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Messmer, Dorothee

Adolf Dietrichs Fotografien und ihre Bedeutung für die Malerei

Bisher waren sie vor allem als Gemälde bekannt, die Bilder aus seinem Heimatdorf Berlingen, die Adolf Dietrich über fünfzig Jahre lang in seiner Wohnstube am Esstisch sitzend festgehalten hatte. Der Blick auf den Bodensee mit den Hügeln der gegenüberliegenden Höri im Hintergrund, der Steg hinter dem Wohnhaus, in dem er lebte und malte, die heimatlichen Hügel mit Juhe, Funkenplatz und Schienerberg hatte der Thurgauer Kleinbauer zum Inhalt seiner Werke gemacht. Daneben interessierte ihn auch die unmittelbare Nachbarschaft im Dorf selbst, das barocke Gärtchen des gegenüberliegenden Wohnhauses, die Dorfchilbi (Kirmes) oder Strassenszenen und Ereignisse aus dem Leben seiner Mitbewohner. Nicht zu vergessen die Porträts von Nachbarn, Freunden und Bekannten, von Kindern, Männern und Frauen. Auch Tiere dienten dem Maler als Modelle, allen voran die Vögel, aber auch Meerschweinchen und Eichhörnchen, Katzen, Hunde, Mäuse, Marder und Iltisse. Bereits 1942 stellte Karl Hoenn in der ersten Monografie über Adolf Dietrich fest: „Die kleine Welt, die sich in den ersten Skizzenbüchern Dietrichs mit dem ganzen stofflichen Umkreis seines späteren Schaffens auftut und Form zu suchen beginnt, ist umschlossen in dem Worte Berlingen – am Untersee.“
Über Adolf Dietrichs Werk ist schon viel geschrieben worden. Auch die Skizzen, die für seine Ölbilder als Vorlagen dienten - Zeichnungen und Pastelle - waren schon zu seinen Lebzeiten bekannt und wurden nach dem Tod des Künstlers eingehend auf ihre Bedeutung hin untersucht. Anders verhält es sich aber mit den Fotografien aus dem Nachlass des Künstlers. Obschon sie dieselben Themen ins Zentrum stellen und schon lange bekannt ist, dass Dietrich sie ebenfalls als Vorlagen für seine Bilder verwendete, waren sie nur einem kleinen Publikum bekannt. Mit den nun aufgearbeiteten fotografischen Beständen ist es erstmals möglich, die Ölbilder und Fotografien einem direkten Vergleich zu unterziehen. Der folgende Beitrag untersucht denn auch die Verbindungen der Fotografien mit dem Werk von Adolf Dietrich und fragt nach deren Bedeutung für die Malerei.
Dietrichs Werkstatt
Dass Dietrichs Tätigkeit, entgegen früherer Auffassungen, nicht kindlich rein und
„unverbildet“ aus seinem Innersten heraus entstand, sondern Ergebnis einer arbeitsintensiven und sorgfältig recherchierenden Tätigkeit im Sinne eines mittelalterlichen Kleinmeisters war, ist mittlerweile bekannt. Die Arbeitsweise des Künstlers ist zu vergleichen mit der eines Handwerkers in seiner Werkstatt, eingerichtet zum Zweck, Gemälde herzustellen und diese anschliessend zu verkaufen. Themen und Inhalte für seine Bilder suchte Dietrich in seiner Umgebung und erstellte vor Ort geeignete Vorlagen, die er anschliessend am Esstisch in seiner Wohnstube bildnerisch umsetzte. Neben lebenden Modellen, Menschen und Tieren, sowie Tierpräparaten und Objekten, die er ab Original malte, dienten ihm Zeichnungen, Skizzen, Pastelle und Fotografien als Vorlagen. Zuweilen zog er auch Postkarten, Drucke oder Stiche hinzu oder kopierte eigene, bereits gemalte Bilder mittels Pausen.
Die Bedeutung der Zeichnungen in Dietrichs Werk ist schon früh untersucht worden. Dies hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass ihre Nutzung seit Beginn bekannt war und einige von ihnen der grossen Nachfrage wegen auch in den Handel gelangten. Der Maler zeigte sie bereitwillig seinen Besuchern und verwendete die Büchlein auch als „Musterkataloge“, die er der Kundschaft bei Bedarf zur Auswahl auch mit nach Hause gab.
Hans Buck schrieb 1968: „Immer wieder kam es vor, dass ausser dem Bild und einigen Malutensilien ein Skizzenbuch auf dem Tisch lag, schon aufgeschlagen, mit dem Motiv der begonnenen Arbeit. In diesen Fällen leitete Adolf Dietrich die immer lebendige Unterhaltung damit ein, dass er den Besucher auf die aufgeschlagene Zeichnung hinwies und dann erzählte, wie es an jenem Tag, als er sie gemacht hatte, schön gewesen sei, die Wiesen im Vordergrund ganz hellgrün, der See blau usf. Daran schloss sich ein Weiterblättern in dem Skizzenbuch und ein erläuterndes Erzählen an.“
Die Fotografien im Nachlass
Wie steht es aber mit den Fotografien? Über den Bereich der fotografischen Tätigkeit Dietrichs ist bis in die Neunziger Jahre wenig geschrieben worden. Karl Hoenn wies zwar in seiner 1942 erschienenen Monografie bereits auf die Zeichnungen und Skizzenbücher hin. Die Fotografien erwähnte er jedoch nicht, obwohl Dietrich in diesen Jahren bereits häufig nach Fotografien gemalt hatte. Hans Buck schrieb 1968: „Die Zeichnungen und Skizzenbücher hören mit der Zeit auf, etwa Mitte der 30er Jahre. Nun nahm Dietrich den Photoapparat zu Hilfe und photographierte die Motive, welche ihn für Bilder interessierten. Die Gedächtnisstütze für Bildmotiv und Bildaufbau war auch mit der Photographie gegeben.“ Dabei musste Dietrichs Nutzung der Fotografie auch gegen kritische Stimmen verteidigt werden. Heinrich Ammann schrieb 1977: „In späteren Jahren hat er dazu auch Photographien zu Hilfe genommen – was auch Henri Rousseau, Picasso, Vallotton und andere getan haben. Eine solche Stütze mag gelegentlich die Ausführung etwas beeinflusst haben; die aus der unmittelbaren Anschauung geborene Bildvision jedoch konnte sie nicht beeinträchtigen.“
Im Dietrichjahr 1994 erfolgten zwei wichtige Schritte. In Zusammenhang mit der Ausstellung „Adolf Dietrich. Seine Themen – sein Leben“ im Kunstmuseum Thurgau wurde der fotografische Nachlass durch Kurt Schmid erstmals einer Sichtung unterzogen und im Katalog eingehend besprochen. Er stellte fest: „Unzweifelhaft besteht eine Parallele zwischen den Bildmotiven Dietrichs als Maler und als Fotograf. Die Fotos aber einfach als Malvorlage zu sehen, hiesse, eine spannende Geschichte unzulässig zu reduzieren. Dietrich hat in den Dreissiger Jahren und vorab in den Vierzigern nicht ‚ab Foto’ gemalt, auch wenn ihm nachweislich viele Aufnahmen als Vorlagen gedient haben. Vielmehr zeigt sich, dass Adolf Dietrich mit seinen Fotografien bildnerische Arbeit geleistet hat.“ Im selben Jahr untersuchte Christoph Vögele die Funktion der Fotografien erstmals eingehend und mass ihr im neu erschienenen, umfassenden Oeuvrekatalog einen neuen Stellenwert zu. Vögele kam zum Schluss, dass sich „Dietrichs ungewöhnliches Kompositionstalent durch die Photographie zusätzlich hatte entfalten können“ und dass „der Einsatz photographischer Vorlagen in keiner Weise Dietrichs künstlerischen Rang mindert.“ .
Die Briefe des Malers und seiner Korrespondenzpartner haben schliesslich zu weiteren Erkenntnissen geführt. So können wir heute davon ausgehen, dass Dietrich seine selbst fotografierten Kontaktabzüge bereitwillig seinen Kunden zeigte und sie ihnen zur Auswahl aushändigte. Der Brief von Esther Bürkli zeigt, wie aus verschiedenen Fotografien geeignete Bildinhalte ausgewählt werden konnten:
„Zürich, 20. März 1934. Sehr geehrter Herr Dietrich, Ihren liebenswürdigen Brief und die Photos habe ich erhalten. Das gewählte Sujet habe ich mit ‚gewählt’ bezeichnet. Daran möchte ich folgendes vorschlagen: Den Landstreifen des anderen Ufers etwas höher zu halten, und wie in Föhnstimmung gut sichtbar. Bei der Baumgruppe rechts den Bretterverschlag zwischen den Mäuerchen weglassen. Ob Sie finden, dass die Telefonstangen und eventuell etwas zuviel Vordergrund stören? Ich überlasse das ganze Ihnen. Auf keinen Fall bitte das Schiff entfernen im See, das gefällt mir ausgezeichnet. Ich bin grosse Liebhaberin von Fischerbooten wie auf dem Bild mit x bezeichnet sichtbar. Vielleicht liesse sich ein solches in der Seezunge anbringen oder im Vordergrund. (...)“
Trotz der neuen Erkenntnisse bleiben aber viele Fragen offen. Welche Zusammenhänge lassen sich zwischen den Fotografien und der malerischen Tätigkeit herstellen? Geben Vergleiche von Dietrichs Malerei und Fotografien, aber auch die Vergleiche von Skizzen und Fotografien Hinweise auf die Gründe für Dietrichs fotografische Tätigkeit? Lassen sich dadurch auch Schlüsse ziehen bezüglich der Auswirkungen auf die Entwicklung seiner malerischen Tätigkeit? Welche Bedeutung kommt der Fotografie im Werk Dietrichs überhaupt zu?

