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Keller, Rolf

Flower Power Point

Vortrag: Symposium "Professionalisierung - Fluch oder Segen", Kartause Ittingen, 25./26.5.2005 Jetzt habe ich ein kleines Problem: ich kenne Herrn Urs Leuzinger nicht, ich weiss nicht einmal, ob er da ist – aber ich weiss, dass er, nach eigenem Bekunden hier auf der Rückseite des Tagungsprogramms, einen Schreikrampf bekommt, wenn er das Wort Kulturmanager hört. Ich möchte ihm und uns allen Unannehmlichkeiten ersparen – wenn Sie also den Saal jetzt lieber verlassen möchten, Herr Leuzinger, verstehe ich das. Und ehrlich gesagt verstehe ich auch Ihre Vorbehalte dem Wort Kulturmanage-ment gegenüber – was ich Ihnen zeigen möchte, ist, dass das Phänomen Kulturma-nagement trotz seinem Namen eine bessere Einschätzung verdient! Es liegt nahe, dass ich mich dabei in erster Linie auf das Basler Modell für Kulturmanagement und unser Selbstverständnis beziehe.

Ich werfe zuerst einen Blick auf die Entstehungsgeschichte. Drei schillernde Preziosen bilden die Perlenkette der jüngeren Geschichte, soweit sie die Kultur betrifft: sie heis-sen Demokratisierung, Ökonomisierung, Professionalisierung. Ich will die ersten zwei nur kurz antippen, das dritte dann etwas länger beleuchten.
Demokratisierung zuerst:
- eine Leitidee zur Zeit der Flower Power Generation nach 1968. 1975 erschien der Clottu-Bericht, eine offizielle kulturpolitische Bestandesaufnahme. Der erste Satz lautet (etwas gekürzt): „Das […] Bedürfnis, eine Konzeption […] der Kulturpolitik zu erarbeiten, kann nur als Wille zur Ausweitung der Demokratie verstanden werden.“ Deutsche Buchtitel jener Zeit hiessen „Kultur für alle!“ und „Bürgerrecht Kultur“, und Joseph Beuys rief: „Jeder Mensch ist ein Künstler!“. In diesem Klima lancierte die Schweizer Kulturstif-tung Pro Helvetia ihr Kulturmobil.

Das zweite Stichwort, die Ökonomisierung, hat mit dem in den 1980er Jahren einset-zenden Kulturboom zu tun. Kultur begann sich vom Rand der Gesellschaft gegen ihr Zentrum hin zu bewegen, ihr Sozialprestige stieg entsprechend an.
Das Ergebnis sehen wir heute in einer solchen Anzeige:

Vor 30 Jahren hätte ein Unternehmen in seiner Werbung kaum auf positive Assoziatio-nen zum damaligen Randphänomen Kultur vertraut!
Auch die Kulturpolitik versuchte sich gesellschaftlich besser zu legitimieren, indem sie die ökonomische Relevanz der Kulturindustrie und der Kulturförderung betonte:
·\t1984 erschien eine von der Julius-Bär-Stiftung finanzierte Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der Zürcher Kulturinstitute.
·\tKnapp 20 Jahre später bildete der Bericht zur „Kulturwirtschaft Schweiz“ der Auto-ren Weckerle und Söndermann den vorläufigen Schlusspunkt in einer Reihe weite-rer Studien.
·\tWichtig in diesem Zusammenhang: Ökonomisierung ist nicht gleich Kommerzialisie-rung. Walter Boris Fischer legt in seinem neuen Buch mit dem programmatischen Ti-tel „Kunst vor Management“ Wert auf diesen Punkt: Nein zur kalten profitorientier-ten Kommerzialisierung der Kultur, ja zur Ökonomisierung, soweit diese verstanden wird als haushälterisches Wirtschaften und Publikumsorientierung.

