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Munz, René

Der Anspruch von urbaner Kultur auf dem Lande

Vortrag: Symposium "Professionalisierung - Fluch oder Segen", Kartause Ittingen, 25./26.5.2005 Der Kanton Thurgau hat ein Image-Problem: er ist ein weisser Fleck auf der Erfahrungs-Karte unserer lieben Miteidgenossinnen und -genossen. Kaum einer kennt ihn - und kaum einer will ihn kennen lernen.
Und wir haben noch ein anderes Problem: die Mehrheit der Hochschul-Absolventinnen und Absolventen verlässt den Kanton und kommt nicht mehr zurück - ein klarer Fall von Brain-Drain, massiver als anderswo in der Schweiz. Und: Rund die Hälfte der Thurgauer Unternehmen hat Probleme, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren - das zeigt eine Studie der Credit Suisse.
In einer Analyse des Instituts für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St. Gallen kommen die Autoren zwar zum Schluss, dass der Thurgau eigentlich gute Voraussetzungen hätte, das Weglaufen der jungen Intelligenzia zu stoppen: Der Thurgau bietet eine sehr hohe Lebensqualität in einer sehr reizvollen Landschaft, wir haben sehr gute Verkehrsverbindungen und sind nahe bei urbanen Zentren wie Konstanz, St. Gallen oder Winterthur und Zürich.
Nur: der Thurgau hat kein eigenes, städtisches Zentrum und er gilt nicht zuletzt darum als etwas langweilig und als abgelegen. Es fehlt gerade jüngeren Leuten ein attraktives, modernes Lebensumfeld.
Aber urbane, aufgeschlossene Menschen haben offensichtlich den Anspruch, dass nicht nur in den städtischen Zentren, sondern auch in ihrer unmittelbaren Umgebung ein kulturelles Umfeld besteht, welches ihnen eine Auswahlmöglichkeit bietet für soziale Begegnungen und für geistige und emotionale Anregungen.

Das Thurgauer Kulturangebot: Überfluss und Mangel

Nicht, dass im Thurgau nichts los wäre: da waren ja schon immer unglaublich viele verschiedene Vereine, literarische Vereinigungen, Konzert- und Theatergesellschaften, Musikgesellschaften, Jodel-, Kirchen-, Männer- und Damenchöre - auch wenn ihre gesellschaftliche Bedeutung und ihre Attraktivität sichtlich abgenommen hat.
Auch die Zahl der kulturellen Veranstaltungen und der Veranstalter ist in den letzten 20 Jahren fast explodiert, genauso wie die Zahl der Unterstützungsgesuche an den Kanton für kulturelle Projekte steigt und steigt: von 58 Gesuchen im Jahr 1986 auf über 300 zur Zeit.
Aber je mehr Veranstaltungen organisiert werden, umso öfter finden sie vor halbleeren oder leeren Stuhlreihen statt. Wenn manche Theater- oder Konzertveranstalter den ganzen Aufwand wieder und wieder für lediglich 15, 20 oder vielleicht 30 Zuschauende betreiben, wenn die Unterstützungsbeiträge steigen, aber die Publikumszahlen sinken, dann läuft etwas falsch und es steht im Widerspruch zur erwähnten Erwartungshaltung eines potenziellen Publikums. Und die Veranstaltungen sind irgendwann nicht mehr wirklich von öffentlichem Interesse. Damit wächst auch der Legitimationsdruck auf die Förderinstanzen.

Das Amateur-System hat seine Grenzen

Der weitaus grösste Teil aller Kulturveranstalter im Thurgau - es sind ein paar Dutzend - arbeiten als reine Laienorganisation mit unterschiedlichem Knowhow. Ohne Laien gäbe es hier kaum Kulturveranstaltungen - ausser in den professionellen Kulturzentren wie der Kartause Ittingen, den sechs kantonalen Museen, dem Ausbildungszentrum Wolfsberg der UBS oder dem Multiplexkino in Weinfelden.
Schlechte Werbung, unkoordiniertes Vorgehen, zuwenig Gespür für die Bedürfnisse bestimmter Zielgruppen als potenzielles Publikum, zu geringe Kenntnisse der Szene oder einfach organisatorische Überforderung - das sind nicht selten die wesentlichen Schwächen dieses Amateur-Systems.
Noch haben die traditionellen, lokalen Theater- und Konzertvereine dank ihren langjährigen Abonnentenkreisen meist volle Häuser - zunehmend ist aber auch hier ein Mitgliederschwund festzustellen. Und diese Veranstalter setzen zwangsläufig auf bekannte, populäre Programme ohne grosse Innovations- und Anziehungskraft.

