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Fuchs, Max

Kultur und Demokratie. Möglichkeiten der Kulturpolitik im gesellschftlichen Wandel

Vortrag: Symposium "Professionalisierung - Fluch oder Segen", Kartause Ittingen, 25./26.5.2005 1. Professionalität, Berufsethos und das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe

„Professionalität“ meint im alltäglichen Sprachgebrauch, dass eine Sache besonders gut gemacht wird. Der Profi ist souverän, er beherrscht sein Metier, und er wird angemessen bezahlt. Ein Profi ist das Gegenteil von einem Amateur. Dieser ist zwar der Wortbedeutung nach ein Liebhaber der Dinge, mit denen er sich beschäftigt, jedoch muss er nicht davon leben und die Anforderungen an die Ausführungsqualität seiner Beschäftigung sind nicht sonderlich hoch.
Der Ausschreibungstext zu dieser Tagung zeigt, dass etwas anderes mit „Professionalisierung“ gemeint ist: Es wird ein Gegensatz hergestellt zwischen einer „Demokratisierung der Kultur“, einer wichtigen kulturpolitischen Forderung früherer Jahre, und gewachsenen Anforderungen an Künstlerinnen und Künstler und an Kulturprojekte heute. Es ist von einer Ökonomisierung die Rede, von mehr Effizienz und Transparenz, die Kulturprojekte erfüllen müssen, von einem erhöhten gesellschaftlichen Nutzen, der erwartet wird. Diese neuen Qualifikationserwartungen an die Kulturakteure machen die erhöhte „Professionalität“ aus, auf die heute neue Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote im Kulturmanagement reagieren. Es scheint also, als ob es einen Widerspruch oder zumindest ein Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel der Demokratisierung auf der einen Seite und der Professionalisierung auf der anderen Seite geben könnte. Es ist daher unvermeidbar, sich mit dem Professionsbegriff auseinander zu setzen.
Wer sich bisher nicht damit beschäftigt hat, wird sich wundern, dass das Wort Profession auf das lateinische „professio“ zurückgeht. Und dies bedeutet ein öffentliches Bekenntnis zu einer bestimmten Betätigung. Ein Professor ist ein solcher Professioneller, der sich zu seiner beruflichen Betätigung öffentlich bekennt. Zu diesem Bekenntnis gehört ein besonderes Selbstbewusstsein, vielleicht sogar ein besonderer Stolz.
Die Berufsoziologie , die sich mit Professionalisierungsprozessen und Berufen befasst, hat eine Theorie der Professionen entwickelt, die diese erste philologische Annäherung durchaus bestätigt: Professionen sind demzufolge nicht Berufe schlechthin, sondern nur solche, die zusätzliche Kriterien erfüllen. Neben einer hohen Ausführungsqualität in der beruflichen Praxis gibt es zusätzliche Bedingungen für professionelles Handeln: Es geschieht weitgehend autonom, es findet in der Regel in einem gesellschaftlichen Bereich statt, dem man eine hohe Gemeinnützigkeit zuspricht. Die Basis professionellen Handelns ist eine geregelte Ausbildung, i. d. R. ein akademisches Studium. Menschen mit derselben Profession schließen sich zu berufsständischen Organisationen zusammen, Standesorganisationen also, die bestimmte Berufsnormen zur Selbstkontrolle und zur Selbstregulation des Berufsbildes entwickeln: Professionelle haben ein bestimmtes Berufsethos. Man kann sich diese Kriterien an den ersten klassischen „Professionen“ verdeutlichen: Es waren nämlich Priester, Ärzte und Juristen, also Personen, die es mit Gott, der Gesundheit oder dem Recht zu tun hatten.

