Buerer, Margrit
Kultur für alle - zwanzig Jahre Kulturmobil: Idee und Modell zur Demokratisierung der Kultur
Vortrag: Symposium "Professionalisierung - Fluch oder Segen", Kartause Ittingen, 25./26.5.2005 Die folgenden Ortsnamen stehen für Kulturmobil - sie stehen für die Vielfalt, das kulturelle Interesse und das Potenzial an Ausdruckformen der breiten Bevölkerung. Flächendeckend.
Mit den Ortsnamen sind unterschiedlichste Kulturprojekte verbunden, umgesetzt auf partizipativer Basis von Vereinen oder eigens gebildeten Gruppen, basierend auf den vor Ort vorhandenen Ideen und Anliegen, unterstützt mittels Know-how und technischer Infrastruktur.
·\tIn Meien, einem Bergdorf, haben die BewohnerInnen ihre durch die Jahreszeiten bedingten Lebensrealitäten in einem Videofilm dokumentiert, um sich gegen die drohende Schliessung der Dorfschule und die zunehmende Abwanderung zur Wehr zu setzen.
·\tIn Schüpfheim haben sich die sechs im Tal aktiven Bands zusammengefunden und das erste Entlebucher-Rockfestival veranstaltet.
·\tIn Chalais, Réchy, Vercorin ist die kulturelle Regionalzeitung "Place publique" auf die Beine gestellt worden.
·\tMaloja steht für ein Projekt, in dem Jugendliche aus italienischsprachigen Bündnertälern ihre Meinungen, Vorstellungen und Wünsche in einem Video festhalten.
·\tIn Luthern wollte der Gemeindepräsident eine Kulturkommission ins Leben rufen und hat einen Prozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf sich viele TalbewohnerInnen aktiv den eigenen Wurzeln zuwandten, Geschichten, Sagen und anderen Zeichen aus dem Napfgebiet nachgingen und zwei Kulturwochen gestalteten.
·\tIn Ste. Croix ist es gelungen, das Kino Mon Ciné vor der Schliessung zu retten und einer Kooperative zu übergeben.
·\tIn Surrein hat das erste rätoromanische Filmfestival Gestalt genommen.
·\tIn Bellinzona hat eine Gruppe musikalisch Interessierter die Geschichte und die Bedeutung des Horns in einer Ausstellung aufgearbeitet und mit Workshops den Austausch mit professionellen Hornbläsern gefördert.
·\tAttalens ist ein Beispiel für eines der vielen Theaterprojekte.
·\tIn Appenzell wird ein Kultur- und Jugendtreff aufgebaut.
Aus diesen konkreten Beispielen wird deutlich: Kulturmobil ist ein Instrument der Kulturförderung für Initiativen in allen Landesgegenden, eine Antenne für die Anliegen der breiten Bevölkerung (écoute du terrain), ist ein Team von professionellen Projektbegleitenden und zwei Kleinlastwagen mit Infrastruktur. Und: Kulturmobil ist Teil und Zeuge des erfolgten Wertewandels innerhalb des Kulturbereichs der letzten 20 Jahre.
Zur Geschichte von Kulturmobil
Vor 22 Jahren, im März 1983, hat hier in der Kartause Ittingen der Stiftungsrat von Pro Helvetia Kulturmobil lanciert. In derselben Versammlung wurde auch die Gründung des Centre
Culturelle Suisse in Paris beschlossen. Die beiden Entscheide stehen für den damaligen Geist der kulturpolitischen Debatte, in dem ein befruchtendes Sowohl-als-Auch möglich war, also Öffnung gegen aussen mit dem Ziel, aufstrebenden Schweizer KünstlerInnen in Paris eine Plattform zu bieten, und Engagement gegen Innen, in der Absicht, die kulturellen Aktivitäten der breiten Bevölkerung, auch ausserhalb der städtischen Zentren, anzuerkennen und zu unterstützen.