Fotografien und Gemälde
Vergleicht man die Ölbilder Dietrichs mit seinen fotografischen Aufnahmen, so fällt als erstes auf, dass die Inhalte in beiden Medien weitgehend übereinstimmen. Der Maler fotografierte mit seiner Kamera dieselben Ausschnitte aus seiner Umgebung, die er auch zeichnete und malerisch umsetzte. Die Umgebung des Dorfes, der See, Ereignisse aus dem Dorfleben und das Nachbarsgärtchen sind ebenso häufig im fotografischen Nachlass zu finden wie im Oeuvrekatalog seiner Bilder. Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber heraus, dass der Fokus gegenüber den Bildern jeweils leicht verschoben ist, wie der Vergleich zwischen den verschiedenen Themenbereichen in beiden Medien zeigt.
Porträtdarstellungen
Dietrich fotografierte seine Nachbarn, Kinder und Freunde gerne und oft. Dieses Interesse für die Menschen in seinem Umfeld ist sich auch in seinen Gemälden erkennbar, befinden sich doch bereits unter seinen ersten Ölbildern auffällig viele Porträts, etwa die Bildnisse seiner Eltern (1905) und weiterer Familienmitglieder. Einige dieser Bilder sind ab fotografischen Vorlagen - meist im Fotostudio hergestellte Porträts - gemalt worden. Ein Beispiel hierfür ist das Gemälde „Bildnis eines jungen Mannes“ (1920), bei dem es sich um den Neffen des Künstlers handelt. Für den noch unerfahrenen Maler mag die Umsetzung ab Fotografie einfacher gewesen sein als eine direkte Umsetzung vor dem Modell. Unter den frühen Gemälden befinden sich aber auch einige Auftragswerke, etwa die Bildnisse von Friedrich Neeser und seiner Verlobten (1908) oder das Porträt einer Verstorbenen (1917). Der folgende Brief zeigt, dass Dietrich sich bereits zu Beginn seiner Tätigkeit als Maler gewohnt war, Gemälde nach fotografischen Vorlagen zu erstellen.
1910 schreibt er an einen Kunden:
„Berlingen, 10. Mai 10. Herrn A. Lorenz! Teile Ihnen mit, dass ich die Malerei aufgebe u. habe daher auch Ihre bestellten Bilder nach beigelegten Photographiekarten fertig gemacht und Ihnen der Einfachheit halber p. Nachnahme zugesandt. Da der Preis der niedrigste ist, der für Bilder gestellt wird, hoffe ich auf prompte Einlösung desselben da ich Zurücknahme nicht machen könnte. Sie sind genau nach den Photographien ausgeführt & kann ich auf blosse Angaben nicht eingehen, in diesem Falle hätte ich andere Vorlagen haben müssen. Verbleibe in vorzüglicher Hochachtung: A. Dietrich"

