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Hoch, Stefanie

Erdbeerfelder für immer

Text aus der Publikation "Im Rausch. Zwischen Höhenflug und Absturz" (2016)

Ueli Alder, "Andreas Walser rauchend", 2015, Anthotypie aus Tabak, 25 x 30 cm, Courtesy of the artist
Annelies Štrba, "Madonna 11", 2016, Pigmentdruck auf Leinwand, 100 x 150 cm, Courtesy Galerie Anton Meier, Genf ©Annelies Štrba/ProLitteris Zürich

„Der Drang, die Grenzen ichbewußter Selbstheit zu überschreiten, ist, wie ich sagte, ein Hauptverlangen der Seele. Wenn es aus irgendeinem Grund Menschen nicht gelingt, durch Andacht, gute Werke und geistliche Übungen über sich selbst hinauszugelangen, sind sie bereit und geneigt, auf die chemischen Surrogate für Religion zu verfallen – Alkohol und Morphium und ‚Schnee‘."

Aldous Huxley in The Doors of Perception

 

Der Rausch ist ein einziger Widerspruch. Er führt zu Verschwendung, Kontrollverlust und Abhängigkeit – und trotzdem suchen wir ihn. Der Mensch will nicht immer vernünftig sein. In Teilen der Fachliteratur wird er gar zu den menschlichen Grundbedürfnissen gezählt.

Allein der Begriff Rausch ist schwer zu fassen, denn er ist keine stabile Grösse und es gibt nicht eine, sondern unendlich viele Arten von Rauscherfahrungen – aber naturgemäss kaum geeignete Worte, um ihnen Herr zu werden.

Der Begriff Rausch stammt vom mittelhochdeutschen rūsch oder riuschen, was rauschende Bewegung, Ansturm oder ungestüm beim Angriff bedeutete. Wind, Blätter- und Wasserrauschen liegen dem Wort lautnachahmenden Ursprungs vermutlich zugrunde. Erst im 16. Jahrhundert entstand der Bezug zur Trunkenheit.

Zum Rausch führen der Konsum bestimmter Stoffe oder auch der gezielte Verzicht sowie die Aktivierung körpereigener Stoffe wie beispielsweise Dopamin oder Endorphine.

Die Kartäusermönche wählten den Verzicht. Der Einsiedler- und Schweigeorden suchte die spirituelle Ekstase und die Erfahrung des Göttlichen durch meditative Versenkung in der Einsamkeit. Für den konventionellen, weltlichen Rausch sorgte der Weinbau. Er brachte den Kartäusern im Thurgau den Wohlstand, mit dem sie ihre bislang bescheidene Klosterkirche zu einem schwindelerregend farb- und formenreichen Rokkokojuwel vewandelten. Aus heutiger Sicht lässt sich anhand dieses Bild gewordenen Rauschzustands eine Linie von der Spiritualität über den Rausch zur Kunst ziehen. Auf ihren Spuren bewegt sich die Ausstellung mit dem Titel „Im Rausch. Zwischen Höhenflug und Absturz".

In vielen Religionen gelten Rauschzustände als Wege, um mit den Göttern oder anderen höheren Mächten in Kontakt zu treten. Bei indoeuropäischen Völkern dienten dazu meist sakramentale Getränke. Met war ursprünglich ein solches Ritualgetränk. In den heiligen Schriften des Hinduismus, den Veden, ist vom sakramentalen Trank Soma die Rede. In Mittel- und Südamerika spielen Pulque, Peyotl und Ayahuascaeine zentrale Rolle für kultische Handlungen. Die Verwendung toxischer Substanzen für religiöse Zwecke war jedenfalls weit verbreitet. Rituale verliehen diesen Rauscherfahrungen Form und Rahmen.

Die Idee vom Rausch als Offenbarung des kosmischen Lebens wurde Ende des 19. Jahrhunderts von der modernitätskritischen Bewegung der Lebensphilosophie aufgegriffen. Sie berief sich unter anderem auf einen von Friedrich Nietzsche (1844–1900) entworfenen Gegensatz, der auf Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) zurückgeht:

Dionysos, Gott des Rauschs, der Entgrenzung, Schöpferkraft und der Musik sei der Gegenpart von Apollo, Gott der bildenden Künste, der Form und Ordnung. Im Gegensatz zum rationalen Apollinischen vermittle das rauschhaft Dionysische dem Individuum das Gefühl, im Ur-Einen, im Kosmos aufzugehen.