Dieser Entscheid lehnte sich an den 1975 erschienenen Clottu-Bericht zur Situation der Kultur in der Schweiz an, der sich vertieft der Rolle der Kultur innerhalb der Gesellschaft widmete und ein Schwergewicht in der Kulturvermittlung legte und fragte, wie möglichst alle Bevölkerungskreise am kulturellen Leben teilhaben konnten. Animation wurde damals zu einem Schlüsselbegriff der Kulturpolitik. Mit anderen Worten: Ausgangspunkt für die Initiierung von Kulturmobil waren kulturpolitische Anliegen.
Dank des damaligen Mutes zu Experimenten konnte eine Idee in Fahrt gebracht werden, die zu jener Zeit quer zur Geschichte der Institution stand, aber gleichzeitig aktuelle gesellschaftliche Aufbrüche und Debatten um Kunst und Kultur aufgriff. Erinnert sei hier an die bekannten Forderungen der 80er-Unruhen: Kultur für alle - Kultur von allen, Freiräume für alternative Kultur, Umverteilung der Subventionen der etablierten Institutionen. In Zürich ging es um das Opernhaus oder die Rote Fabrik. Und Kulturmobil war eine mögliche Antwort auf diese Diskussionen um die Demokratisierung der Kultur. Die Absicht von Pro Helvetia war, etwas anzustossen, das sie später den Kantonen übergeben konnte. Man träumte von einer Karawane von 20 Kulturmobilen und liess dementsprechend einen Prototyp eines Busses anfertigen.1984 - nach einer kurzen Vorbereitungsphase - startete Kulturmobil im Valle Muggio im Tessin, 2004 hat in Unterwasser das letzte Projekt stattgefunden.
Die Fördertätigkeit von Kulturmobil
Die Fördertätigkeit von Kulturmobil anerkannte die eigenen kulturellen Ausdrucksformen und Möglichkeiten der breiten Bevölkerung. Die professionellen ProjektbegleiterInnen leisteten einen Service, sie stellten ihr Know-how zur Verfügung, begleiteten ein Projekt von der Idee bis zur Durchführung und zogen je nach Erfordernis spezifische Fachleute bei (Videofachfrau, Instrumentenbauer, Szenograf, Musiker, Siebdruckerin usw.). Kulturmobil stellte zudem eine Infrastruktur (Zelt, Bühne, Video, Ton, Licht, Fotografie usw.) zur Verfügung und übernahm Kosten von max. CHF 1'500.-.
Wer wurde unterstützt?
Grundsätzlich waren alle angesprochen. Voraussetzung für eine Unterstützung war eine mehr oder weniger konkrete Anfrage - nicht in Form eines Gesuchs, sondern eines Anrufs. Bei einem ersten Treffen klärten die Projektbegleitenden ab, ob die Kriterien für eine Unterstützung erfüllt waren. Falls ja, wurden die gegenseitigen Erwartungen an die Zusammenarbeit, die Bedingungen und das weitere Vorgehen ausgehandelt. Damit begann ein Prozess, der die kulturellen Eigenheiten und Bedürfnisse der Beteiligten respektierte und gleichzeitig Neues
antizipierte. Anfragen erfolgten durch direkte Kontaktaufnahme, als Folge der Mund zu Mund Propaganda, durch die Vermittlung von MultiplikatorInnen oder - und das in der Mehrheit der Fälle - aus der Prospektion der ProjektbegleiterInnen: dem Aufspüren von Projektvorhaben und aktiven Personen.
Eine breite Öffentlichkeitsarbeit ist in der Natur der Sache ein schwieriges Unterfangen. Sie schafft eher eine Nachfrage, als dass sie die "richtigen" Leute und Gruppen erreicht. Zudem galt es für Kulturmobil, der Anziehungskraft der handfesten Lastwagen zu widerstehen: Es war ein dauerndes Seilziehen, die Bedeutung der Lastwagen ins richtige Licht zu rücken, respektive die
Schweinwerfer von der Infrastruktur weg auf die Projekte der Leute zu richten. Das Bild, das sich zu Beginn festgemacht hatte, Kulturmobil bringe (mittels des Mobils) die Kultur zu den Leuten in die abgelegenen Gegenden, ist bis zum Schluss in vielen Köpfen hängen geblieben.
Welche Prinzipien lagen der Arbeit zu Grunde?