Später aber, in der Zeit, als Dietrich selbst fotografierte, benutzte er keine fotografischen Vorlagen mehr für seine Gemälde. Zwischen den zahlreichen Aufnahmen von Personen und den gemalten Porträts bestehen denn auch keine direkten Zusammenhänge. Dies, obschon Dietrich die Personen aus seinem Umfeld häufig fotografierte, nicht nur in Form von Schnappschüssen, sondern auch als eigentliche Porträts und posierend vor einem ausgewählten Hintergrund. Die Beschäftigung mit dem Thema scheint in beiden Medien parallel zu verlaufen, aber mit wenigen Überschneidungen. Dies lässt vermuten, dass Dietrich es zu dieser Zeit bevorzugte, Porträts von lebenden Personen ab Modell herzustellen.
Einige Briefe aus dem Nachlass bestätigen dieses Vorgehen: Der Basler Wolfgang Lüthi liess bei Dietrich seine Eltern und seine Ehefrau porträtieren. 1947 sitzt Lüthi schliesslich selbst Modell: „Ich komme am nächsten Mittwoch den 17. Dez. morgens etwa um 10 Uhr wieder bei Ihnen vorbei und dann könnten wir wieder weiter an meinem Bild malen.“ Fast ein Jahr später liest man: „Wie steht es mit meinem Bild? Ist der Hintergrund mit den Büchern schon fertig? Wollen Sie mir doch bald Bescheid geben, ob ich nach Berlingen kommen kann, um noch einmal für das Porträt zu sitzen.“ Auch die Kleidung malt Dietrich ab Original. Im Dezember 1948 schreibt die Ehefrau des Porträtierten: „Ich möchte Sie bitten, den Kittel von meinem Mann, so bald Sie ihn nicht mehr brauchen, zu senden!“
Das Vorgehen Dietrichs war aber ganz pragmatisch - ganz im Sinne eines Handwerkers in seiner Werkstatt. So erstaunt es nicht, dass Dietrich als Hintergrund Fotografien von Lüthys Arbeitszimmer verwendete, die der Porträtierte ihm zugeschickt hatte. Der Vergleich des Bildes mit der im Nachlass erhalten gebliebenen Fotografie zeigt jedoch, dass Dietrich einige Veränderungen angebracht hat: Anstelle einer Figur von Ernst Ludwig Kirchner platzierte er im Büchergestell ein Dietrich’sches Stillleben.

Tierbilder und Pflanzendarstellungen
Vergleicht man die beiden Medien, so fällt auf, dass Dietrich - anders als in seiner Malerei - Tiere und Pflanzen selten fotografiert hat. Wenige Aufnahmen zeigen Blumensträusse oder Kakteen, die Dietrich auf Fussschemeln oder Tischen positionierte, um sie zu fotografieren. Etwas häufiger bildete er Gartenstücke, Ausschnitte von Blumenbeeten, Sträucher, blühende Bäume, Felder, Wiesen oder aufgebahrtes Heu ab.
Auch Fotografien von Tieren sind selten. Von den bevorzugten Sujets - Vögel, Meerschweinchen oder andere Haustiere - existieren wenige Aufnahmen, die erst noch meist unscharf oder falsch belichtet sind. Hingegen dokumentierte Dietrich gerne aussergewöhnliche Situationen, etwa eine Schwanenfamilie, die auf der überschwemmten Strasse unterwegs war, Rinder, die auf dem Markt zum Verkauf standen, einen gefangenen Hecht oder Löwen und Eisbären während eines Zoobesuchs.
Im malerischen Schaffen sind Tier- und Pflanzensujets dagegen oft zu finden. Für seine Bilder benutzte Dietrich jedoch Vorlagen aus Publikationen, malte lebende und tote Modelle ab oder liess sie gar präparieren, um sie genau studieren und mehrmals benutzen zu können. Dies bestärkt die Vermutung, dass sich Dietrich auch in dieser Bildgattung auf Vorlagen stützen konnte, die ihm eine genauere Umsetzung ermöglichten, als dies die Fotografie erlaubte. Man denke nur an die Farben des Gefieders oder bestimmte Fellstrukturen. Ähnliche Schlüsse dürfen auch bezüglich der Stilleben und Bilder von Blumensträussen gezogen werden.
Gegen Ende seines Lebens suchte er gelegentlich jedoch auch fotografische Vorlagen, wie einige Briefe aus dem Nachlass Dietrichs zeigen.
AD an H. Anderwert
„Berlingen, 1. VII. 55. Sehr geehrter Vettergötti. Könntest mir 1-2 Filme senden. Muss den Rosenstrauss v. dir noch malen & mache nach einer Photographie von ihm. Einige Rosen muss ich wahrscheinlich auch wieder haben, da diese Blumen ja nicht so lange halten. Sollte noch einige photographieren a. d. See […?] gegen Gottlieben […] Man sollte die jungen Kätzli n[och] photographieren mit den Alten zum malen. Es ist schon wieder 1/2 6 Uhr, morgens […]"