Ein erstes Fazit dieser definitorischen Annäherung kommt zu einem vielleicht überraschenden Ergebnis: Das hier deutlich werdende Verständnis von Profession und Professionalisierung ist gerade kein Gegensatz zum Künstlertum und zu Kulturberufen schlechthin. Es gelten vielmehr dieselben Kriterien für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit: Autonomie, ein berufliches Ethos, eine große eigene Verantwortlichkeit und durchaus ein Selbstverständnis, dass man eine gewisse, gesellschaftlich anerkannte „Mission“ erfüllt. Ein solches Verständnis der eigenen beruflichen Tätigkeit steht in einem Spannungsverhältnis zu einem „Job“ als bloßem Gelderwerb, zu einem reinen Markt- und Profitdenken, das sich lediglich an Gewinnmaximierung orientiert.
Der gesellschaftliche Wandel, der im Ausschreibungstext angesprochen wird, hat also zu einer Spannung zwischen dem Künstlertum als Profession und den neuen Marktanforderungen an Kunst und Kultur geführt. Überspitzt formuliert könnte man daher sagen: Im Hinblick auf den vorgestellten Professionsbegriff hat man es sogar tendenziell mit einer Entprofessionalisierung des Künstlerberufs zu tun, wenn die Marktlogik die bisherigen Berufsnormen überlagert oder sogar zerstört. Dahinter steckt ein emphatisches Verständnis des „Berufs“, das sehr viel mit der protestantischen Tradition des Berufs als Berufung zu tun hat. Und dieses emphatische Verständnis des Berufs passt zu einem emphatischen Verständnis von Kunst und Kultur, so wie es sich am Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hat: Kunst als Prozess der Humanisierung, der Kultivierung und Zivilisierung des Menschen und der Gesellschaft zu verstehen.

Kunst und Kultur sind also etwas Besonderes in dieser Sichtweise, und etwas Besonderes sind auch die Menschen, die sich damit befassen. Dies ist die Grundlage für Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:

1.\tJedermann hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.
2.\tJedermann hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die sich für ihn als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur und Kunst ergeben.

Dieser Artikel erfasst beide Seiten des künstlerischen Prozesses: für die Rezeptionsseite formuliert er ein universelles Recht auf kulturelle Teilhabe, für die Produktionsseite, die Seite der Künstlerinnen und Künstler, formuliert er einen Anspruch auf Schutz der hergestellten Werke.
Dieses Menschenrecht wurde für so wichtig gehalten, dass es erneut im „Pakt für ökonomische, soziale und kulturelle Rechte“ aufgegriffen worden ist, der 1966 verabschiedet und 1976 in Kraft gesetzt wurde. Dieser Pakt war sehr umstritten, weil er zu der sogenannten zweiten Generation der Menschenrechte gehört. Die erste Generation der Menschenrechte betrifft Schutz- und Abwehrrechte des Einzelnen (vor allem) gegenüber dem Staat. Es geht um den Schutz der Person, um persönliche Integrität. In der zweiten Generation der Menschenrechte werden Anspruchsrechte des Einzelnen formuliert, und diese Anspruchsrechte können nur dann umgesetzt werden, wenn eine Umverteilung vorgenommen wird. Man kann sich dies sehr leicht an der Forderung nach kultureller Teilhabe verdeutlichen: Wer gut ausgestattet ist mit materiellen Ressourcen, hat kein Problem, sich an den kulturellen Reichtümern der Gesellschaft zu erfreuen. Wenn man jedoch denjenigen in der Gesellschaft, die über solche Ressourcen nicht verfügen, eine solche Teilhabe ermöglichen will, muss man sie mit Ressourcen ausstatten, die man vorher jemand anderem weggenommen hat. Die Instanz, die eine solche Umverteilung vornehmen darf, ist der Staat. Offensichtlich haben sich in den verschiedenen Ländern der Welt recht unterschiedliche Vorstellungen entwickelt, welche Befugnisse ein solcher Staat haben darf. Ganz grob kann man zumindest zwei besonders einflussreiche Vorstellungen vom Staat unterscheiden: den Sozialstaat, in dem die Umverteilung im oben angesprochenen Sinne eine große Rolle spielt, und den (neo-)liberalen Staat, der sich im wesentlichen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlich fühlt und ansonsten insbesondere die Eigentumsrechte des Einzelnen respektiert.