Ausgangspunkt und Ziel war die Valorisierung – die Wertschätzung und Anerkennung - der vor Ort vorhandenen Kultur. Die Unterstützung galt der Peripherie, verstanden nicht alleine in
einer räumlichen Dimension, sondern auch bezüglich der Resonanz auf ein Thema oder der gesellschaftlichen Akzeptanz einer Gruppe. Partizipation war Ziel und Methode zugleich. Damit war ein ressourcenorientierter Ansatz verbunden, der die Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung ins Zentrum stellte. Die Projekte waren im lokalen Kontext verortet ohne sich gegenüber der regionalen und nationalen Perspektive zu verschliessen. Die Einmaligkeit der Ereignisse und die Offenheit der Projektgruppen für Interessierte standen im Vordergrund (nicht die x-te Aufführung des lokalen Theatervereins, sondern nur etwas Aussergewöhnliches, z.B. ein Jubiläum, ein Zusammenschluss mit anderen Theatern, mit neuen Partnern wurde unterstützt). Wichtig waren Vernetzung und Nachhaltigkeit (Aufbau von Kontakten, Know-how
für weitere eigene Projekte). Die Arbeit basierte grösstenteils auf untentgeltlicher Freiwilligenarbeit und die technische Infrastruktur wurde nur soweit als nötig und so wenig
als möglich eingesetzt. In erster Linie wurde auf die in der Region vorhandenen Mittel zurückgegriffen - damit eine spätere Aktivität nicht von einer Kulturmobilunterstützung abhängig wurde.
Die realisierten Projekte spiegeln die gesellschaftlichen Bewegungen und Fragen der letzten zwanzig Jahre wieder. Drei Schwerpunkte lassen sich ausmachen:
·\tDie Bedeutung von Begegnungen, Festen verschiedenster Art (oft im Zusammenhang mit Jahrfeiern) in einem Dorf, einem Kulturverein oder einer eigens entstandenen Gruppe
-> Développement communautaire
·\tAnlass für viele Projekte war das Anliegen nach Räumen für kulturelle Aktivitäten - mit einem Schwergewicht bei Jugendkulturen
·\tInhaltlich ging es öfters um Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und Wahrung eigener Lebensformen
Eine Reihe von Veränderungen lassen sich in den 20 Jahren Kulturmobil beobachten. Die Zahl der jährlich unterstützten Projekte nahm ab, während die Dauer der Projeke merklich zunahm. Das Know- how für Projektarbeit stieg über die Jahre, denn Projektarbeit kam auch zunehmend andernorts zum Tragen. Andererseits ist die Freiwilligenarbeit merklich zurückgegangen, wie auch die Bereitschaft und die Möglichkeit, längerfrstige Verpflichtungen einzugehen. Die Projektverantwortung hat sich zunehmend auf wenige Leute konzentriert und analog der Entwicklung im Kulturbereich wurden arbeitsteilige Prozesse gewählt. Infrastrukturen waren mit der Zeit häufiger schon vorhanden. Während die Möglichkeit der Umsetzung eigener Ideen an Attraktivität verlor, wurde ein zunehmendes Interesse an der Teilnahme / Mitgestaltung von Projekten spürbar, die einen Rahmen bieten und zur Mitarbeit einladen. Dieser Einbezug wurde beiderseits als Bereicherung erfahren. Während Kulturmobil in die Jahre kam und mit konzeptionellen Fragen rang, in welche Richtung eine Weiterentwicklung gehen könnte, wurde von aussen ein Interesse am Modell virulent. Auch aus dem Ausland. Gerade für den interkulturellen Dialog wurde das Modell als relevant erachtet.
Warum gibt es Kulturmobil nicht mehr?
Eine Reihe unterschiedlicher Gründe im Projekt selber und in der Veränderung des gesellschaftlichen Umfeldes lassen sich als Erklärung für das Ende von Kulturmobil heranziehen.