AD an H. Anderwert
„Berlingen, 23. XI. 54. Sehr geehrter Vetter! Möchte Dich h. anfragen, ob d. Filme schon entwickelt sind. Es kann eine Aufnahme dabei sein, […] Pflanze mit schönen Blüten schwarz weiss. Die Pflanze habe z. malen angefangen. Emanuel Gasser äusserte sich, dass das sehr schön werde. […]"

Genreszenen
Im Bereich der Fotografie gilt Dietrichs Interesse - neben Landschaftsaufnahmen - hauptsächlich seinem sozialen Umfeld. Er hält Strassenszenen fest, dokumentiert den Alltag seiner Nachbarn und fotografiert aussergewöhnliche Ereignisse, ein abgebranntes Haus, einen historischen Umzug oder das Konzert der dorfeigenen Musikgesellschaft. Daneben porträtiert er seine Mitmenschen in ihrer vertrauten Umgebung oder während der Arbeit. Der Briefträger auf seinem Gang, die Bäuerin auf dem Feld oder die Waldarbeiter während ihrer Arbeitspause finden ebenso Beachtung wie badende Kinder, Frauen nach dem Kirchgang oder die Hochzeitsgesellschaft der Nachbarn.
In der Malerei sind Genreszenen hingegen selten anzutreffen, Beispiele hierfür sind „der Schneeball“ (1915), „Schlachttag auf dem Lande“ (1925), Menagerie Knie (1927) oder „Garten am Untersee mit Kindern“ (1931). Diese Bildform ist in Dietrichs Werk zwar schon sehr früh zu finden, geht aber in den Dreissiger Jahren zusehends zurück und tritt nach dem Krieg kaum mehr auf. Ihr Verschwinden wurde bisher mit dem zunehmenden Rückzug des Künstlers begründet, was durch Dietrichs offenkundige Freude am fotografischen Abbilden jedoch widerlegt wird. Vielleicht ist der eigentliche Grund für die Seltenheit der Genrebilder eher darin zu suchen, dass es Dietrich nicht recht gelingen wollte, die dargestellten Personen in ihrer Bewegung realistisch abzubilden und in den Hintergrund einzubetten – gilt doch dieser Bildtypus nicht zu unrecht als der Bereich in Dietrichs Schaffen, in dem er als naiver Maler in Erscheinung tritt.
Nachbarsgärtchen
Im fotografischen Nachlass befinden sich auffällig viele Abbildungen vom „Nachbarsgärtchen“, das schon zu Lebzeiten Dietrichs als eines seiner bekanntesten und beliebtesten Sujets galt. Dargestellt ist jeweils der gegenüberliegende barocke Garten des Nachbarhauses, der von Dietrichs Stube aus überblickt werden konnte.
Obwohl dieses Sujet in beiden Medien oft vorhanden ist, sind keine fotografischen Vorlagen bekannt, die Dietrich direkt malerisch umsetzte. Auch hier wird der Umstand, dass Dietrich direkt von seinem Maltisch aus durch das Fenster auf das gegenüber liegende Bildsujet sah, dazu beigetragen haben, dass eine direkte Umsetzung naheliegender war. Mitentscheidend war sicherlich auch die Kleinteiligkeit des Bildinhalts, der auf dem 4 x 7 cm grossen Kontaktabzug kaum mehr zu sehen ist. Ein Brief von Rudolf Wacker an Adolf Dietrich verweist darauf, dass Dietrich auch gerne auf bestehende Bilder zurückgriff, um das Gärtchen nochmals zu malen:
„Bregenz, im Juni 1926. Lieber Herr Dietrich! […] Mit Ihrer Karte haben Sie mich ganz traurig gemacht: endlich habe ich die Rahmen zu den 2 Bildern fertig bekommen und habe ich mit meiner Frau für jedes ein uns besonders liebes Plätzchen ausgedacht – und nun soll ich Ihnen das Gartenbild zurückschicken. – Hören Sie mein Lieber: Können Sie denn wirklich nicht Ihr neues Gartenbild ohne die Vorlage des alten malen? Wo Sie doch überhaupt alle Ihre Bilder sozusagen ‚auswendig’ malen, müssten Sie das doch können. Ich vermute, dass das nur so eine Vorstellung von Ihnen ist – und dass Sie, wenn Sie's nur wagen, auch ohne das alte Bild vor sich zu haben, das neue fertig bringen. Und ist es denn wirklich nötig, dass Sie all das, was auf dem kleinen älteren Bild ist […] genau so wieder auf das neue – abmalen? Ich möchte Ihnen doch eher raten, das nicht zu tun --- schauen Sie doch einfach zum Fenster hinaus und malen Sie das, was Sie jetzt sehen --- und wenn Sie vom früheren Bild manches nochmals vermerken wollen, dann treffen Sie das auch aus dem Gedächtnis. – […]"
Landschaften
Die grösste Übereinstimmung in beiden Medien ist in den Landschaftsdarstellungen zu finden. Und dies hängt nicht nur damit zusammen, dass viele Ölbilder direkt auf fotografische Vorlagen zurückzuführen sind. In den Skizzenbüchern finden sich auffallend viele Zeichnungen, die ähnliche, manchmal fast identische Bildausschnitte zeigen wie Fotografien derselben Gegend. Bei einigen Bildern ist nicht mehr auseinander zu halten, ob eine im Skizzenbuch erhaltene Zeichnung oder eine Fotografie aus dem Nachlass als Vorlage gedient hat. Beispiele hiefür sind „Ostwindwetter am Untersee“ (1932) oder „Blick auf Berlingen“ (1933).