2. Zum Wandel des Kultur- und des Kulturpolitikbegriffes

Im ersten Teil wurde kurz angesprochen, dass Kunst und Kultur zu den Hoffnungsträgern einer Humanisierung der Gesellschaft gehörten. Obwohl diese Position prominent von Philosophen und Künstlern vertreten und ausgearbeitet worden ist, hat sich jedoch im 19. Jahrhundert eine andere Entwicklung ergeben. Ich will auf diese Entwicklung nicht näher eingehen , sondern nur kurz das Verständnis von Kulturpolitik beschreiben, so wie es sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest in allen westlichen Ländern – entwickelt hat, damit man die Veränderungen besser verstehen kann, die in den späten sechziger Jahren eingesetzt haben. In diesen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich ein bewahrendes Verständnis von Kultur durchgesetzt, das – durchaus auf der Linie der Wortbedeutung von Kultur (colere = pflegen) – Kulturpflege als primäres kulturpolitisches Ziel anstrebte. Dahinter steckte implizit oder sogar explizit die Überzeugung, dass es einmal eine große Kunst gegeben habe, so dass die Aufgabe der Gegenwart darin besteht, diese zu bewahren und an die zukünftigen Generationen weiterzugeben. Entsprechend trugen die kulturpolitischen Ämter und Behörden „Kulturpflege“ im Namen. Etwas bösartig hat man die Menschen, die in dieser Weise Kulturpolitik betrieben haben, „verschlafene Schöngeister in Verwaltungsapparaten“ genannt. In einer solchen Kulturpolitik spielt das kulturelle Erbe eine große Rolle. Zentrale Orte bzw. Aufgabenfelder waren die Museen und der Denkmalschutz, und das Theater hat im wesentlichen die Aufgabe, die Klassiker immer wieder möglichst „werkgetreu“ auf die Bühne zu bringen. Dass hiermit eine legitime Aufgabe der Kulturpolitik beschrieben wird, muss nicht weiter begründet werden. Ein solches kulturpolitisches Grundverständnis ist zudem auch heute noch weiter verbreitet, als man vielleicht vermuten könnte. So hat sich kürzlich der deutsche Bundespräsident mit der Aufforderung an die Theaterschaffenden zu Wort gemeldet, sie mögen doch die Klassiker möglichst unverändert auf die Bühne bringen und dem Regietheater nicht zu viele Freiheiten in der Bearbeitung der Stücke zugestehen.
In den späten sechziger Jahren hat sich in vielen Ländern eine dynamische Entwicklung ergeben, die unterschiedliche Ursachen hat. Der Vietnamkrieg spielte natürlich eine Rolle, die Abrechnung der jüngeren mit der älteren Generation, ein immer deutlicheres Unbehagen am Kapitalismus und seinen Werten und Folgen. Es revoltierten die Studenten, die Lehrlinge, die Schüler, die Jugend insgesamt. „Demokratisierung“ war eines der Schlagworte, die eine Rolle spielten. Auch in den Künsten entwickelte sich ein anderes Selbstverständnis: ein Selbstverständnis des Machens, so dass sich Theaterautoren „Stückeschreiber“ nannten und sich vordringlich mit Problemen des Alltags und der Arbeitswelt der kleinen Leute befassten. Kunst sollte nicht mehr das Auratische sein, sondern sie sollte bei dem Erkennen und Bewältigen des Alltags helfen und vielleicht sogar zu einer politischen Intervention ermutigen.
Diese Prozesse fasst man heute unter dem Übergang von einem engen Kulturbegriff (Kultur = Kunst) zu einem weiten Kulturbegriff zusammen, den man etwas salopp als Kultur = Kunst + Lebensweise beschreiben kann. Interessanterweise streiten sich heute noch der Europarat und die Unesco darüber, wer diesen weiten Kulturbegriffs erfunden hat. Beide Organisationen erheben zurecht einen Anspruch auf Priorität. Man kann dies an den verschiedenen Konferenzen ablesen, die in beiden Kontexten durchgeführt worden sind: Helsinki 1972, Arc et Senon, ebenfalls 1972, Nairobi 1976 und schließlich die große Weltkulturkonferenz in Mexiko 1982. In all diesen Konferenzen wurde dieser weite Kulturbegriffs durchdekliniert. Es wurde beschrieben, was „Demokratisierung der Kultur“ bzw. „kulturelle Demokratie“ bedeuten könnten. In besonderer Weise waren es immer wieder die Kommunen, die das Entwicklungspotenzial von Kunst und Kultur erkannten und nutzen wollten. Man kann dies etwa an der bahnbrechenden Programmschrift des Deutschen Städtetages ablesen: „Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung“ (1973).