Zum Einen, hat sich eines der der Kulturmobilarbeit zugrunde liegenden Ziele - die Erweiterung
des Zugangs zu Kultur - weitgehend erfüllt. Dann bestätigen sich mit Projektverlauf von Kulturmobil ganz einfach die Regeln des unausweichlichen Endes von Projekten: Jede Initiative, die von den Utopien einer Zeit lebt, läuft Gefahr, mit der Zeit an Dynamik einzubüssen. Kulturmobil war per Definition keine soziokulturelle Institution, sondern ein Anreizmittel, ein Förderinstrument, welches unterwegs war und auf Einzelprojekte fokussierte. Zum anderen hat sich das gesellschaftliche Umfeld verändert. Die kulturpolitische Bewegung wurde durch andere gesellschaftspolitisch motivierte Bewegungen, in deren Umfeld ähnliche Methoden der Partizipation angewandt wurden, abgelöst. Gemeinschaften, Szenen wurden unübersichtlicher, kurzfristiger. Einzelne hatten weniger Zeit für ein längerfristiges Engagement – auch aufgrund der zunehmenden Arbeitsplatzunsicherheit. Allgemein ist weniger Zeit für Learning-by-doing vorhanden. Zudem hat Soziokultur in der Schweiz einen sozialen Touch bekommen und wird innerhalb der Kulturszene stark mit Sozialarbeit konnotiert. Die Ausbildungen in soziokultureller Animation sind zum Beispiel im Sozialen Bereich angesiedelt. Veränderungen im Kulturbereich an sich sind ebenfalls festzustellen. Kultur hat an Bedeutung gewonnen und wir sind mit einem riesigen Angebot und der Professionalisierung von Kultur mit allen Nebenerscheinungen konfrontiert: Arbeitsteilung, Messen an Return of Investment, Abnahme von Freiwilligenarbeit
und Abgrenzung gegenüber "Nichtprofis". Darin kommt eine Veränderung in der Begrifflichkeit zum Ausdruck: Früher war nicht von Laien und Profis die Rede. Sondern von der Basis, den Freiwilligen und der bezahlten Kulturarbeit. Ausbildungsgänge für Kulturmanagement sind entstanden, haben auf die neuen Bedürfnisse reagiert. Der Zugang zur Kultur wurde breit geöffnet. Doch glaubt man den Zahlen des Bundesamtes für Statistik, konnte die Zahl der potentiellen NutzerInnen nicht gesteigert werden.
Die Positionierung von Pro Helvetia hat sich ebenfalls verändert: Angesichts der knappen Finanzmittel und angesichts der wachsenden Ansprüche von Seiten der professionell Tätigen
hat sich Pro Helvetia von der Soziokultur abgewendet und konzentriert sich auf die Unterstützung von Kunstschaffenden. Veränderte Rahmenbedingungen sind auch auf der Ebene der Kulturpolitik festzustellen. Das Ausführungsgesetz zum Kulturartikel in der Verfassung ist in Arbeit. Damit ist die verfassungsrechtliche Grundlage für Kulturförderung geschaffen. Doch die aktuelle Finanzsituation lässt wenig Hoffnung für zusätzliche Mittel für die Kultur. Die im Zug des Kulturförderungsgesetzes anstehende Aufgabenteilung sieht vor, dass Pro Helvetia sich primär auf die nationale und internationale Arbeit konzentriert. Die Kantone beanspruchen die Hoheit über die Unterstützung lokaler Aktivitäten.
Durch die Einstellung von Kulturmobil geht Einiges verloren: Die Sicht von Aussen auf ein regionales Projekt; die Verbindung von lokalen, regionalen mit nationalen Interessen, die Anerkennung seitens staatlicher Kulturförderinstitutionen für lokale Aktivitäten und eine unmittelbare Erfahrung, die Verständnis schafft für die Notwendigkeit einer Kulturförderung.
Und nach dem Kulturmobil?
Wird es Konzepte und Strategie geben, die sowohl die Reflexion von kulturellen Aspekten des Alltags ermöglichen als auch zur aktiven Gestaltung einladen, breite Bevölkerungskreise am kulturellen Leben teilhaben lassen und Verbindungen zwischen kulturellen Milieus herstellen,
dem Gleichgewicht zwischen sogenannten Profis und Laien Sorge tragen, Auseinandersetzungen mit aktuellen, brennenden Fragen wie zum Zusammenleben verschiedener Kulturen oder zum Zusammenhalt von Stadt und Land ermöglichen und Deutungs- und Identifikationsangebote schaffen?