Im Oeuvrekatalog trifft man auf insgesamt 728 Bilder, die Landschaften zum Inhalt haben. Dabei handelt es sich einerseits um Landschaftsgemälde, andererseits aber auch um Bildnisse, Stillleben und Nature-Morte-Szenerien, die der Maler vor Landschaftskulissen präsentierte. Untersuchungen des fotografischen Nachlasses, der Zeichnungen und Skizzenbücher sowie der Fremdvorlagen haben ergeben, dass die Hälfte dieser Bilder (358) nachweislich auf Vorlagen basieren. Davon ist wiederum etwas mehr als die Hälfte auf Skizzen zurückzuführen (191) der andere Teil auf Fotografien (143). Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Bilder ab Vorlagen noch weit höher ausfällt, da eine unbestimmte Anzahl Fotografien und Skizzenbücher verloren gegangen ist.

Die ersten fotografischen Vorlagen, die bildnerisch umgesetzt wurden, tauchen 1929 auf, also zwei Jahre, nachdem Dietrich begonnen hatte zu fotografieren. In diesem Jahr entstehen acht Landschaftsgemälde, die auf Fotografien aus dem Nachlass aufbauen. Es handelt sich dabei um drei Bilder der „Tobelmühle“, eines Anwesens in der Nähe von Berlingen, zwei Aufnahmen von Berlingen selbst, eine Seelandschaft mit Ufer, das Haus Diezi in Mannenbach, eine Aufnahme bei Louisenberg sowie eine ungenannt bleibende Landschaft mit See im Hintergrund. Im Jahr danach ist nur ein Bild nach einer Fotografie zu finden. 1931 jedoch entstehen wieder vierzehn Gemälde.
Auffallend ist die zeitliche Ballung der Bilder nach Fotografien, welche auf verschiedene Schaffensphasen hinweist. So entstehen in den ersten fünf Jahren 46 Bilder. Danach geht die Anzahl zurück, bevor sie um 1939/40 wieder auf 23 ansteigt. Nach 1940 und bis 1956 ist keine Ballung mehr auszumachen, im Durchschnitt liegt die Bildanzahl bei 3-4 Stück pro Jahr.
Die Zeichnungen in den Skizzenbüchern datieren - mit wenigen Ausnahmen - bis Mitte der 1930er Jahre. Dietrich griff aber bis zu seinem Lebensende oft auf ältere Zeichnungen zurück. Dasselbe Vorgehen ist auch bei den Fotografien festzustellen. Dabei handelte es ich vor allem um geeignete Hintergründe für Tier- und Blumenbilder. So sind auch mehrere Fotografien im Nachlass erhalten, die für fünf, sechs oder mehr Bilder als Vorlage gedient haben.
Winter- und Sommerdarstellungen
Verschiedentlich wurde bereits auf die hohe Anzahl von Winterdarstellungen im Schaffen Dietrichs hingewiesen. Aufgefallen ist dabei, dass die Schnee- und Eislandschaften, fast ausschliesslich Ansichten des winterlichen Untersees, sich vor allem in Dietrichs mittlerer Schaffensphase, zwischen 1925 und 1942 finden. Untersucht man die Sommer- und Winterbilder nach fotografischen Vorlagen genauer, so ergibt sich ein interessantes Bild. Die Winterdarstellungen überwiegen nämlich bei weitem (85:53). Bei den Bildern nach Zeichnungen ist dies ganz anders, dort sind lediglich 24 Winterdarstellungen mit Schnee oder Eis zu finden. Der Vergleich zeigt, dass sich Dietrich für Winterdarstellungen hauptsächlich auf Fotografien stützte. Dies mag vielerlei Gründe haben: Im Winter war es wohl zu kalt, um im Freien zu skizzieren. Ein weiterer Grund liegt vielleicht aber auch in den klaren Farbabstufungen des Eises und Schnees, die in den Fotografien besser zur Geltung kamen als in den Zeichnungen, was dazu führte, dass sich die fotografische Vorlage besser zur Umsetzung eignete. Interessant ist auch, dass die erste Häufung der Winterbilder erst einige Jahre nach dem Beginn der fotografischen Tätigkeit auftritt. Vielleicht bedurfte es einer gewissen Gewöhnungszeit. Verschiedentlich wurde die Vermutung geäussert, dass die zweite Häufung von Winterlandschaften am See (1940/41) mit den Gefühlen Dietrichs gegenüber der besonderen Bedrohung der Schweiz vor Hitlers Russlandfeldzug zusammenhängen könnte. In der fotografischen Tätigkeit zeigte der Maler in dieser Zeit in der Tat ein besonderes Interesse an der Stacheldrahtverbauung des Berlinger Ufers, die er wiederholt abbildete. Ob das Interesse des Malers jedoch von Bedrohungsgedanken her rührte oder mit der bildnerischen Veränderung des Ufers zusammenhängt, kann nicht abschliessend geklärt werden.
Interessant in Zusammenhang mit der hohen Anzahl der Winterbilder in diesen Jahren ist aber auch ein aussergewöhnliches Ereignis vom Gründonnerstag 1940, das von Dietrich fotografisch festgehalten wurde. An diesem Tag fegte ein Orkan über die Gegend, der das Eis des zugefrorenen Untersees an das Ufer presste und zu auffälligen Eisformationen aufschichtete. Einige Bilder aus diesen Jahren sind auf Vorlagen zurückzuführen, die Dietrich in diesen Tagen fotografiert hatte, z. B. „Winter am Untersee (1940), „Sonnige Winterlandschaft“ (1940) oder „Vereistes Ufer bei Berlingen“ (1940).