Es war ein konkreter Ausspruch Nietzsches, der wesentlich zum Bild vom berauschten Künstler beitrug: „Damit es Kunst giebt, damit es irgend ein ästhetisches Thun und Schauen giebt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch."

Rausch, Ritual und Gegenwartskunst

Steinzeitliche Höhlenmalereien, die abstrusen Bilderfindungen von Hieronymus Bosch, Friedrich Schillers Vorliebe für faulende, Ethylen verströmende Äpfel in der Schreibtischschublade, Vincent van Gogh und die „grüne Fee", Jackson Pollocks zerstörerischer Alkoholismus, Andy Warhols amphetaminhaltige Appetitzügler, Martin Dislers Malexzesse zwischen Schlafentzug, Tanz und Drogen, Tracey Emins provokative Orgien – Beispiele für die Vorstellung von gesteigerter Kreativität und Produktivität durch Rauschzustände gibt es viele. Längst sind sie zum Mythos geworden und gehören zum Repertoire der Kunstgeschichte bzw. der Künstlergeschichte(n). Doch welche Rolle spielt der Rausch für die Kunst der Gegenwart?

Hat heute das Dionysische, das mittlerweile vielleicht Flow genannt würde, gegenüber dem Apollinischen an Wichtigkeit verloren? Welche Vorstellungen von rauschhaftem Schaffen und von künstlerischen Entrückungszuständen stehen den analytisch konstruierten Gedankengebäuden der Konzeptkunst, dem ironischen Relativismus und der verschachtelten Aneignungskunst gegenüber?

Generell konstatieren Kulturtheoretiker und Philosophen, dass die westlichen Zivilisationen der Gegenwart zu genuss- und rauschfeindlichen Gesellschaften geworden seien. Wir vergässen Wofür es sich zu leben lohnt. Es scheint, als würde der Rausch nicht mehr um seiner selbst Willen gesucht oder weil er Teil einer bewahrenswerten Kultur und der hedonistischen Lebensfreude wäre, sondern vielmehr als stünde auch er unter dem Diktat der Leistungsoptimierung. „Jenseits der Diffamierung des Rauschs als Aspekt der Sucht und vernunftlosen Verschwendung kreisen Rauschdiskurse, so die Vermutung, wiederholt darum, den menschlichen Körper und das Bewusstsein effizienter zu gestalten, Ressourcen nutzbar zu machen, die ohne Rausch vielleicht verschüttet wären." Das gegenwärtig grosse Bedürfnis nach (Selbst-)Kontrolle, ewiger Jugendlichkeit und Fitness tun das übrige. „Von der Festseite des Rausches, der Annäherung an neue Welten und dem damit verknüpften Wagnis, ist keine Rede mehr",konstatierte Ernst Jünger bereits 1970.

Der Rausch, den einst das Sexappeal des Verbotenen umgab, wird heute in anderer Form gesucht: Heute frönt man dem Konsumrausch, joggt sich endorphin-high, jagt mit 200 km/h aus dem Alltag oder immer der perfekten Welle hinterher und berauscht sich in den virtuellen Weiten des Internets an Simultanität, Anonymität und Masse.

Auch Kunst kann rauschähnliche Erfahrungen bieten. Sie kann Wahrnehmung und Bewusstsein verändern und erweitern. Sie hat die Lizenz, Konventionen zu sprengen, andere Realität zu spinnen, einen Hang zum dadaistischen Irrwitz, zur selbstgenügsamen Schönheit, zum Unerklärlichen, Sinnlichen und Übersinnlichen, zum Spirituellen und Ekstatischen.

Aldous Huxley betont nach einem Selbstversuch mit Meskalin die Parallelität zwischen der Wahrnehmung von Berauschten und Künstlern: „Die Fähigkeit, jederzeit das zu sehen, was wir übrigen nur unter dem Einfluss von Meskalin sehen, ist dem Künstler angeboren. (...) Etwas von der dem totalen Bewußtsein eigenen Erkenntnis sickert durch den Reduktionsfilter von Gehirn und Ich in sein Bewußtsein. Es ist eine Erkenntnis der allem Seienden innewohnenden Bedeutsamkeit." Daher wählte er den Titel The doors of perception (Die Pforten der Wahrnehmung) für seinen 1953 verfassten Essay, in Anlehnung an ein Zitat von William Blake (1757–1827) aus The Marriage of Heaven and Hell:

"If the doors of perception were cleansed

everything would appear to man as it is, infinite."