Wir sind gespannt auf die Auseinandersetzung.
Mit den Ortsnamen sind unterschiedlichste Kulturprojekte verbunden, umgesetzt auf partizipativer Basis von Vereinen oder eigens gebildeten Gruppen, basierend auf den vor Ort vorhandenen Ideen und Anliegen, unterstützt mittels Know-how und technischer Infrastruktur.
·\tIn Meien, einem Bergdorf, haben die BewohnerInnen ihre durch die Jahreszeiten bedingten Lebensrealitäten in einem Videofilm dokumentiert, um sich gegen die drohende Schliessung der Dorfschule und die zunehmende Abwanderung zur Wehr zu setzen.
·\tIn Schüpfheim haben sich die sechs im Tal aktiven Bands zusammengefunden und das erste Entlebucher-Rockfestival veranstaltet.
·\tIn Chalais, Réchy, Vercorin ist die kulturelle Regionalzeitung "Place publique" auf die Beine gestellt worden.
·\tMaloja steht für ein Projekt, in dem Jugendliche aus italienischsprachigen Bündnertälern ihre Meinungen, Vorstellungen und Wünsche in einem Video festhalten.
·\tIn Luthern wollte der Gemeindepräsident eine Kulturkommission ins Leben rufen und hat einen Prozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf sich viele TalbewohnerInnen aktiv den eigenen Wurzeln zuwandten, Geschichten, Sagen und anderen Zeichen aus dem Napfgebiet nachgingen und zwei Kulturwochen gestalteten.
·\tIn Ste. Croix ist es gelungen, das Kino Mon Ciné vor der Schliessung zu retten und einer Kooperative zu übergeben.
·\tIn Surrein hat das erste rätoromanische Filmfestival Gestalt genommen.
·\tIn Bellinzona hat eine Gruppe musikalisch Interessierter die Geschichte und die Bedeutung des Horns in einer Ausstellung aufgearbeitet und mit Workshops den Austausch mit professionellen Hornbläsern gefördert.
·\tAttalens ist ein Beispiel für eines der vielen Theaterprojekte.
·\tIn Appenzell wird ein Kultur- und Jugendtreff aufgebaut.
Aus diesen konkreten Beispielen wird deutlich: Kulturmobil ist ein Instrument der Kulturförderung für Initiativen in allen Landesgegenden, eine Antenne für die Anliegen der breiten Bevölkerung (écoute du terrain), ist ein Team von professionellen Projektbegleitenden und zwei Kleinlastwagen mit Infrastruktur. Und: Kulturmobil ist Teil und Zeuge des erfolgten Wertewandels innerhalb des Kulturbereichs der letzten 20 Jahre.
Zur Geschichte von Kulturmobil
Vor 22 Jahren, im März 1983, hat hier in der Kartause Ittingen der Stiftungsrat von Pro Helvetia Kulturmobil lanciert. In derselben Versammlung wurde auch die Gründung des Centre
Culturelle Suisse in Paris beschlossen. Die beiden Entscheide stehen für den damaligen Geist der kulturpolitischen Debatte, in dem ein befruchtendes Sowohl-als-Auch möglich war, also Öffnung gegen aussen mit dem Ziel, aufstrebenden Schweizer KünstlerInnen in Paris eine Plattform zu bieten, und Engagement gegen Innen, in der Absicht, die kulturellen Aktivitäten der breiten Bevölkerung, auch ausserhalb der städtischen Zentren, anzuerkennen und zu unterstützen.
Dieser Entscheid lehnte sich an den 1975 erschienenen Clottu-Bericht zur Situation der Kultur in der Schweiz an, der sich vertieft der Rolle der Kultur innerhalb der Gesellschaft widmete und ein Schwergewicht in der Kulturvermittlung legte und fragte, wie möglichst alle Bevölkerungskreise am kulturellen Leben teilhaben konnten. Animation wurde damals zu einem Schlüsselbegriff der Kulturpolitik. Mit anderen Worten: Ausgangspunkt für die Initiierung von Kulturmobil waren kulturpolitische Anliegen.