Bei den Sommerdarstellungen zeigt sich ein ganz anderes Bild. Hier dominieren die Bilder nach Zeichnungen und Skizzenbüchern eindeutig. Bei den Werken nach Fotografien handelt es sich vor allem um Darstellungen einzelner Gebäude, Berlinger Dorfszenen und fremde Landschaften, für die Dietrich Reisefotografien verwendete.
Variationen, Veränderungen, Kopien, Collagen
Der direkte Vergleich der Ölbilder mit den fotografischen Vorlagen zeigt, dass die Umsetzungen nicht in Form einer 1:1 Übernahme erfolgte. Die grossen Winterlandschaften, welche die gefrorene Oberfläche des Sees zum Inhalt haben, zeigen, wie geschickt Dietrich die Vorlagen veränderte, um eine optimale Bildwirkung zu erzeugen. Für „Eis am Untersee“ (1932) wurde die Fotografie in ihren Dimensionen stark verändert. Das ursprünglich rechteckige Hochformat wurde zu einem quadratischen Bild komprimiert. Ein Stück des Himmels liess der Maler weg, den unteren Teil, der durch die Spuren des Schnees im Eis geprägt ist, änderte er, wo es ihm nötig erschien. Dadurch wurde die Seelinie deutlich angehoben und eine andere Bildwirkung erzielt. Dieses schon früher bekannte Beispiel einer Umsetzung nach Fotografie steht aber nicht allein. Bei fast allen Bildern sind kleine oder grössere Veränderungen festzustellen. In „Winter am Untersee“ (1940) wird die querformatige Vorlage in die Höhe gezogen, um dem blauen See, der das Bild farblich dominiert, mehr Raum zu geben. Und für „Winterlandschaft vom Funkenplatz aus“ (1931) wurde die Vorlage unten erweitert, um die Schneelandschaft hervorzuheben. Häufig wurde die Fotografie auch, den Vorstellungen des Malers folgend, retuschiert. Horizonte wurden begradigt, Ausschnitte vervollständigt und störende Bildteile mussten entfernt werden. Für „Tobelmühle mit Pfau“ veränderte Dietrich die Position des Hauses auf der rechten Bildhälfte, und für den Hintergrund des Bildes „Kirschkernbeisser“ (1943) erweiterte er die fotografische Vorlage rechts um einen ganzen Drittel.

Dietrich agierte in seinem Atelier – wie die Alten Meister und die Künstler der Neuen Sachlichkeit – sehr frei mit den Vorlagen und Hilfsmitteln, die ihm zur Verfügung standen. Viele seiner Werke, vor allem Tierbildnisse und Stillleben, konstruierte er in Form eines Collagierens von Vorder- und Hintergrund. Dies hat ihm oft Kritik eingetragen. Gleichzeitig erzeugen gerade diese Bilder einen besonderen Reiz. Sie höchstmögliche Realitätstreue bewirken wollen, obwohl sie konstruiert sind. Sie wirken aufgrund kleiner Nichtübereinstimmungen und perspektivischer Ungenauigkeiten konstruiert, während sie gleichzeitig in höchstem Masse realitätsgetreu scheinen. Dadurch evozieren sie beim Betrachter einen Trompe l’oeil-Effekt.
Dietrich benutzte die Skizzenbücher und Fotografien wie einen Vorlagenkatalog. Er wählte eine geeignete Landschaft aus, setzte sie um und malte später das Hauptsujet darüber. Einige Fotografien dienten als Hintergrund für sehr bekannte Bilder, wie „Raben und Elster vor Winterlandschaft“ (1934) oder „Zwei Eichhörnchen“ (1939).

Einige Fotografien dienten als Hintergrund für mehrere Bilder. Ein Beispiel hierfür ist die Fotografie, die Dietrich für „Frühlingswiese am Untersee“ (42.14), „Sonniger Novembertag bei Berlingen“ (42.15), und „Aussicht vom Funkenplatz“ (44.25) benutzte. In der zweiten und dritten Fassung variieren lediglich die Tiere, die im Vordergrund als Aperçu aufgemalt sind. Dieselbe Vorlage benutzte der Maler aber zusätzlich als Hintergrund für mindestens fünf weitere Bilder. Das bekannteste Beispiel ist „Balbo, auf der Wiese liegend“ (1955). Aber auch „Zwei Eichhörnchen mit zwei Rehen“ (1949), „Apfelblütenzweig mit Distelfink“ (1953) und „Stechpalmen und Christrosen“ (1953) basieren auf derselben Vorlage.