Die Verantwortung der Kritik

Nicht nur die Veranstalter und Vermittler, auch die Kulturproduzenten, die Theatergruppen oder Orchester in unserem Kanton wirken fast alle als Amateure. Sie leisten Freiwilligenarbeit, sind zu Recht stolz auf das, was sie leisten und geleistet haben innerhalb ihrer Möglichkeiten. Manchmal überschätzen sie auch ihre Möglichkeiten. Das zeigt sich unter anderem auch daran, dass mehr und mehr Amateure für ihre Freiwilligenarbeit finanziell entschädigt werden wollen.
Die Berichterstattung in der Zeitung über ehrgeizige Amateur-Projekte ist mit Rücksicht auf die hohe Empfindlichkeit der Ausführenden oft über Gebühr rücksichtsvoll positiv.
Da sind dann diese Vergleiche zu lesen von den Laien, die wie Profis spielen - eine praktisch durchwegs unangemessene Einschätzung. Höchst selten hätte jemand aus einem Laien-Ensemble eine Chance, zum Beispiel ins Ensemble eines Stadttheaters oder eines Berufsorchesters aufgenommen zu werden.
Ich glaube, eine allzu gutgemeinte Medienberichterstattung schadet längerfristig der Kulturszene. Sie schadet dem Vertrauen der Zuschauerinnen und Zuschauer in die lokalen Organisatoren und führt dazu, dass die Leute den Theater- oder Konzertaufführungen fernbleiben, nachdem ihre Erwartungen immer wieder zu hoch geschraubt und dann enttäuscht wurden. Mit etwas mehr Mut zur Redlichkeit wäre der Sache besser gedient, weil sie damit auch ernster genommen würde.
Das gilt aber nicht nur für die Medien, das gilt auch für die Kulturförderung. Eine wohlwollende Haltung den Kulturschaffenden gegenüber genügt nicht, es braucht ein kritisches Wohlwollen. Das bedeutet letztlich: es braucht auch eine Professionalisierung der Kulturförderung. Wir müssen uns je länger je mehr auf fachspezifisches Wissen berufen und unsere Entscheide oder Anträge mit fachlichen Argumenten begründen können.

Qualität steht an oberster Stelle

Auf Anfang des letzten Jahres hat das Kulturamt des Kantons Thurgau ein neues Kulturförderkonzept erstellt, das vom Regierungsrat nach Beratungen in der Kulturkommission und in der Regierung ratifiziert worden ist. In diesem Konzept gibt es einen einen Kriterienkatalog der umschreibt, was wir mit Qualität meinen. Darin hat auch der Begriff „Professionalität“ ein wichtiges Kriterium der Beurteilung. Stichworte dazu sind: Abgeschlossene Berufsausbildung oder Mitgliedschaft in einem Berufsverband, Leistungsausweis, allenfalls Existenzsicherndes Einkommen aus dem künstlerischen Beruf, Kommunikations- und Organisations-Vermögen usw.

Was bedeutet Professionalität in der Praxis?