Bei dieser Ausdehnung und Politisierung des Kulturbegriffs kann man grob zwei Richtungen unterscheiden: eine sozial-revolutionäre und eine sozialreformerische Linie. Man kann dies ein wenig an den beiden genannten kulturpolitischen Leitzielen verdeutlichen. Die Demokratisierung der Kultur bedeutete zunächst einmal, dass vorhandene Kultureinrichtungen sich verstärkt um ein neues und größeres Publikum bemühen sollten. Sie sollten sich öffnen auch für solche Menschen, die bislang nicht zu den Nutzern gehörten. Es entstanden neue Berufsbilder, die diese Öffnung von Kultureinrichtungen vorantreiben sollten und deren Schwerpunkt daher auf Kulturvermittlung lag: Theaterpädagogen, Museums- oder Opernpädagogen. Kulturvermittlung wurde sehr stark als pädagogische Aufgabe betrachtet, was auch mit einem sehr bildungsbezogenen Verständnis von Kultur zu tun hat („Bildung als subjektive Seite von Kultur“). Es entstanden neue Kulturorte wie soziokulturelle Zentren oder Jugendkunstschulen, es entstanden freie Theater und Bürgerhäuser. Man entdeckte andere Kulturpraxen als lediglich kunstförmige: Man entdeckte die Alltagsgeschichte, man machte sich auf die Spurensuche nach den lokalen Wurzeln, man betrieb Stadtteilkulturarbeit und ergänzte die festen Kultureinrichtungen durch eine mobile Kulturarbeit. Animation socioculturelle war ein solcher Arbeitsansatz, mit dem man sich aufmachte, die bislang kulturfernen Bevölkerungsschichten zu aktivieren.
In vielen Dokumenten wurden die Slogans „Demokratisierung der Kultur“ und „kulturelle Demokratie“ fast synonym gebraucht. Doch sollte man nicht übersehen, dass „kulturelle Demokratie“ das weitergehendere Ziel war. Hierbei ging es nicht bloß darum, mehr Menschen in die kulturelle Praxis einzubeziehen, sondern es ging um einen Wandel in der politischen Gestaltung von Gesellschaft. Man wollte zum Teil reformerisch, zum Teil aber auch revolutionär eine andere, eine gerechtere und humanere Gesellschaft. In Kunst und Kultur hat man Motoren einer solchen gesellschaftlichen Veränderung gesehen. So deklinierte man systematisch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche im Hinblick auf von Kultur zu verursachende Veränderungen durch: Arbeit und Kultur, Stadtentwicklung und Kultur, Freizeit und Kultur, Jugend und Kultur etc. Kulturpolitik sollte eine Querschnittskompetenz quer durch alle anderen Fachressorts erhalten. Die (kulturelle) Krise, in der man die Industriegesellschaft sah, die allmählich an die „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome) stieß, sollte mit kulturellen Mitteln bewältigt werden.
Betrachtet man nunmehr 30 Jahre nach dieser Entwicklung die Ergebnisse eines solchen politischen Ansatzes, so fällt die Bewertung durchaus zwiespältig aus: Zum einen hat sich die kulturelle Infrastruktur und auch das Selbstverständnis der Kulturakteure nachhaltig geändert. Es gibt nunmehr neue Kulturorte, neue Kulturberufe, neue Vermittlungsstrategien. Kultur erfasst heute in der Tat mehr Menschen in der Gesellschaft. Allerdings muss man auch feststellen, dass weitreichende Ziele nicht erreicht wurden: Wir haben immer noch im wesentlichen dieselbe Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung; nach wie vor ist es nicht gelungen, mit denselben Kulturangeboten oder mit denselben Kultureinrichtungen alle Menschen zu erreichen. Die Ergebnisse der großen empirischen und theoretischen Studien des französischen Soziologen Pierre Bourdieu gelten vielmehr noch immer: Gerade Kunst und Ästhetik sind keine Medien, mit denen man Gemeinschaftlichkeit herstellen kann, sondern es sind Medien des Unterscheidens. Und diese Unterschiede, die sich im privaten Umgang mit Kunst und Ästhetik ergeben, haben durchaus eine erhebliche politische Relevanz, nämlich die Aufrechterhaltung der als ungerecht empfundenen Klassengesellschaft.
Auch die Soziokultur, insbesondere die Soziokulturellen Zentren, mussten einsehen, dass dieses „eherne Gesetz“ der Distinktion durch Kultur auch für sie gilt: Soziokulturelle Zentren erreichen andere und neue Schichten von Menschen, die bislang wenig mit dem traditionellen Kulturbetrieb zu tun hatten. Aber auch sie erreichen nur bestimmte Milieus und Lebensstile und keineswegs alle Menschen der Gesellschaft.