Dank des damaligen Mutes zu Experimenten konnte eine Idee in Fahrt gebracht werden, die zu jener Zeit quer zur Geschichte der Institution stand, aber gleichzeitig aktuelle gesellschaftliche Aufbrüche und Debatten um Kunst und Kultur aufgriff. Erinnert sei hier an die bekannten Forderungen der 80er-Unruhen: Kultur für alle - Kultur von allen, Freiräume für alternative Kultur, Umverteilung der Subventionen der etablierten Institutionen. In Zürich ging es um das Opernhaus oder die Rote Fabrik. Und Kulturmobil war eine mögliche Antwort auf diese Diskussionen um die Demokratisierung der Kultur. Die Absicht von Pro Helvetia war, etwas anzustossen, das sie später den Kantonen übergeben konnte. Man träumte von einer Karawane von 20 Kulturmobilen und liess dementsprechend einen Prototyp eines Busses anfertigen.1984 - nach einer kurzen Vorbereitungsphase - startete Kulturmobil im Valle Muggio im Tessin, 2004 hat in Unterwasser das letzte Projekt stattgefunden.
Die Fördertätigkeit von Kulturmobil
Die Fördertätigkeit von Kulturmobil anerkannte die eigenen kulturellen Ausdrucksformen und Möglichkeiten der breiten Bevölkerung. Die professionellen ProjektbegleiterInnen leisteten einen Service, sie stellten ihr Know-how zur Verfügung, begleiteten ein Projekt von der Idee bis zur Durchführung und zogen je nach Erfordernis spezifische Fachleute bei (Videofachfrau, Instrumentenbauer, Szenograf, Musiker, Siebdruckerin usw.). Kulturmobil stellte zudem eine Infrastruktur (Zelt, Bühne, Video, Ton, Licht, Fotografie usw.) zur Verfügung und übernahm Kosten von max. CHF 1'500.-.
Wer wurde unterstützt?
Grundsätzlich waren alle angesprochen. Voraussetzung für eine Unterstützung war eine mehr oder weniger konkrete Anfrage - nicht in Form eines Gesuchs, sondern eines Anrufs. Bei einem ersten Treffen klärten die Projektbegleitenden ab, ob die Kriterien für eine Unterstützung erfüllt waren. Falls ja, wurden die gegenseitigen Erwartungen an die Zusammenarbeit, die Bedingungen und das weitere Vorgehen ausgehandelt. Damit begann ein Prozess, der die kulturellen Eigenheiten und Bedürfnisse der Beteiligten respektierte und gleichzeitig Neues
antizipierte. Anfragen erfolgten durch direkte Kontaktaufnahme, als Folge der Mund zu Mund Propaganda, durch die Vermittlung von MultiplikatorInnen oder - und das in der Mehrheit der Fälle - aus der Prospektion der ProjektbegleiterInnen: dem Aufspüren von Projektvorhaben und aktiven Personen.
Eine breite Öffentlichkeitsarbeit ist in der Natur der Sache ein schwieriges Unterfangen. Sie schafft eher eine Nachfrage, als dass sie die "richtigen" Leute und Gruppen erreicht. Zudem galt es für Kulturmobil, der Anziehungskraft der handfesten Lastwagen zu widerstehen: Es war ein dauerndes Seilziehen, die Bedeutung der Lastwagen ins richtige Licht zu rücken, respektive die
Schweinwerfer von der Infrastruktur weg auf die Projekte der Leute zu richten. Das Bild, das sich zu Beginn festgemacht hatte, Kulturmobil bringe (mittels des Mobils) die Kultur zu den Leuten in die abgelegenen Gegenden, ist bis zum Schluss in vielen Köpfen hängen geblieben.
Welche Prinzipien lagen der Arbeit zu Grunde?