Nach meiner persönlichen Definition gehören zur Professionalität nebst einem guten „Gespür für’s Wesentliche“, einer minimalen Organisations-Fähigkeit und einer überdurchschnittlichen Lust zur Hingabe vor allem das Knowhow des Handwerks. Dieses Knowhow kann man nicht immer durch eine Ausbildung erwerben. Aber wo dies möglich ist, empfiehlt es sich, das zu tun.
Es geht also darum, aus formalen Gründen oder gar aus vorgeschobenen Spargründen ein Diplom zu verlangen, sondern es geht darum, ein erlernbares, handwerkliches Grundwissen einzufordern, wo das möglich ist.
Zwar unterstützt der Kanton Thurgau nach dem neuen Konzept noch immer z.B. Laientheaterproduktionen (im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen) – Allerdings nur dann, wenn sie unter professioneller Leitung arbeiten. Von einem Regisseur oder einer Regisseurin wird eine abgeschlossene Berufsausbildung gefordert oder die Mitgliedschaft in einem Berufsverband, der seinerseits minimale Aufnahmebedingungen an seine Mitglieder stellt.
Auch Chöre und Orchester werden nur unterstützt, wenn sie von einem Dirigenten oder einer Dirigentin mit anerkanntem Diplom, das heisst, mit fundierter Ausbildung geleitet werden.
Mit dieser „Professionellen-Bestimmung“ haben wir uns den Unmut jener zugezogen, die bisher auch ohne Beteiligung von Profis für ihre Projekte Kantonsbeiträge erhalten haben. Das ist verständlich: Sie sind von ihrem Publikum ja gelobt und von der Lokalzeitung mit Profis gleichgestellt worden und sie verwechseln die finanzielle Unterstützung oft mit öffentlicher Anerkennung.

Wieviel Professionalität verträgt der Thurgau?

Ende 2002, nach der expo02, hätte sich die Gelegenheit geboten, das Mummenschanz-Theater in Kreuzlingen anzusiedeln, nachdem dieses in St. Gallen verschmäht worden war. Das Kulturamt konnte innerhalb von vier Wochen einen hervorragenden Bauplatz, ein Programmkonzept, einen Kosten- und Finanzierungsplan sowie eine professionelle Organisationsstruktur samt Vorschlag für einen erfahrenen künstlerischen Leiter vorlegen.
Mit dem Mummenschanz-Theater hätten wir ein spezielles Kulturangebot gehabt, das dem Kanton ein eigenständiges Veranstaltungsangebot ermöglicht hätte - und zwar in Ergänzung zum Stadttheater Konstanz in den Bereichen des Kabaretts und vor allem des nonverbalen Theaters mit Tanztheater, Clowns, mit Mummenschanz und mit Festivals - grossteils auf internationalem Niveau.
Das Projekt hätte eine Million Franken aus dem Lotteriefonds für den Bau und jährlich etwa 3-400'000 Franken für den Betrieb gekostet - ein Discountpreis. Die Realisierung scheiterte dann an der Finanzierbarkeit der wiederkehrenden Betriebsbeiträge, das heisst, an der fehlenden Risikobereitschaft von Politik und Wirtschaft, für einmal etwas mehr als bisher üblich in eine attraktive Kulturszene zu investieren.
In der Zwischenzeit scheint das Bewusstsein für solcherlei Chancen für den Thurgau vielleicht ein klein wenig gewachsen zu sein - wir warten auf eine nächste Gelegenheit!
Wir stellen vorerst also fest, dass die Laien- oder Amateur-Kulturszene unverzichtbar bleiben wird für das kulturelle Leben im Kanton, weil sie den überwiegenden Teil des Angebots ausmacht. Für die professionellen Kunst- und Kulturschaffenden fehlt hingegen noch weitgehend eine genügend grosszügige, finanzielle Grundlage, die tragfähig ist für neue, nachhaltige Projekte der Spitzenklasse.
Damit bleibt dem Kulturamt nichts anderes übrig, als mitzuhelfen, einzelne Projekte oder Trägerschaften mit guten Ansätzen nach und nach in die Profi-Liga zu begleiten - sofern sich überhaupt solche Ansätze zeigen. Beispiele dafür gibt es: das Thurgauer Kammerorchester oder aber das Kinder- und Jugendtheater Bilitz.
Konkret heisst dies, dass wir einen Teil der vorhandenen Mittel so konsequent wie möglich für einzelne herausragende und professionelle Kulturschaffende und -Vermittler einplanen. Damit soll wenigstens teilweise die finanzielle Grundlage gelegt werden für die Weiterentwicklung und die Steigerung der Qualität der Besten. Wir sind uns allerdings bewusst, dass von Seiten des Kulturamtes letztlich nur Rahmenbedingungen und finanzielle Unterstützung geleistet werden kann. Die eigentliche Arbeit, der Schritt vom Amateurstatus ins Profilager, muss von den Kulturschaffenden selber vollzogen werden. Wenn wir diese Schritte an der Qualität der Arbeit erkennen können, werden wir alles dran setzen, sie zu unterstützen. Auf dass sie leuchten soll im Vaterland...