Die nächste Phase, die Professionalisierung, war dann unvermeidlich: die Menge des künstlerisch Produzierten und des kulturell Projektierten wuchs exponentiell, die dafür verfügbaren Förderungsgelder sanken (zwar nicht in absoluten Zahlen, aber im Ver-hältnis).
Für viele Leute entstand damit ein Professionalisierungsdruck.
Am wenigsten noch für die Künstler – diese arbeiteten, wenn sie gut waren, schon immer nach allen Regeln ihrer jeweiligen Zunft – oder wenn, dann spürten sie den Druck bezüglich ihrer nicht-künstlerischen Aktivitäten, etwa dem Eigen-Marketing.
Nein, der Druck betraf primär
-\tjene, die Gelder zu verteilen haben und dafür systematischer abgestützte Kriterien brauchten,
-\ter betraf jene, die Institutionen leiten und ihre Mittel effizienter einsetzen mussten,
-\tund er betraf die Kulturveranstalter, die angesichts verstärkter Konkurrenz effektvol-les Fundraising und zielgerichtetes Marketing betreiben mussten.
All diese, die Kulturförderer, die Leiterinnen von Institutionen, die Veranstalter, sie kön-nen in einem breiten Verständnis als Kulturmanager gelten. – Was also tun, wenn Knappes von Vielen nachgefragt wird? Gab es für solche Fragen nicht schon eine Wissenschaft? Was von den Instrumenten der Betriebswirtschaft liess sich auf kulturel-lem Gebiet verwenden, ohne die Eigengesetzlichkeit der Kultur zu gefährden?
1999, ein Jahrzehnt nach Deutschland, startete in der Schweiz der erste Kurs in Kultur-management, im Stapferhaus Lenzburg; im Jahr darauf folgten die Studiengänge in Winterthur und Basel. Plötzlich erschien der Nachholbedarf im Land dringend, und bald füllten weitere Angebote die vermutete Marktnische in der Weiterbildungsland-schaft.
Kultur und Management, da trafen zwei Welten aufeinander, die sich traditioneller-weise nicht besonders anziehen. „… wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt!“ (in die-sem Monat muss man einfach Schiller zitieren!). Die Beschnupperung verlief intensiv und gelegentlich emotional. Inzwischen aber verwenden unsere Dozierenden aus der Wirtschafts-Fakultät Bilanzen und Organigramme aus Kunsthallen und Kleintheatern, als hätten sie nie etwas anderes getan. Und die anderen haben wir erbarmungslos ersetzt, jene, die darauf beharrten, Strategisches Management zum Beispiel sei doch überall dasselbe, und die deshalb die Übersetzungsleistung zu ihren Fallbeispielen von IBM und BMW den Studierenden überliessen.

Was hat es nun auf sich mit der Professionalität von Kulturmanagerinnen und –managern? Um diese Frage kreisen meine weiteren Ausführungen – und kreisen sage ich bewusst. Zuerst das Wort: Es tut ja so, als hätte es etwas mit ‚Beruf’ zu tun, wie im Englischen „professional“.
„Das hat er professionell gemacht“, sagen wir, wenn der bedrängte Politiker sich mit einer guten Kommunikationsstrategie gekonnt gegen perfide Angriffe gewehrt hat;
„das hat sie professionell gemacht“, sagen wir anerkennend, wenn die Organisati-onsberaterin einen schwierigen Teamprozess zur allseitigen Zufriedenheit gesteuert hat.
Doch „Politiker“, „Organisationsberaterin“, oder eben „Kulturmanager“, das sind – wenn überhaupt – andere Berufsbezeichnungen als Schreiner, Ärztin, Rechtsanwalt, Kauffrau: diese letzteren absolvieren standardisierte Berufsausbildungen, die staatlich definierte Kriterien erfüllen.
Aber können Sie sagen, was bei Historikern, Soziologen oder eben wieder Kulturma-nagern diese Kriterien sind, was deren Berufsbild ausmacht? Dieses hat keine scharfen Konturen – die Kompetenz und Eignung dieser Leute zeigt sich in der Anwendung ihres Wissens, in der Qualität und der Haltung, mit denen sie ihr Know-how einsetzen.
Klaus Siebenhaar hat deshalb recht: Nicht auf ein bestimmtes Berufsbild hin wollen wir Kulturmanager ausbilden – was in zwei Jahren berufsbegleitend ohnehin nicht mög-lich wäre; nein, wir wollen ihnen flexibel einsetzbare Zusatzqualifikationen vermitteln. Diese unterstützen sie in ihrer Tätigkeit als Kulturförderer oder Kulturvermittler, sei’s im Theater, im Museum, oder im Verlag.
Eine Zwischenbemerkung: Das eigentlich positiv besetzte Wort „professionell“ läuft eine gewisse Gefahr, zum Schimpfwort zu werden, nämlich dann,
- wenn es im Falle des erwähnten Politikers andeutet, dass er sich schlitzohrig, arrogant und mit zwielichtigen Helfern aus der Affäre zog;
- oder dort, wo es bedeutet, dass einer für eine Automarke im KKL Luzern zwischen Bach und Beethoven eine Häppchenschlacht in der VIP-Lounge inszeniert und sich dabei als geschliffener Kulturmanager sieht, obwohl er noch nicht einmal den Namen Eventmanager verdiente!
Doch die echte Professionalität, und sie ist lernbar!, ist der Gegensatz zu Dilettantismus (und nicht etwa zu Amateurismus!); das heisst, der Profi versteht sein Handwerk. Und das Handwerk wiederum ist im Falle des Kulturmanagers ein generalistisches. Schau-spieler, Musikerinnen, Tänzerinnen, Juristen und Ökonomen sind Spezialisten: wenn sie zusätzlich Kulturmanagement studieren, suchen sie also eine Erweiterung, ein zweites Standbein vielleicht, jedenfalls werden sie Generalisten.
(A propos Standbein: Singleberater sind keine Kulturmanager, aber der unfreiwillige Humor in dieser Stellenausschreibung gefällt mir:


