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Landert, Markus

Im Kopf die eigenen Bilder

Jenny-Holzer-im-Kunstmuseum
Die Künstlerin Jenny Holzer in ihrer Ausstellung im unteren Keller des Kunstmuseum Thrugau/Kartause Ittingen, 1996
Text zur Ausstellung "Jenny Holzer. Lustmord".
Die Publikation zur Ausstellung enthält unter anderem diesen Text und ist im Museumsshop zu erwerben. Die Bänke von Jenny Holzer im Klostergarten der Kartause Ittingen sind heimtückisch. Dem ersten Blick bietet sich eine harmlose Situation: Steinbänke in einem Park, im Aussehen eher behäbig, aus dem gleichen Stein wie die Fensterrahmen und andere Architekturteile des Klostergebäudes gehauen. Sie stehen an einem idyllischen Platz, etwas abseits der Hauptwege im Rosengarten und verleiten Besucherinnen und Besucher dazu, ihren Gang durch die Klosteranlage für einen Moment zu unterbrechen, sich hinzusetzen, in Ruhe den Blick über Sonnen beschienene Rosenbäumchen, Efeu bewachsene Mauerstücke, kurz, über eine vollkommene Gartenidylle schweifen zu lassen. Nur für jene, die genauer schauen wollen, die nicht nur nach einer Sitzgelegenheit suchen oder aber für jene, die beim Sitzen mit den Fingern die Buchstaben im Stein spüren und neugierig mit Lesen beginnen, für diese wird aus der etwas vornehmeren Parkbank mit einem Schlag etwas anderes. Wer zu entziffern beginnt und übersetzt, wird aus der idyllischen Ruhe gerissen. Die Texte auf den Bänken schildern Gewalt, Vergewaltigung, Tod. In unseren Köpfen steigen Bilder des Grauens, des Schreckens auf. Ein Film beginnt zu laufen, der unaufhaltsam zum schrecklichsten aller Enden hintreibt.
Das Nebeneinander der Gartenidylle um uns herum und der Bilder in unserem Kopf ist unvereinbar. Was zu sehen ist und was sich beim Lesen an Bildern in unserer Vorstellung aufbaut, lässt sich nicht zusammenbringen, was wir unausweichlich als Skandal empfinden. Die Provokation liegt nicht eigentlich in der Brutalität der aufsteigenden Bilder. Ein Blick in die Zeitung, ins Abendprogramm des Fernsehens vermittelt ähnliches Grauen, oftmals noch wesentlich potenzierter. Was provoziert, ist der Bruch zwischen dem, was wir aufgrund der Umgebung erwarten, und den durch die Texte hervorgerufenen Bilder. Klostermauer und Garten vermitteln uns den Eindruck von Ruhe, von Frieden, von Kultur und Ordnung, lässt uns an Enthaltsamkeit, an Nächstenliebe und Sanftheit denken. In den Texten begegnet uns dagegen eine Welt der Gewalt, des Hasses, der unkontrollierten Gefühle, der Schmerzen, der Sexualität. Dieses Aufeinanderprallen der Extreme verändert den Blick auf die äussere Idylle wie auf die inneren Bilder. Die Kluft dazwischen erzwingt deren Überprüfung. Nach der Lektüre der Texten auf den Bänken blicken wir mit anderen Augen auf Klostermauern und Gartenanlage, stellen andere Fragen an die Vergangenheit. Nach dem Schock der unerwarteten Begegnung mit dem Grauen erhält die eigene Anwesenheit am Ort eine andere Dimension. Die früheren Werke von Jenny Holzer wie „Truisms“ machen deutlich, dass die Künstlerin das Umfeld ihrer Texte ganz bewusst in ihr künstlerisches Kalkül einbezieht. Die Texte unterwerfen sich den gestalterischen Konventionen des Ortes, an dem sie erscheinen. Die an bestimmten Orten üblichen Inszenierungen werden übernommen und nicht selten sogar verstärkt. Entsprechend gross ist der Schock bei der Auseinandersetzung mit den Inhalten. Wenn ihre Texte in New York über die Leuchtbänder des Times Square flimmern oder auf T-Shirts und Basketballmützen auftauchen, so erwarten wir Werbung, Verführung, Unterhaltung. Geboten werden dagegen Aufforderungen und Aussagen, die mit der Welt des Konsums und des Vergnügens wenig gemein haben. Statt „go by train“ oder „buy a Cadillac“ lesen wir PROTECT ME FROM WAHT I WANT, DIE AUGEN SCHLIESSEN HILFT NICHT oder ERFOLG FORDERT OPFER. Virtuos nutzt die Künstlerin die vom Publikum den Massenmedien, der Werbung und der Kunstausstellung entgegengebrachten Erwartungshaltung, um ein Umfeld zu schaffen, in dem ihre Texte grösstmögliche Emotionalität zu erzeugen vermögen.
Das Erzeugen von Gefühlen durch den Einsatz von Kontrasten ist an sich ein beliebtes Mittel der Unterhaltungsindustrie. Das Rezept lautet: Je grösser die Gefahr, desto spektakulärer die Rettung, je unwahrscheinlicher die Lebensrettung, desto intensiver der spannungslösende Tränenfluss. Die Emotionalität, die die Texte von Jenny Holzer hervorrufen, hat jedoch eine andere Qualität. Ihre Texte verführen nicht zu rührseligem Schwelgen in heilen Welten. Sie provozieren, irritieren und werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten bereithalten. Sie schildern zwar in kaum zu überbietender Klarheit, was geschieht. Wer aber Opfer, Täter und Beobachter sind und was sie denken, fühlen, was sie antreibt, lassen sie offen. All dies ergänzen wir in unserem Kopf, im eigenen Bauch. Unaufhaltsam steigen Bilder und Gefühle in uns auf, und das Erschreckende an ihnen ist, dass es unsere eigenen sind. Jenny Holzers Werke bieten - im Gegensatz zu den Massenmedien, der Fotografie, der Historienmalerei - keine vorgefertigten und abgeschlossenen Bilder. Der Schrecken wird nicht gezeigt, sondern evoziert. Von der Künstlerin gezeigt werden nur Buchstaben, Worte, Sätze: spröde kleine Formen ohne Sinnlichkeit. Erst unsere eigene Fantasie übersetzt die Worte in Bilder des Grauens, in Gefühle der Abscheu und der Lust. Und so erweisen sich nicht die Worte, sondern die dadurch ausgelösten Bilder und Gefühle als das Schreckliche, Grauenvolle, wobei das eigentlich Erschreckende in der Tatsache liegt, dass diese unausweichlich unsere eigenen Bilder, unsere eigenen Gefühle sind. So werden wir in der Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Jenny Holzer immer auf uns selbst, auf unsere eigenen Gefühlswelten zurückgeworfen. Es entsteht echte Betroffenheit, weil wir uns in den Reaktionen selbst erkennen, wie wir gezwungen sind, Stellung zu beziehen uns selbst gegenüber.

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