Einzelne Werke wurden aus verschiedenen Fotografien zusammengefügt. Für „Blick von der Schlossterrasse Arenenberg“ (1937) verwendete Dietrich zwei fotografische Vorlagen. Für die malerische Umsetzung setzte er in der linken unteren Ecke der Landschaftsfotografie einen Teil der Schlossterrasse hinzu, die er einer anderen Vorlage entnahm. Besonders interessante Beispiele für die Umsetzung aus mehreren Vorlagen sind „Badehaus Mammern“, wahrscheinlich eine Auftragsarbeit, und die „Römerburg Kreuzlingen“(1953), von der fünfzehn fotografische Vorlagen erhalten sind.
Sujetsuche und bildnerische Arbeit
Beurteilt man die Stellung der Fotografien jedoch lediglich aufgrund ihrer Funktion als Bildervorlagen, so wird man ihrer Bedeutung bei weitem nicht gerecht. Der Maler nutzte das schnelle Medium vor allem auch zur Bildrecherche und Bildfindung. Anders als die Zeichnungen, deren Herstellung viel Zeit erforderten, konnte Dietrich mit dem Fotoapparat seine bevorzugten Motive aus verschiedenen Winkeln aufnehmen, später im Atelier vergleichen und unter den kleinformatigen Blattabzügen diejenigen heraussuchen, die seinen Vorstellungen für ein neues Bild entsprachen. Die Fototäschchen, in denen Positive und Negative lagerten, sind oft mit Aufschriften versehen, die auf den späteren Verwendungszweck hinweisen oder dem Maler als Gedächtnisstütze dienten. Beispiele dafür sind Beschriftungen wie „zum Malen“, „Winterbilder gemalt“ oder „Funkenplatz, zur Arbeit“. Dieses Vorgehen belegt, wie pragmatisch Dietrich in seiner Tätigkeit als Kleinmeister - als „Bilderhersteller“ eben - agierte.
Der Blick durch den Sucher des Fotoapparats gab dem Maler zudem einen Rahmen vor, der ihm bei seiner Recherche nach dem guten Bild hilfreich war. Auch entspricht die gerahmte Darstellung einer bestimmten Landschaft der Sichtweise des Malers, für den die ausgewogene Komposition, das Festhalten eines schönen Abbildes der Realität, im Zentrum seiner Tätigkeit stand. Wieweit diese Fotografie-spezifische Sichtweise die bildnerische Sicht des Malers beeinflusst hat, kann nicht abschliessend beurteilt werden. Einige Bilder weisen jedoch auf einen möglichen Zusammenhang hin. Ende der 1930er Jahre entstanden auffällig viele, kleinformatige Bilder, die bestimmte Tiere oder Pflanzen ausschnitthaft und aus kleiner Distanz wie in Nahaufnahme zeigen, etwa „Bachstelze auf meinem Schuh“ (1941, „Vogel an der Wand“ (1939), „Junge Meerschweinchen in meinen Händen“ (1939) oder die „Ratte“ (1940) auf der Türschwelle. Auch zwischen den ausschnitthaften Bildern von Gartenstücken, die im gleichen Zeitraum entstanden, und den zahlreichen Fotografien von Gartenbeeten kann ein Zusammenhang vermutet werden.
Eine weitere Besonderheit stellen die Fotografien dar, die den Blick aus der Stube des Malers in den Garten zeigen, wobei die Einfassung des Fensters zugleich auch den Rahmen der Fotografie stellt. Im Vordergrund sind jeweils der Fensterrahmen und – je nach Jahreszeit – die darauf stehenden Kakteen- und Geranientöpfe zu sehen. Einige Fotografien aus dem Nachlass zeigen dieselben Kakteen, die Dietrich anschliessend auch gemalt hat, wie „Kaktus mit altem Gärtchen“ (1932), oder „Kakteen auf Fenstersims“ (1933), allerdings in einem etwas anderen Blickwinkel. Der Ausschnitt des Bildes ist jedoch nahezu identisch. Hier scheint der Maler sich am fotografischen Ausschnitt ebenfalls orientiert zu haben, ohne die Fotografie als direkte Vorlage zu nutzen.
Daneben belegen verschiedene Gemälde, dass der Bildfindungsprozess durch die fotografische Tätigkeit beeinflusst worden ist. Ein Beispiel hierfür ist das Werk „Blick durch die Bäume auf Berlingen“ (1936), das Dietrich nach einer Postkarte malte. Bisher war bekannt, dass der Maler das Bild nach einer Postkarte malte, das Querformat der Karte jedoch in ein Hochformat veränderte. Eine Fotografie aus dem Nachlass zeigt einen sehr ähnlichen Bildausschnitt in Hochformat, der darauf schliessen lässt, dass die Fotografie in diesem Fall den Ausschlag für die auffällige Umsetzung gegeben hat.
Die Bedeutung der Fotografie für das bildnerische Schaffen
Welche Aussagen lassen sich nach der Sichtung der Fotografien über ihre Bedeutung für Dietrichs Werk machen? Angesichts der Tatsache, dass heute bekannt ist, dass die Hälfte der Landschaftsbilder nach zeichnerischen oder fotografischen Vorlagen hergestellt wurden und noch lange nicht alle Vorlagen eruiert sind, kann davon ausgegangen werden, dass der Maler sich im Bereich der Landschaften überwiegend an – meist selbst hergestellten – Vorlagen orientierte. Die Fotografien machen dabei einen wesentlichen Anteil aus, auch wenn das erste nach fotografischer Vorlage hergestellte Bild um 1929 datiert werden kann – nach mehr als zwanzigjähriger malerischer Tätigkeit. Rein summerisch gesehen also kommt der Verwendung der Fotografie als Vorlagen eine grosse Bedeutung zu.
Die fotografische Tätigkeit produzierte – im Gegensatz zu den Skizzen – innert kurzer Zeit viele Vorlagen, was zu einem grösseren Bilderreichtum in Dietrichs Oeuvre führte. Viele Werke, wie die Winterbilder, die Darstellungen des Sees mit eisbedeckter Oberfläche, das schneebedeckte Ufer oder die Wälder im Winter zum Inhalt haben, wären ohne die Verwendung der Fotografie kaum entstanden. Diese Vermutung wird erhärtet durch den Umstand, dass in den Skizzenbüchern Winterzeichnungen sehr selten vertreten sind, auch vor Dietrichs fotografischer Tätigkeit. Man kann also davon ausgehen, dass die Verwendung der Fotografie in Dietrichs Werk zu einer Erweiterung der Bildthemen geführt hat.
Auch der Bildfindungsprozess wurde durch die fotografische Tätigkeit beeinflusst. Aus einem grossen Katalog von hunderten von Aufnahmen verwendete er nur jene, die seinen Ansprüchen als Maler genügten. Die Veränderungen der Vorlagen zeigen zudem, wie geschickt Dietrich geeignete Vorlagen seinen kompositorischen und ästhetischen Ansprüchen anpasste und optimierte.
Aber auch abgesehen davon erfüllten die Fotografien in Dietrichs malerischer Tätigkeit eine wichtige Aufgabe. Durch den Rahmen, den der Fotoapparat naturgemäss vorgibt, und die Abzüge, welche die Wirklichkeit bereits gerahmt wiedergeben, führten sie zu einer Schärfung des malerischen Blicks, indem sie es dem Maler ermöglichten, einen gewünschten Bildinhalt aus verschiedenen Blickwinkeln, zu verschiedenen Jahreszeiten und in bestimmten Lichtverhältnissen zu erforschen.
Eine generelle Veränderung durch die fotografische Tätigkeit lässt sich in Dietrichs Werk hingegen nicht feststellen. Die Malweise und Auswahl des Bildinhalts wechselt nicht in einem Masse, das auf eine nachhaltige Umstellung schliessen lässt. Der Maler ist zu versiert, zu sicher und geht so meisterlich mit seinen Vorlagen um, dass bei vielen Bildern nicht eruiert werden kann, ob eine Zeichnung oder Fotografie als Vorlage diente. Beispiele hierfür sind „Morgen am Luganersee“ (1934, fotografische Vorlage) und „Blick vom Hohen Kasten auf das Rheintal“ (1925, Skizze als Vorlage). Vor manch guter Aufnahme wundert man sich, dass Dietrich sie nicht benutzte, und einige der benutzten Vorlagen sind als Fotografien unscheinbar, falsch belichtet, oder schräg aufgenommen, wie das Beispiel „Raben und Elster vor Winterlandschaft“ (1934) zeigt.