In den 90er Jahr des letzten Jahrhunderts kann man deutliche Ermüdungserscheinungen im Hinblick auf politisch-gesellschaftliche Zielstellungen in der Kultur feststellen. Das gibt eine deutliche Eventorientierung, vor allen Dingen in den Städten und Gemeinden. Kultur wird (volkswirtschaftlich) als Wirtschaftsfaktor, als Arbeitsmarkt, als Wertschöpfung entdeckt. Und es waren die Kulturakteure selber, die stolz auf ihre neue ökonomische Bedeutung waren. Nach den Volkswirtschaftlern kamen jedoch die Betriebswirtschaftler. Eine wichtige Rolle in der Ausdehnung des Kulturmanagements spielte dabei das berühmte Projekts Nr. 10: „Kultur und Region“ des Europarates. Im Kontext dieses Projektes wurde Kultur als Entwicklungsmotor für Städte und Regionen diskutiert, wobei der Schwierigkeit dieser Aufgabe mit einer Erhöhung bestimmter Kompetenzen innerhalb der Kulturverwaltung und Kulturorganisation begegnet werden sollte. Beschleunigt wurde die Durchsetzung des Kulturmanagements auch durch die Krise der öffentlichen Finanzen, die neue Strategien im Umgang mit den Ressourcen notwendig machte.

3. Zur aktuellen Situation

Wir haben gesehen, dass eine gesellschaftspolitisch ambitionierte Kulturpolitik der sechziger und siebziger Jahre in den späten achtziger Jahren zu einem gewissen Ende gekommen ist. Man kann sich daher fragen, was denn die früheren Akteure eines solchen kulturpolitischen Ansatzes heute tun.
Der Europarat, der in der Durchsetzung einer solchen gesellschaftspolitisch engagierten Kulturpolitik eine wichtige Rolle gespielt hat, ist sehr ruhig geworden. Die letzte große Aktivität des Europarates geschah in meiner Wahrnehmung rund um den Weltkongress zur Kulturpolitik in Stockholm im Jahre 1998, als als offiziöser europäischer Beitrag zur Weltdekade Kultur und Entwicklung der UN die ambitionierte und kluge Schrift „In from the Margins“ vorgelegt worden ist, in der ganz in der Manier der siebziger Jahre das humanisierende und gesellschaftsverändernde Potenzial von Kultur gerade im Hinblick auf Benachteiligung und Ausschluss durchdekliniert wurde.
Lebendig geblieben ist dagegen die Unesco. Im Unesco-Kontext wurden alle neuen gesellschaftspolitischen Probleme aufgegriffen und in den Konzeptionen der Kulturpolitik berücksichtigt: Nachhaltigkeit, Entwicklung und Armut und – aktuell – Vielfalt gehören inzwischen zu den Leitkategorien der Kulturpolitik der Unesco.
Neben diesen etablierten Akteuren einer internationalen Kulturpolitik muss man sich allerdings heute damit auseinander setzen, dass ganz neue Akteure auf der Bühne in Erscheinung treten, bei denen man ein kulturpolitisches Engagement und eine entsprechende Kompetenz zunächst einmal nicht vermutet. Hier ist in erster Linie an die Welthandelsorganisation WTO zu denken, auf die später noch einmal zurückzukommen sein wird.