Ausgangspunkt und Ziel war die Valorisierung – die Wertschätzung und Anerkennung - der vor Ort vorhandenen Kultur. Die Unterstützung galt der Peripherie, verstanden nicht alleine in
einer räumlichen Dimension, sondern auch bezüglich der Resonanz auf ein Thema oder der gesellschaftlichen Akzeptanz einer Gruppe. Partizipation war Ziel und Methode zugleich. Damit war ein ressourcenorientierter Ansatz verbunden, der die Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung ins Zentrum stellte. Die Projekte waren im lokalen Kontext verortet ohne sich gegenüber der regionalen und nationalen Perspektive zu verschliessen. Die Einmaligkeit der Ereignisse und die Offenheit der Projektgruppen für Interessierte standen im Vordergrund (nicht die x-te Aufführung des lokalen Theatervereins, sondern nur etwas Aussergewöhnliches, z.B. ein Jubiläum, ein Zusammenschluss mit anderen Theatern, mit neuen Partnern wurde unterstützt). Wichtig waren Vernetzung und Nachhaltigkeit (Aufbau von Kontakten, Know-how
für weitere eigene Projekte). Die Arbeit basierte grösstenteils auf untentgeltlicher Freiwilligenarbeit und die technische Infrastruktur wurde nur soweit als nötig und so wenig
als möglich eingesetzt. In erster Linie wurde auf die in der Region vorhandenen Mittel zurückgegriffen - damit eine spätere Aktivität nicht von einer Kulturmobilunterstützung abhängig wurde.
Die realisierten Projekte spiegeln die gesellschaftlichen Bewegungen und Fragen der letzten zwanzig Jahre wieder. Drei Schwerpunkte lassen sich ausmachen:
·\tDie Bedeutung von Begegnungen, Festen verschiedenster Art (oft im Zusammenhang mit Jahrfeiern) in einem Dorf, einem Kulturverein oder einer eigens entstandenen Gruppe
-> Développement communautaire
·\tAnlass für viele Projekte war das Anliegen nach Räumen für kulturelle Aktivitäten - mit einem Schwergewicht bei Jugendkulturen
·\tInhaltlich ging es öfters um Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und Wahrung eigener Lebensformen
Eine Reihe von Veränderungen lassen sich in den 20 Jahren Kulturmobil beobachten. Die Zahl der jährlich unterstützten Projekte nahm ab, während die Dauer der Projeke merklich zunahm. Das Know- how für Projektarbeit stieg über die Jahre, denn Projektarbeit kam auch zunehmend andernorts zum Tragen. Andererseits ist die Freiwilligenarbeit merklich zurückgegangen, wie auch die Bereitschaft und die Möglichkeit, längerfrstige Verpflichtungen einzugehen. Die Projektverantwortung hat sich zunehmend auf wenige Leute konzentriert und analog der Entwicklung im Kulturbereich wurden arbeitsteilige Prozesse gewählt. Infrastrukturen waren mit der Zeit häufiger schon vorhanden. Während die Möglichkeit der Umsetzung eigener Ideen an Attraktivität verlor, wurde ein zunehmendes Interesse an der Teilnahme / Mitgestaltung von Projekten spürbar, die einen Rahmen bieten und zur Mitarbeit einladen. Dieser Einbezug wurde beiderseits als Bereicherung erfahren. Während Kulturmobil in die Jahre kam und mit konzeptionellen Fragen rang, in welche Richtung eine Weiterentwicklung gehen könnte, wurde von aussen ein Interesse am Modell virulent. Auch aus dem Ausland. Gerade für den interkulturellen Dialog wurde das Modell als relevant erachtet.
Warum gibt es Kulturmobil nicht mehr?
Eine Reihe unterschiedlicher Gründe im Projekt selber und in der Veränderung des gesellschaftlichen Umfeldes lassen sich als Erklärung für das Ende von Kulturmobil heranziehen.