Strawberry Fields Forever? Facetten des Rauschs in der Ausstellung

Die Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau zeigt verschiedene Herangehensweisen an das Thema: In einigen Fällen sind die berauschten Sinne des Kunstschaffenden „Vorbedingung" für die Entstehung eines Werks. Bei anderen Arbeiten sind der Rausch und seine Bildwelten motiv- bzw. formalästhetisch bestimmend. Und nicht zuletzt können Werke bei den Betrachtenden Wirkungen hervorrufen, die rauschhaften Zuständen ähneln. Nicht selten überschneiden sich die drei Kategorien.

Ein grosses Kapitel der Ausstellung ist der ersten Kategorie gewidmet. Dabei stehen systematische Versuchsanordnungen im Vordergrund, in denen sich Künstlerinnen und Künstler selbst zu Versuchsobjekten und Beobachtern eigener Rauscherfahrungen gemacht haben (Żmijewski/Althamer, Brenner, Oppenheim und Höller).

Neben den Auswirkungen von Substanzen wie LSD, Haschisch und Magic Mushrooms ist auch ein Spaziergang mit einem Kind Teil einer filmisch dokumentierten Versuchsreihe (Żmijewski/Althamer). Was zunächst verwundert, wird bald klar: Schon lange vergleicht man Rauschzustände mit dem „Zustand absoluter Identität mit sich und der Welt, wie er sonst nur Kindern (bzw. dem kindlichen Vernehmen) zugerechnet wird".

Nicht nur dem Opium zusprechende Literaten wie Baudelaire oder Thomas de Quincey, auch Huxley machte solche Beobachtungen: „Visuelle Eindrücke sind erheblich verstärkt, und das Auge gewinnt einiges von der Fähigkeit zu unbefangener Wahrnehmung zurück, die es während der Kindheit besaß, als das durch die Sinne Wahrgenommene nicht sogleich und automatisch einem Begriff untergeordnet wurde."

Kindliche Neugier zeichnen auch einige Experimente mit selbstangelegten Pilzkulturen aus (Brenner). Die zeichnerischen Langzeitbeobachtungen sind das Pendant zu dem Riesenpilz, der in den Ausstellungsräumen aus dem Boden geschossen zu sein scheint (Höller). Er wirkt fantastisch wie eine Halluzination und zugleich modellhaft wie aus einem Naturkundemuseum entsprungen.

Deutet der Titel der halb alchimistisch, halb analytischen Versuchsanordnung All you can feel (Schönfeld) an, Gefühle seien heute herbeiführbar? Die auf Fotopapier materialisierten Substanzen wie Opium, Crystal Meth oder auch Dopamin und Koffein ähneln mikroskopischen Aufnahmen, aber auch Ansichten aus dem Weltraum.

Hier bildeten Rauschmittel und Stimulantia die Motive, was überleitet zur zweiten Kategorie, den rauschhaften Bildwelten. Die Sinnlichkeit des Farb- und Formenrauschs steht hier im Zentrum. Wir begegnen psychedelisch schillernden Objektassemblagen (Co Gründler), grossgemusterten Tapeten, vor denen die Realität in abstrakte Abgründe implodiert (Lumsden), obsessiven Zeichenwelten zwischen naturwissenschaftlichem Phänomen und subjektiver Vision (Blankenstein) und mittendrin schlummert zusammengerollt ein Spektralfuchs, beiläufig selbstverständlich und zugleich surreal wie eine Halluzination (Seiler).

Huxley verweist auf übernatürlich starke Farben und Muster in „spontanen und herbeigeführten" Visionen. So betörend schön Huxley diese Visionen auch schildert, er berichtet ebenso eindrücklich von dem schmalen Grat zwischen Paradies- und Horrorvorstellung, auf dem sich der Meskalinkonsument bewegt: „Einem Liegestuhl gegenüber, der aussah wie das Jüngste Gericht – oder, genauer gesagt, einem Jüngsten Gericht gegenüber, das ich nach langer Zeit und mit beträchtlicher Schwierigkeit als einen Liegestuhl erkannte ‒ , merkte ich plötzlich, daß ich mich auf der Schwelle zur Panik befand."

Die Höhenflüge in der Ausstellung werden daher auch von „Absturzerfahrungen" flankiert. Beispielsweise in Form einer Hommage an einen Bohèmekünstler, der an einer Überdosis starb: Rauschmittel wurden zum Bildträger in den mohn-, tabak- oder koffeinhaltigen Fotografien, die inszenierte Szenen aus Andreas Walsers (1908–1930) Leben in den rauschenden 1920er-Jahren in Paris zeigen (Alder).