Der Einsatz der Fotografie tut Dietrichs malerischem Werk also keinen Abbruch. Im Gegenteil: Er verstand es, die Fotografie für seine Malerei so zu nutzen, dass sie für sein Werk eine grosse Bereicherung war. Welche Gründe mögen Dietrich dazu geführt haben, zu fotografieren? War es die Freude am Fotografieren selbst? Oder lag dahinter die bewusste Absicht, den Vorlagenkatalog in seiner „Werkstatt“ mit fotografischem „Werkzeug“ aufzustocken, um effizienter arbeiten zu können? Vieles weist darauf hin, lässt sich aber nicht abschliessend beantworten. Aus dem Fundus der Abzüge ist sicherlich ein generelles Interesse am Abbilden, am Fotografieren selbst auszumachen. Dass seine Beweggründe aber auch funktionaler Natur waren, lässt ein Brief aus Dietrichs Nachlass erahnen. Dietrich betrieb lange Zeit einen Tauschhandel, vor allem mit Kaninchen und Meerschweinchen. In diesem Zusammenhang erhielt er 1922 einen Brief von Erich Rothe, einem Kunstmaler aus Basel, der ihm als Tausch gegen Tiere ein Ölgemälde anbot. Dietrich schrieb ihm zurück, er sei auf der Suche nach einer Feldstaffelei. Darauf antwortete dieser:
„Basel 2. Januar 1922. (...) Eine Feldstaffelei habe ich nicht abzugeben, eine solche kann man sich aber doch für wenig Geld selbst herstellen. Meine Bilder male ich meist nach Photographien, dabei hat man nicht mit dem fortwährenden Lichtwechsel zu nehmen, wie es im Freien vorkommt.“
Vielleicht waren es Erfahrungen wie diese, die Dietrich veranlassten, sich einen Fotoapparat anzuschaffen. Die Gründe für die Nutzung der Fotografie in der malerischen Arbeit waren sicherlich ganz pragmatische. Ein Brief von Dietrich an den Fotografen Hans Baumgartner belegt dies eindrücklich:
„Berlingen, 27. September 1949. Sehr geehrter Herr! Ich wollte noch einige Male Berlingen malen. Gewöhnlich mache ich das nach einer alten Zeichnung v. 1910. Da die sehr bald unbrauchbar geworden ist, ich nicht noch einmal zeichnen möchte + möchte ich Sie anfragen ob Sie vill. nicht einmal Zeit hätten, die Sache auf d. gleichen Masse z. photographieren. Es zeichnet und grüsst hochachtungsvollst:
A. Dietrich“
 

Text: Publikation "Adolf Dietrich. Fotografien", Verlag Benteli, Bern 2007

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