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Roman Signer: Tropf

Tropf
Roman Signer: Tropf, © Kunstmuseum Thurgau, Fotografie Stefan Rohner
Tropfdetail
Roman Signer: Tropf, © Kunstmuseum Thurgau, Fotografie Stefan Rohner
1Tropf
Roman Signer: Tropf © Fotografie Stefan Rohner

Herstellungsjahr: 1985

Technik: Konstruktion aus Pressspanplatten mit Plexiwanne und Tropfmechanismus

Masse: 230 x 300 x 300

Die Installation "Tropf" wurde von Roman Signer 1985 für eine kleine Ausstellung im Kunstmuseum des Kantons Thurgau entwickelt. Nach der Ausstellung wurden die Materialien im Keller eingelagert. Erst 2002 erwarb das Museum die Installation, die zu den wenig bekannten Arbeiten des Künstlers zählt.

Was ist zu sehen?

Auf die schnelle ist nicht viel zu sehen: In einem Eckzimmer des Kreuzganges des Klosters Ittingen steht ein einfaches quadratisches Häuschen aus Pressspanplatten. Drinnen brennt am Boden unter einer Plexiglaswanne eine Glühbirne. Ansonsten ist der Raum im Raum leer. Auch das äussere des Raumes ist unspektakulär. Die Konstruktion aus Pressspanplatten wirkt wie ein Geräteschuppen. Er ist funktional aus grossen Platten gezimmert, die oben durch zwei Balken verstärkt sind.

In dieser Leere und Stille ist ein schwacher, regelmässiger Laut zu hören: Im Häuschen fallen Tropfen von der Decke in die Plexiglaswanne, unter der die Glühbirne brennt. In einer kleinen Fontäne, einem Spritzer trifft der Tropfen unten in der Wanne auf und wirft kleine Wellen. Das helle Licht zwingt den Blick nach oben. An der Decke zeichnet die Wasserschatten der Tropfen opake, konzentrische Lichtkreise, die sich ausbreiten und wie Wellen an den Rändern verebben.
Nach einigen Sekunden fällt ein nächster Tropfen: Das Wellenspiel beginnt von neuem.

Material

Die Werke Signers verzichten darauf, einen gefälligen Eindruck zu machen. Signer verwendet in seinen Arbeiten Gegenstände und Materialien aus dem alltäglichen Gebrauch: Sperrholz, Sand, Wasser, Tische, Fässer, Eimer, Spielzeughelikopter, Zeitungen.... . Farbe und Form der Materialien werden meist unverändert benutzt. Das Triviale, Alltägliche wird ins Rampenlicht der Kunst gestellt und so einer bewussten Wahrnehmung zugeführt. Dabei wird allerdings schnell klar, dass nicht das Material, nicht seine vermeintlich feststehenden Formen und Eigenschaften der Inhalt der Arbeiten von Roman Signer sind. Die verwendeten Materialien und Dinge sind nur Instrument, um Prozesse auszulösen und sichtbar zu machen. Es ist die Veränderbarkeit der Dinge und der Moment der Veränderung, die in Signers Arbeit im Zentrum steht.

Zeit

Jedes Material verfügt über ein eigenes Energiepotential und verhält sich auf je verschiedene Weise zur Zeit. Signer selbst teilt seine Arbeiten in Kategorien der Geschwindigkeit ein. Er unterscheidet zwischen schnellen, mittleren und langsamen Werken.
In der Installation “Tropfen” werden – fast wie in einem wissenschaftlichen Experiment - Zustandsänderungen von Wasser untersucht: Der Tropfen formt sich träge, fällt dann rasch und vereint sich spritzend aufschlagend und Wellen werfend mit der Wasserfläche. Wasser trägt in sich das Potential langsamer Stetigkeit, aber auch die Wucht plötzlicher Ausbrüche. Dieses Umschlagen von Potentialen fasziniert Signer auch an Sprengmaterialien und Raketen: Das langsame Brennen der Zündschnur verursacht die schnelle Explosion.

Signers Werke sind Zeitskulpturen: Im Zentrum steht der Prozess in Raum und Zeit, nicht das statische Objekt. Während sich in der Installation “Tropfen” der Prozess ständig wiederholt und immer wieder beobachtet werden kann, bleiben in den Aktionen mit Sprengmaterialen nur die Relikte von Handlungen übrig: Rauchspuren, zerstörte Gegenstände. Oder aber Aufzeichnungen in Form von Filmen oder Fotografien.
Der Wunsch, die flüchtigen Prozesse zu bannen, deutet sich in der Installation “Tropfen” an: Sie ähnelt in ihrem Aufbau einer paradoxen Camera Obscura, in der das Licht von innen her strahlt und der Bildspender (der Tropfen) von aussen durch ein kleines Loch dringt.

Natur

Wasser ist neben den Elementen Feuer, Luft und Erde einer der wichtigen Werkstoffe Signers. Schon 1972 sammelte Signer einen Monat lang jeden Tag die Regenmenge in kleinen Plastiksäcken, die er verschweisste und als “Regenkalender” aufhängte. Vom Wasser als augenscheinlich “weichem” Element führt eine direkte Linie zu den Sprengungsarbeiten der 80er Jahre. Die erste Sprengung fand bereits 1974 ohne Sprengstoff statt. Ein trichterförmig aufgehängtes Plastiktuch fing Regenwasser auf und leitete es durch einen Schlauch in einen Gipswürfel. Nach einigen Tagen brach dieser durch den Wasserdruck in seinem Inneren auseinander.

Physikalische Prozesse wie Schwerkraft, Druck, Verdunstung, Geschwindigkeit sind in allen Arbeiten Signers die eigentlich schöpferischen Kräfte - Signer selbst tritt nur als Auslöser auf. Dennoch geht es nicht um das blosse Aufzeigen physikalischer Gesetzmässigkeiten. Denn gerade die spröde Ökonomie der Mittel und die leicht zu durchschaubaren Vorgänge schaffen den Raum für ein imaginäres Spiel im Kopf des Betrachters.

Experiment

Innerhalb des Pressspanplattenbaus sind - genau wie in einem naturwissenschaftlichen Experiment - alle Ursachen und Wirkungen genau kalkuliert: Die Kanüle sitzt genau in der Mitte der Decke, die Glühbirne genau darunter, die Plexiglaswanne ist genau so gross, dass sie die Wellenbewegung des Tropfens nicht einengt. Zufällig ist nur der Wasserfleck an der Decke, der dem eiligen Betrachter als erstes ins Auge sticht.
Signers Installation stellt dem Wasser eine Falle: Das an sich durchsichtige, formlose und flüchtige Element wird “aufgefangen” und zeichnet sich für kurze Zeit an Decke und Wände. Die Installation wirkt als Hilfsmittel der Wahrnehmung, als Apparat, der die Spur einer unscheinbaren Bewegung verstärkt wiedergibt.
Der spröde Gestus des naturwissenschaftlichen Experiments bricht mit traditionellen Vorstellungen vom Künstler als originalem Genie: Die Installation “Tropfen” wurde 1998 nach Plänen des Künstlers mit den originalen Materialien wieder aufgebaut, ohne dass Signer selbst mit Hand angelegt hätte. Handwerkliches Geschick und technisches Wissen verlieren für den Künstler an Bedeutung und können delegiert werden. Tatsächlich könnte das “jeder selbst machen”, so wie ein wissenschaftliches Experiment jederzeit nachvollziehbar sein muss. Wichtig ist im Sinne der Konzeptkunst die Idee, oder anders ausgedrückt, die Experimentanordnung.

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