Trotz der dynamischen Entwicklung auf der Ebene kulturpolitischer Konzepte, so wie ich sie für die Unesco angedeutet habe, hat die nationale Kulturpolitik (nicht nur in Deutschland) inzwischen erhebliche Legitimationsprobleme. Man kann dies etwa daran ablesen, dass spezifische politische Zuständigkeiten für Kultur in Regierungen oder Stadtverwaltungen abgebaut werden, so dass man fast auf ein gewisses Desinteresse seitens der Politik schließen kann. Es gibt zudem eine wachsende Unsicherheit bei den Künstlerinnen und Künstlern sowie bei den Kultureinrichtungen selbst, was denn der Zweck von Kunst und Kultur sein soll. Und es gibt eine wachsende Nachfrage nach handfester Evaluation, inwieweit die gelegentlich etwas vollmundigen Ziele, die man mit Kunst und Kultur erreichen will, auch tatsächlich erreicht worden sind.
Wenn es in einigen Ländern gelungen ist, die Relevanz von Kulturpolitik zu erhalten, dann geschah dies oft in Verbindung mit gesellschaftspolitischen Zielen. Ein solches Ziel ist etwa „sozialer Zusammenhang“ (social coherence). Man bindet eine Kulturförderung an das ausdrückliche Ziel, im Umkreis der Kultureinrichtungen, im Stadtteil oder in der Kommune einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Gewalt in der Gesellschaft abnimmt, dass die Menschen Möglichkeiten wahrnehmen, aus isolierten Situationen auszubrechen, dass ein anderes soziales Klima herrscht. Diese Ansätze sind natürlich nicht unumstritten, sondern sie ziehen vielmehr die Kritik von solchen Menschen auf sich, die das Autonome an der Kunst in den Vordergrund stellen. Sehr schnell ist dann von Instrumentalisierung und Funktionalisierung von Kunst die Rede. Interessant ist, dass sich gerade im Hinblick auf diese soziale Wirksamkeit neue Ansätze einer Überprüfung ergeben haben, die uns in die Lage versetzen, bestimmte Wirkungsbehauptungen auch zu belegen.

Ich habe oben angesprochen, dass mit der Welthandelsorganisation WTO ein ganz neuer Akteur auf der Bühne der internationalen Kulturpolitik aufgetreten ist. Man muss sich verdeutlichen, dass öffentliche Kulturpolitik nicht lediglich bedeutet, Mittel für die Kunstförderung bereitzustellen. Kulturpolitik schließt auch ein, dass Rahmenbedingungen für eine künstlerische und kulturelle Praxis geschaffen werden. Zur Kulturpolitik gehört etwa im Hinblick auf einen funktionierenden Literaturbereich die Bindung von Buchpreisen, es gehört dazu, dass Kunstwerke in vielen Ländern mit einem reduzierten Steuersatz belegt werden, es gehören hierzu Fragen der Steuererleichterung etwa durch die Zuerkennung von Gemeinnützigkeit. All dies sind kulturpolitische Instrumente, die sicherstellen sollen, dass kulturelle Vielfalt erhalten bleibt.
Mit der Welthandelsorganisation hat all dies insofern zu tun, als es seit 1995 das Welthandelsabkommen GATS gibt, das sich die Liberalisierung von Dienstleistungen zum Ziel gesetzt hat. Mit uns hat das zu tun, weil der Dienstleistungsbegriff in diesem Abkommen ausgesprochen weit gefasst ist. Insbesondere erfasst er neben sozialen und gesundheitlichen Dienstleistungen eben auch kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen. Kultur und Medien werden in diesem Ansatz ausschließlich in ihrem Warencharakter betrachtet, so dass das Ziel der Marktliberalisierung auch auf diesen Bereich übertragen werden kann. Dies bedeutet unter anderem, dass jede staatliche Einmischung – etwa durch die oben genannten kulturpolitischen Instrumente der Buchpreisbindung etc. – vermieden werden muss. Nicht zulässig wären zudem Maßnahmen einer finanziellen Kulturförderung, weil diese als Subventionen aufgefasst werden.
Ein Kulturbereich, der ausschließlich der Marktrationalität und dies auch noch in dieser neoliberalen Auffassung unterliegt, hätte erhebliche Probleme, bestimmte politische Ziele der Kulturpolitik noch zu erreichen. So gibt es inzwischen eindrucksvolle Länderstudien, in denen gezeigt wird, wie durch solche marktwirtschaftliche Strategien das gesamte Literaturleben oder auch die Filmwirtschaft zu Grunde gehen kann. Aus diesem Grunde hat sich weltweit Widerstand gegen die Ausdehnung der Zuständigkeit der Welthandelsorganisation und des GATS-Abkommens auf Kultur und Kunst formiert. Eine erste Strategie besteht darin, den Kulturbereich aus dem Wirkungsfeld von GATS herauszuhalten. Dies ist deshalb nicht leicht, weil in vielen einflussreichen Ländern (z. B. USA) eine Kulturpolitik nach kontinental-europäischem Muster nicht bekannt ist. Zudem ist der umverteilende Sozialstaat, der auch für die Durchsetzung des Menschenrechtes auf kulturelle Teilhabe notwendig ist, international erheblich in Bedrängnis geraten.
Eine zweite Strategie wird zur Zeit im Kontext der Unesco diskutiert. Dort wird eine Konvention zur kulturellen Vielfalt erarbeitet , die ein weiteres völkerrechtliches Instrument sein soll, um die Dominanz einer ökonomischen Sichtweise im Kulturbereich zu verhindern. Es ist zur Zeit noch durchaus offen, ob und wie es gelingen kann, diese Konvention zu einem hinreichend starken Schutzmechanismus gegen die Ökonomisierung und vor allen Dingen gegen die Welthandelsorganisation zu machen. Schwierig ist dies deshalb, weil mit der Diskussion über eine solche Konvention eine gewisse Gegnerschaft gegen eine andere Weltorganisation erklärt werden würde, was für die Unesco durchaus Neuland bedeutet. Man muss sich verdeutlichen, dass die Mitglieder der Unesco zu einem großen Teil auch Mitglieder der Welthandelsorganisation sind.


