Hoch, Stefanie
Bildstein | Glatz. LOOP
Über die Installation auf der Wiese vor dem Kloster
LOOP ist „nur“ ein einziges Kunstwerk – doch es ist so gross, dass man mitten in und unter diesem Objekt stehen kann – aus diesem Blickwinkel ist es auch am besten zu vermitteln.
Wenn man nach oben gen Himmel schaut, sieht jeder etwas anderes. Nicht nur aufgrund der verschiedenen Perspektiven und der Grösse, sondern weil es sich bei dieser Konstruktion um eine mehrdeutige Angelegenheit handelt. Inmitten der ländlichen Idylle wirkt der riesige Doppellooping wie eine surreale Erscheinung. Wird nun auch die Kartause Ittingen zum Freizeitpark? Wird auch hier die Spiritualität durch den Adrenalinkick ersetzt? Doch nähert man sich der Fahrbahn, offenbart sich ihre Unbenutzbarkeit. Die Aluminiumkonstruktion wirkt futuristisch – zu riskant die Krümmung und die Kanten zu scharf, als dass dieser Looping wirklich benutzbar wäre, zugleich erscheint er beinahe nostalgisch, die Farbe auf Holz von Hand aufgetragen. Losgelöst von der pragmatischen Funktionalität, handelt es sich wohl um ein Kunstwerk.
Auf der unbetretbaren Fahrbahn spannt sich das Schriftband LOOPTHELOOP ohne Anfang oder Ende, vor dem schwarzen Hintergrund der unendlichen Weite des Weltraums. Wir stehen vor einer riesigen Unendlichkeitsform mit einem unendlichen Schriftband. Eine doppelte Selbstreferenz, was unsere Vorstellungskraft an die Grenzen führt. Ein Kunstwerk von Bildstein | Glatz – wer ist das überhaupt?
Matthias Bildstein und Philippe Glatz kommen aus Hohenems in Vorarlberg und St. Gallen, heute leben sie in Wien und Kreuzlingen. Sie haben sich 1997 kennen gelernt. in Zürich und Wien Kunst studiert und wurden in den letzten Jahren bekannt mit Fahrbahnen, Rampen, Lande- und Umlenkbauten aus Holz im Innen- und Aussenraum. In ihrem Schaffen überführt das Künstlerduo Elemente aus Extremsport, Surfer und Graffitiszenen in die Kunst. In Arbon: 2009 ein Holzsteg ohne Ende, der in den Bodensee führt, mit dem Titel So weit das Budget reicht. Auf einer Bergwiese in Vorarlberg haben sie ein 12 Meter hohes, Parabolspiegel-ähnliches Halbrund gebaut, das, dem Himmel zugewandt, auf einem wild zusammengezimmerten Holzverschlag thront. Es trägt den Titel Umlenker – für wen oder was, wohin – soll offen bleiben.
Oft suggerieren die Formen eine Bewegung in die Höhe, in die Ferne, sie sprechen von Dynamik, vom Abheben, davon, die Schwerkraft hinter sich zu lassen, nach anderen Dimensionen zu streben.
Bildstein | Glatz verbinden mit den kraftstrotzenden Konstruktionen oft traditionelle Techniken wie die Malerei auf einer Grundierung mit Hasenleim. Erst 2017 haben sie die Hindernisse für eine Minigolfanlage am Wiener Museumsquartier im Bronzeguss ausgeführt.
Philippe hat Malerei studiert, Matthias Bildhauerei. Während ihrer Studienzeit haben sie miterlebt, wie die Freiheitsversprechen ihrer Jugendkultur kommerzialisiert und mainstreamtauglich gemacht wurden. Und diese Vermarktungsprozesse haben auch die Kunst erfasst. „Höher, schneller, weiter“ sind nicht nur die Maximen des Extremsports, sondern der ganzen Leistungsgesellschaft geworden. Bildstein | Glatz überhöhen diese Maximen und brechen sie ironisch:
Matthias Bildstein und Philippe Glatz haben LOOP in der Auseinandersetzung mit dem Ort entworfen. Vor drei Jahren begann der Konzeptionsprozess. Sie haben die Kartause als Ort zwischen den Zeiten wahrgenommen. Ein Ort, an dem eine klösterliche Vergangenheit in tief beeindruckender Weise erhalten geblieben ist. Zugleich ist es eine Idylle, in der Manager tagen, die Leistungsgesellschaft reflektieren, entschleunigen, zu sich finden will.
Über 400 Jahre hat der Einsiedler- und Schweigeorden der Kartäuser hier sein Dasein der Kontemplation und der Meditation gewidmet, der Versenkung in die Gedanken ans Jenseits. Bildstein Glatz haben für die Vorstellung vom Kreisen im Kopf, von der Selbstreflexion auf engstem Raum, das Bild des Doppelloopings entworfen.
Er kann als Sinnbild, als Zeichen gelesen werden. Die komplexe Form ruft viele Assoziationen im Kopf auf: Die elliptischen Bögen erinnern an die liegende Acht, an selbstreferenzielle Schleifen wie sie Johann Sebastian Bach oder M. C. Escher verwendeten, an das verwandte Möbiusband, die Urform der ineinander verschlungenen Ringe der DNA-Helix, der Kreislauf des Lebens.
Der Doppellooping spielt auf verschiedene Erklärungsmodelle und Repräsentationsformen an, visualisiert Dinge, die zu klein sind oder abstrakt, um vom menschlichen Auge wahrgenommen zu werden. Und sie haben diese Assoziationen in ihrer Bildsprache materialisiert. Riesengross.
Bildstein | Glatz konstruieren in Grössen und Höhen, die ihnen sprichwörtlich über den Kopf wachsen, sie liefern sich ihren Ideen aus und üben sich in Selbstüberforderung, allein der Bauprozess war eigentlich ein grosses Happening mit vielen Beteiligten – zum Beispiel auch den Betreuten Mitarbeitern der Stiftung Kartause Ittingen, die das Schriftband gemalt haben. Das Rosa des Schriftbandes wurde übrigens auch von der Farbgebung der Klosterkirche inspiriert, die im Stil des Rokoko von der typischen Farbkombination aus Grün und Rosa geprägt ist.
Es ist eine Kunst, die Besitz ergreift, von den Künstlern und den Betrachtern. Man kann sich der Wucht dieses Unendlichkeitszeichens kaum entziehen. Auf diese Weise befragt das junge Künstlerduo, wie zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum heute aussehen kann. Ihre Bildsprache ist experimentell, ironisch und: ein Basteln am Limit.
Mit der Grossplastik LOOP ist auf der Wiese vor dem Kloster ein neuer Raum entstanden, ein neues Eingangstor zur Kartause und den Museen in ihr. Zwischen Spiritualität und Spektakel, Denkfigur und Bauexperiment steht LOOP als Zeichen für die Kräfte, die hier zusammenspielen, die Synergien auf dem Gelände des ehemaligen Klosters. Es ist ein Tor, das bis 2020 hoffentlich vielen Besuchern die zeitgenössische Kunst näherbringt, die sonst nicht ins Museum gehen. Wenn die Blicke in schwindelerregende Höhen hinaufgleiten und wir mitten am helllichten Tag in die unendlichen Weiten des Universums, in die Vergangenheit und in den Kosmos der Gegenwartskunst eintauchen, wird unsere Wahrnehmung in neue Umlaufbahnen geführt.