Zum Einen, hat sich eines der der Kulturmobilarbeit zugrunde liegenden Ziele - die Erweiterung
des Zugangs zu Kultur - weitgehend erfüllt. Dann bestätigen sich mit Projektverlauf von Kulturmobil ganz einfach die Regeln des unausweichlichen Endes von Projekten: Jede Initiative, die von den Utopien einer Zeit lebt, läuft Gefahr, mit der Zeit an Dynamik einzubüssen. Kulturmobil war per Definition keine soziokulturelle Institution, sondern ein Anreizmittel, ein Förderinstrument, welches unterwegs war und auf Einzelprojekte fokussierte. Zum anderen hat sich das gesellschaftliche Umfeld verändert. Die kulturpolitische Bewegung wurde durch andere gesellschaftspolitisch motivierte Bewegungen, in deren Umfeld ähnliche Methoden der Partizipation angewandt wurden, abgelöst. Gemeinschaften, Szenen wurden unübersichtlicher, kurzfristiger. Einzelne hatten weniger Zeit für ein längerfristiges Engagement – auch aufgrund der zunehmenden Arbeitsplatzunsicherheit. Allgemein ist weniger Zeit für Learning-by-doing vorhanden. Zudem hat Soziokultur in der Schweiz einen sozialen Touch bekommen und wird innerhalb der Kulturszene stark mit Sozialarbeit konnotiert. Die Ausbildungen in soziokultureller Animation sind zum Beispiel im Sozialen Bereich angesiedelt. Veränderungen im Kulturbereich an sich sind ebenfalls festzustellen. Kultur hat an Bedeutung gewonnen und wir sind mit einem riesigen Angebot und der Professionalisierung von Kultur mit allen Nebenerscheinungen konfrontiert: Arbeitsteilung, Messen an Return of Investment, Abnahme von Freiwilligenarbeit
und Abgrenzung gegenüber "Nichtprofis". Darin kommt eine Veränderung in der Begrifflichkeit zum Ausdruck: Früher war nicht von Laien und Profis die Rede. Sondern von der Basis, den Freiwilligen und der bezahlten Kulturarbeit. Ausbildungsgänge für Kulturmanagement sind entstanden, haben auf die neuen Bedürfnisse reagiert. Der Zugang zur Kultur wurde breit geöffnet. Doch glaubt man den Zahlen des Bundesamtes für Statistik, konnte die Zahl der potentiellen NutzerInnen nicht gesteigert werden.
Die Positionierung von Pro Helvetia hat sich ebenfalls verändert: Angesichts der knappen Finanzmittel und angesichts der wachsenden Ansprüche von Seiten der professionell Tätigen
hat sich Pro Helvetia von der Soziokultur abgewendet und konzentriert sich auf die Unterstützung von Kunstschaffenden. Veränderte Rahmenbedingungen sind auch auf der Ebene der Kulturpolitik festzustellen. Das Ausführungsgesetz zum Kulturartikel in der Verfassung ist in Arbeit. Damit ist die verfassungsrechtliche Grundlage für Kulturförderung geschaffen. Doch die aktuelle Finanzsituation lässt wenig Hoffnung für zusätzliche Mittel für die Kultur. Die im Zug des Kulturförderungsgesetzes anstehende Aufgabenteilung sieht vor, dass Pro Helvetia sich primär auf die nationale und internationale Arbeit konzentriert. Die Kantone beanspruchen die Hoheit über die Unterstützung lokaler Aktivitäten.
Durch die Einstellung von Kulturmobil geht Einiges verloren: Die Sicht von Aussen auf ein regionales Projekt; die Verbindung von lokalen, regionalen mit nationalen Interessen, die Anerkennung seitens staatlicher Kulturförderinstitutionen für lokale Aktivitäten und eine unmittelbare Erfahrung, die Verständnis schafft für die Notwendigkeit einer Kulturförderung.
Und nach dem Kulturmobil?
Wird es Konzepte und Strategie geben, die sowohl die Reflexion von kulturellen Aspekten des Alltags ermöglichen als auch zur aktiven Gestaltung einladen, breite Bevölkerungskreise am kulturellen Leben teilhaben lassen und Verbindungen zwischen kulturellen Milieus herstellen,
dem Gleichgewicht zwischen sogenannten Profis und Laien Sorge tragen, Auseinandersetzungen mit aktuellen, brennenden Fragen wie zum Zusammenleben verschiedener Kulturen oder zum Zusammenhalt von Stadt und Land ermöglichen und Deutungs- und Identifikationsangebote schaffen?
Wir sind gespannt auf die Auseinandersetzung.