4. Schlussbemerkungen

1.\tDer Beschreibung der Situation von Künstlerinnen und Künstlern und von Kultureinrichtungen im Ausschreibungstext zu dieser Tagung, dass nämlich der ökonomische Druck und somit die Kompetenzerfordernisse wachsen, kann ich nicht nur zustimmen. Ich sehe sie sogar im Hinblick auf die Welthandelsorganisation und die neuen global player der Kulturpolitik fast noch dramatischer.

2.\tWill man eine öffentliche Verantwortung für Kulturpolitik – und dies meint wie gesehen nicht bloß Kulturförderung, sondern auch gesetzliche Rahmenbedingungen – aufrechterhalten, dann muss insbesondere das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe aller sichergestellt werden. Zurecht ist daher die Frage nach dem Publikum eine ganz entscheidende: Es geht hierbei sowohl um die ökonomische Frage der Einnahmen, es geht jedoch auch um die Überzeugung, dass Kunst und Kultur einen Wert für alle darstellen. Und letztlich geht es auch darum, dass die Basis für eine Legitimität eines öffentlichen Engagements für Kultur und Kulturpolitik nur eine große Zahl von Menschen sein kann, die dies auch wollen.

3.\tWir überlegen daher im Deutschen Kulturrat schon seit längerer Zeit, wie sich eine bundesweite Kampagne realisieren ließe, die in einer Art unspezifischer Sympathiewerbung die Menschen vom Wert der Kunst überzeugen kann.

4.\tNur wenn uns dies gelingt, werden wir auch Erfolg haben in dem Kampf gegen die Welthandelsorganisation und GATS.


Den Begriff der Profession habe ich am Anfang meines Beitrages mit einem gewissen humanistischen Selbstverständnis der beruflichen Tätigkeit in Verbindung gebracht: Professionelle zeichnen sich durch ein hohes Ethos aus. Ich habe zudem gezeigt, dass und wie insbesondere Künstlerinnen und Künstler in dieser Hinsicht „Professionelle“ sind. Berufsbilder und insbesondere die spezifischen Berufsbilder, die man „Professionen“ nennt, entstehen nicht im Selbstlauf, sondern müssen und können gestaltet werden. Die kulturelle Praxis und die Kulturpolitik brauchen heute Kulturmanagement. Es ist daher aus meiner Sicht müßig, darüber nachzudenken, ob es ein Fluch oder ein Segen ist: Es ist schlicht unvermeidlich. Allerdings wäre es zu wünschen, dass sich das Kulturmanagement als Profession in dem oben skizzierten emphatischen, vielleicht sogar heroischen Sinn entwickelt, es also mit einem hohen beruflichen Ethos Marktstrategien beherrscht und sich nicht von diesen beherrschen lässt, etwa um das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe durchsetzen zu helfen.


Anhang