Dann eine Medikamentenschachtel auf einem Sockel – sie wirkt täuschend echt und doch wie aus der Realität gefallen (Amstutz). Als obsessiv aufwändige Stickerei ist die Verpackung des Antidepressivums Prozac der Wirklichkeit detailgetreu nachempfunden. Jeder Nadelstich scheint den Abgrund zwischen Normalität auf der einen und Wahn auf der anderen Seite zu überschreiten. Noch eindrücklicher zeigt sich dies in den Frauenportraits, die ebenfalls mit Nadel und Faden entstanden sind. Changierend zwischen der fotografischen Genauigkeit der Vorlagen und Auflösung derselben durch die Stickereitechnik bleibt offen, ob die entrückten Gesichtszüge Momente der Ekstase, des Schlafs oder des Tods zeigen.

Die Portraits beziehen sich nicht zuletzt auch auf archetypische Frauenfiguren wie Ophelia oder Maria (Strba). Gerade Mariendarstellungen galten in früheren Jahrhunderten als Ausgangspunkt spiritueller Ekstasen. Ein Meer solcher Ikonen der Kunstgeschichte in Form kolorierter und vergoldeter fotografischer Abbildungen lässt die vertrauten Bilder der Jungfrau mit dem Kind neu und geheimnisvoll surreal überhöht wirken wie Marienerscheinungen.

Spirituelle Ekstasen werden als rauschhafte Zustände beschrieben. Auch sie sind von einer Loslösung vom Ich und der Realität gekennzeichnet. Gerade im Christentum wurden solche körperlich herbeigeführten Grenzerfahrungen als Visionen zwischen Schmerz und Erlösung dargestellt. Huxley schreibt in Bezug auf Asketen: „Ihre Selbstbestrafung ist vielleicht die Pforte zum Paradies."

Über einen anderen Weg zum Rausch schreibt der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani in Das Buch der von Neil Young Getöteten: Er vergleicht den Sänger mit einem Sufitänzer, der in der Musik aufgeht: „Der Sufismus markiert diesen Übergang von der Mannigfaltigkeit in die Einheit, indem Subjektivität durch ihre Negierung hindurch gewonnnen wird, als fanā, Entwerdung. Wadschd, Finden, wird der Zustand der Ekstase im sufischen Vokabular genannt, aber der Wâschid, der Findende ist in Wahrheit ein Fâquid, ein sich Verlierender, wie ein mystischer Lehrmeister sagt. Der Musiker, der, in gewissem Sinn, das Bewusstsein über sein Spiel verliert, ist gleichzeitig vollkommen gegenwärtig (...)"

Im Sufismus, der islamischen Mystik, versetzen sich die Derwische durch Drehbewegungen in eine Bewegungstrance, die zugleich getanztes Gebet ist. Die Ausstellung zeigt einen beiläufig zwischen Jugendlichen auf einem Skateplatz tanzenden Sufi (Mihai). Das Video wird einer Installation zum Thema Konsumrausch (Kühne/Klein) gegenübergestellt. Nicht nur weil „Sufismus bedeutet, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu werden." Bei beiden Werken spielt die Form des Kreises eine entscheidende Rolle. Das Wort Derwisch leitet sich übrigens ab vom persischen Begriff für Tür oder Tor – womit sich der Kreis zu den doors of perception wieder schliesst.

Neben dem kreisrunden Mandala aus unzähligen Konsumgütern (Kühne/Klein) und dem Derwisch ist das Dreh- und Schwebemoment ebenfalls Thema im Video Because (Pietsch). "Because the world is round it turns me on (...) because the wind is high it blows my mind... love is all love is you"... Der a capella gesungene Beatles-Song trägt uns mit seinen auf Beethovens Mondscheinsonate basierenden Harmonien in berauschender Höhe und Geschwindigkeit durch Flugaufnahmen himmlischer Endlosigkeit.

Augenblicke des Abhebens thematisiert auch das Video Tuned. Aus unzähligen Filmklassikern wurden Szenen hintereinander geschnitten, in denen das Highwerden dargestellt wird (Pietsch). Dabei spielen die Augen eine zentrale Rolle als Indikatoren, die den Moment der Bewusstseinsveränderung verraten.

