1933 malt Helen Dahm eines ihrer seltenen Aktbilder. Es zeigt eine menschliche Figur, die wie losgelöst von der materiellen Welt, vor weissem Hintergrund frei im Bildraum schwebt. Die Beine sind leicht angewinkelt, der Knöchel ist von einer Hand umfasst. Blaue Augen leuchten unter einem Pagenkopf hervor, in die Ferne blickend und doch in die eigene Gedankenwelt versunken. Der Frauenkörper wirkt androgyn, zwar eindeutig weiblich, aber seltsam körperlos.

Die Körperform ist nicht gemalt, sondern im Abklatschverfahren entstanden. Dabei wird die nasse Farbe stempelartig aufgebracht oder durch das Aufpressen eines Papiers auf der Fläche verrieben und wieder abgetragen. So entstehen durchlässige Strukturen, deren Form auch durch den Zufall bestimmt ist. Der Akt und die dafür verwendete Technik sind ein gutes Beispiel für die Experimentierfreude von Helen Dahm. Die Lust am Experiment, insbesondere am Abklatsch, teilte sie mit ihren Zeitgenossen, zum Beispiel den Surrealisten.
Doch wieso stellt Helen Dahm diesen Frauenkörper so fragil und entrückt schwebend dar?

Das Gemälde ist 1933 entstanden – im Jahr zuvor hatte sich die damals 54-jährige Helen Dahm nach über 30 Jahren von ihrer Lebensgefährtin Else Strantz getrennt. Für die Künstlerin begann eine schwierige Zeit der Neuorientierung. Schon früher hatte Helen Dahm unkonventionelle Entscheidungen getroffen: Als sie Ende des 19. Jahrhunderts als Frau den Weg einer Künstlerin einschlug, als sie 1906 den Kontakt zur Familie abbrach, um mit Else Strantz nach München zu gehen, und als sie 1913 zurück in Zürich eine Atelierwohnung bezog, um dort mit Else in einer lesbischen Beziehung zu leben. Alle diese Entscheidungen forderten sie in ihrer Selbstdefinition als Frau heraus. Die grosse Zahl an Selbst- und Frauenporträts zeugt von einer lebenslänglichen Auseinandersetzung mit der Frage nach der eigenen Identität.

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