Lifestyle-Agentur sucht
Singleberater/in mit ♥
(auch als 2. Standbein)

Herz als Standbein! Ob erstes oder zweites Standbein – das Herz ist unverzichtbar für gutes Kulturmanagement!)
Der St. Galler Management-Guru Fredmund Malik definiert den echten Manager als jenen, der Wirkung erzielt. Als Generalistin entfaltet die gute Kulturmanagerin Wirkung in verschiedenen Dimensionen, zum Beispiel:
- finanzielle Wirkung: sie weiss, dass insgesamt mehr öffentliches Fördergeld in die be-triebliche Seite von Institutionen und Projekten fliesst als in die künstlerische, und sie kämpft dafür, dass sich dieses Verhältnis zugunsten der Kunst verändere;
- sie entfaltet inhaltliche Wirkung: Nachhaltigkeit;
- methodische Wirkung: mit minimalen Mitteln erzielt sie maximalen Effekt;
- Rezeptions-Wirkung: denn nur gut vermittelte Kunst kommt an und wird damit ihrer wahren Bestimmung gerecht.
Voraussetzung für das Erzielen guter Wirkungen ist neben lernbarem Know-how ein gesicherter persönlicher Wertekanon, ist Wissen um die Potenz der Kultur für gesell-schaftliche Selbstvergewisserung, ist Verständnis für künstlerische Prozesse und Werke. Dieses Verständnis bringen 90 Prozent unserer Studierenden schon mit, denn sie kom-men ja aus der Kultur! Und wir versuchen, Ihnen in der schönen Stadt am Rheinknie eine kulturelle Impfung zu verabreichen, die sie immun macht gegen die Ansteckun-gen der Kommerzialisierung und des mechanistischen Denkens.
An einem Bild aus dem Buch „Kunst aufräumen“ gezeigt:

De Saint Phalles Volleyball aufräumen

Wenn Ursus Wehrli so Kunst aufräumt, ist das nicht die Tat eines Kulturmanagers!
„Fondsmanagement“ meint das Management von Fonds, „Museumsmanagement“ ist das Management von Museen, „Customer Relationship Management“ … Sie wis-sen schon! Im Gegensatz dazu – und es kann nicht oft genug, deutlich genug und laut genug gesagt werden – im Gegensatz dazu ist „Kulturmanagement“ nicht das Management von Kultur … sondern ein unglückliches Wort für eine wichtige Aufgabe!

Ich hoffe, meine Antwort auf die Titelfrage unseres Symposiums sei deutlich geworden: Hiesse Kulturmanagement lediglich, souverän mit Power Point Präsentationen zu han-tieren und Happenings für Sponsoren veranstalten zu können, dann hätten wir Grund zum Fluchen, und es verdiente keinen Moment unsere Aufmerksamkeit. Das Ideal am anderen Ende der Skala, Schillers Ideal von der Erziehung des Menschengeschlechts durch den Umgang mit der Kunst, ist im 20. Jahrhundert arg lädiert worden. Wenn es uns aber wenigstens gelingt, Leute auszubilden, die der Kultur dieses Landes gut tun,
-\tweil sie gesellschaftlichen Mehrwert schaffen, indem sie die Kultur pflegen, also die Lebensqualität steigern helfen;
-\tweil sie sich als volkswirtschaftliche Nützlinge erweisen, indem sie – als Förderer oder als Veranstalter – sparsam mit öffentlichen Geldern umzugehen wissen;
-\tweil sie keine dürren Technokraten sind, sondern warmblütige Kulturarbeiter, die ihre Kompetenzen mit Einfühlungsvermögen, mit Sachverstand und Ver-antwortungsbewusstsein in den Dienst der Kultur stellen, und so Demokratie, Ökonomie und Professionalität verbinden … –
ja, wenn uns dies gelingt, dann allerdings kann die spezifische Form von Professionali-tät, die wir Kulturmanagement nennen, durchaus ein Segen sein!