Den Gegenpol zu diesem aufgekratzten Trip durch die Filmgeschichte bildet eine Videoprojektion, die sich einem einzigen Gesicht widmet. Hier zeigen die Augen nicht das Wegdriften aus der Realität, sondern die Momente geballter Konzentration und höchster Versammlung in der Gegenwart – die eines Downhill-Radfahrers kurz vor dem Start (Palla). In Vorbereitung auf den bevorstehenden Geschwindigkeitsrausch ist er vollkommen in seiner Welt versunken, den Blick nach innen gekehrt und doch auf das Aussen gerichtet, auf das, was der Körper sogleich in Perfektion ausführen soll.

Wenn der Rausch die Grenzen zwischen Aussen und Innen durchlässig werden lässt, davon handelt auch Pipilotti Rists erstmals in der Schweiz gezeigte Rauminstallation Mercy Garden. In diesem lichten Garten lösen Nahaufnahmen von Mensch und Natur deren scheinbare Gegensätzlichkeit auf in betörende Farben und Klänge. Die Videoprojektionen fliessen, flirren und spiegeln sich ineinander, begleitet von Harmonien, die fremd und zugleich urvertraut scheinen. In Kissen versunken, lässt man sich hineinziehen in den ozeanischen Sog poetischer Betrachtungen von Pflanzen, Körpern und anderen Wunderwelten. Ein Werk wie eine Umarmung des Kosmos.

Diese Arbeit gehört zur dritten Gruppe: Der Betrachter ist nicht neutraler Beobachter eines Rauschs, sondern wird selbst in einen versetzt.

Break on through (To the other side)

Heute scheint der Rausch eine geringere Rolle als „Vorbedingung"" für die Kunstproduktion zu spielen. Umso grössere Bedeutung hat er auf der Rezeptionsebene, in Form „berauschender Kunstwerke". Dies resultiert vermutlich auch aus dem Bedeutungszuwachs der Medien Installation und Film(projektion) und jenem der grossen Kunstevents, welche die Präsentation von Rauminstallationen begünstigen. Und aus dem Bedürfnis des Publikums, berauscht zu werden.

Doch wieso die Wirklichkeit überwinden? Wieso sich der Unberechenbarkeit des Rauschs hingeben? Der Mensch scheint von Zeit zu Zeit ein Heraustreten aus der Wirklichkeit zu brauchen, das Loslassen der Bewusstseinskontrolle, die Entgrenzung, um dem anderen Teil des Ichs oder des Grossen Ganzen zu begegnen.

Der Arzt und Schriftsteller Gottfried Benn drückte es so aus: „Ob Rhythmus, ob Droge, ob das moderne autogene Training – es ist das uralte Menschheitsverlangen nach Überwindung unerträglich gewordener Spannungen, solcher zwischen Außen und Innen, zwischen Gott und Nicht-Gott, zwischen Ich und Wirklichkeit – und die alte und neue Menschheitserfahrung, über diese Überwindung zu verfügen."

Auch Kunstproduzenten und -rezipienten werden zuweilen Teil von Entgrenzungserfahrungen, die den Eindruck erzeugen, einer Art grösserem Sinngefüge gewahr zu werden. So schliesst sich der Kreis zur Verbindung von Rausch, Kunst und Spiritualität:

„Um die enge Verknüpfung von Rausch und Ekstase haben die Traum- und Seelenführer, die Magier und Mysten seit jeher gewußt. Daher hat die Droge bei ihren Weihen, Initiationen und Mysterien immer eine Rolle gespielt. Sie ist ein Öffner unter anderen – wie die Meditation, das Fasten, der Tanz, die Musik, die Versenkung in Kunstwerke, die starken Erregungen. Daher darf ihre Rolle nicht überschätzt werden."

Der Rausch hat also viele Gesichter – Alkoholexzess, Adrenalinrausch, LSD-Trip, Tanz oder Glücksrausch - was all die verschiedenen Rauscherfahrungen vereint, ist ihre Tendenz zum Kontrollverlust, dem Ozeanischen, zur Entrückung und ekstatischen Auflösung des Selbst.

Was Kermani für die Musik feststellt, scheint jedenfalls auch für viele der unter dem Titel Im Rausch versammelten Kunstwerke zu gelten: „Dass die einzelnen Stücke nur Anlässe sind, Sprungbretter, dass das Komponierte, Gedachte, Entworfene eine notwendige, jedoch zu überwindende Wirklichkeit darstellt (...)"

Oder wie es über Neil Young heisst, „...mitsamt allem Begehren und Lenken löst er sich in der eigenen Musik auf wie der Maler im chinesischen Märchen, der im selbstgemalten Bilde verschwindet."

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