Direkt zum Inhalt springen
  • Drucken
  • Sitemap
  • Schriftgrösse

Siebenhaar, Klaus

Unternehmen Kulturmanagement

Vortrag: Symposium "Professionalisierung - Fluch oder Segen", Kartause Ittingen, 25./26.5.2005 Professionalität ist ein verführerisches Wort, denn es enthält eine Verheissung: Nichts ist unmöglich, alles wird gut. Professionalität markiert die Wegstrecke zwischen Problem und Lösung. In einer Welt permanenter Sachzwänge, Zumutungen und Herausforderungen erscheint Professionalität als das einzig konkrete Versprechen, Risiko und Ungewissheit in zumindest temporäre Beherrschbarkeit und Gewissheit zu verwandeln.

Die Trägerfigur, die Verkörperung von Professionalität heisst neudeutsch "Professional" - vulgo: "Profi" - und impliziert mehr als den Fachmann alter Schule. Im Professional verdichten sich die Wunschvorstellungen und Sehnsüchte einer Gesellschaft, die inmitten ihrer bunt und vulgär schillernden Kulissen des Glücks nach perspektivischem Sachverstand, seriösem Verstehen und ernsthafter Realisierungskompetenz giert. Der Profi ist einer, der es kann, weil er weiss, was er will und wie es geht.

Vergessen wir aber zunächst einmal diese gesellschaftlichen Projektionen und kehren wieder zur etymologischen Wurzel zurück. Professionalität und Professionalisierung kommen vom französischen profession und haben etwas mit dem lateinischen professio zu tun. Vor der Professionalität steht also das Bekenntnis zu einem Gewerbe oder einem Beruf, dem man nachgeht. Profession bedeutet deshalb seit dem 17. Jahrhundert nach dem Grimmschen Wörterbuch: jeder Beruf, zu dem man sich öffentlich bekennt, vorzugsweise ein Gewerbe oder Handwerk.1 Und professionell ist seit dem 19. Jahrhundert. jeder, der sein Handwerk oder Gewerbe „berufsmässig“ ausübt.

Diese kurze begriffsgeschichtliche Klärung ist ebenso nützlich wie lehrreich, wenn der Zusammenhang von Kultur und Professionalität auf der Agenda steht. Schon der Titel unserer Tagung spricht Bände, verrät er doch eine andauernde Verunsicherung bei diesem Thema. Vor diesem Hintergrund kann ein knapper kulturhistorischer Rückblick nicht schaden, um falsche oder unproduktive Konfrontationen zu verhindern und zumindest die Gedankengänge und Bezugsfelder zu ordnen. Profession und Professionalisierung tragen die Doppeldeutung von Berufung und Beruf in sich. Dass Kunst und Kultur bis heute stärker als Berufung denn als Beruf verstanden wird, hat speziell in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert Tradition.

Kunst und Künstlerbild sind bohemehaft- antibürgerlichen oder genieästhetischen Vorstellungsmustern verhaftet, die stets das Eigenschöpferisch-Autonome gegenüber dem Brotberuf betonten. Kunst als Beruf hat einen Hautgout. Das Ideelle ist das Thema, und das gilt auch für die Anfänge der klassischen Kultureinrichtungen.

Die flächendeckende Institutionalisierung der Künste zum gemeinnützigen wie später auch gewerblichen Kulturbetrieb seit Ende des 18. Jahrhunderts beginnt mit Begeisterung und Liebhaberei. Ob Theater, Museum, Konzerthaus oder Kunstverein - am Anfang stehen immer Emphasen für und die Identifikation mit der kulturellen Sache. Daraus entwickeln sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwei Grundtypen, die den sich konstituierenden öffentlichen wie privaten Kulturbetrieb bewegen und steuern: der Dilettant und der Kavalier. Der Dilettant in seinem ursprünglichen, kulturgeschichtlich verbürgten Sinne ist der kundige, begeisterungsfähige Liebhaber im Vorhof zur Professionalität. Er tritt in Gestalt des mäzenatischen Förderers und aktiv künstlerisch Anteilnehmenden auf und ist temporär Teil der künstlerischen Szene selbst. Oft sind es gut situierte Bürger mit Kunstverstand und kreativer Ader, aber auch Adelige jeglicher Couleur gehören in diesen Kreis der Kenner und Gestalter.

Der Dilettant fühlt sich berufen, initiiert, organisiert, finanziert und macht bis zu einer bestimmten Grenze den künstlerischen Prozess mit, ohne dass er ihm zu seiner eigenen Profession würde.

Der Kavalier dagegen ist ein Entsandter, von oben Delegierter, den eine offenkundige oder vermutete Leidenschaft für die Künste etwa zur Leitung eines Theaters qualifiziert.

In Deutschland dominieren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert sogenannte Kavaliersintendanten den Bühnenbetrieb - zumeist vom Fürsten oder König berufene niedrige Adelige mit einem Faible fürs Kulturelle.

Irgendwann im Lauf der Jahrzehnte reichte das vom Anforderungsprofil her nicht mehr, und an die Stelle der vielen Dilettanten und Kavaliere traten die Leute vom Fach, d.h. im Museumsbereich studierte Wissenschaftler, im Theater und Musikbetrieb erfolgreiche Schauspieler, Spielleiter (so hiessen damals die Regisseure noch) oder Kapellmeister. Der Fachmann war für die Planung und Steuerung der grösser und komplexer werdenden Kultureinrichtungen gefragt - aus der selbsterfahrenen oder fremdbestimmten Berufung wurde ein Beruf, ein gelernter Sachwalter und Interessenvertreter.

Wissenschaftler und Künstler dominierten fortan den Kulturbetrieb, der sich organisatorisch ausdifferenzierte und entsprechende Administrationen zeugte, in denen Fachleute verwalteten, währendessen akademisch ausgebildete Geisteswissenschaftler respektive Künstler planten, sammelten, produzierten. Mit der Gewerbefreiheit in Preussen 1869 trat ein weiterer mächtiger Akteur auf den Plan: der Entrepreneur und Kulturunternehmer. Die sich dynamisch entwickelnde Unterhaltungsindustrie, aber vor allem auch der traditionelle Theaterbetrieb stellten neue Anforderungen an eine ökonomisch-manageriale Kompetenz. Es gehört zu den verdrängten Kapiteln zumindest der deutschen Kulturgeschichte, dass sich grosse Teile des heute staatlichen Kulturbetriebs damals auf dem Markt behaupten mussten und in Betriebsformen wie börsennotierte Aktiengesellschaften, KGs oder GmbHs agierten. In Berlin beispielsweise waren die noch heute bestehenden Traditionsbühnen wie Deutsches Theater, Theater am Schiffsbauerdamm oder die Volksbühne bis Ende der Weimarer Republik reine Gewerbebetriebe. Das Theater als Geschäft markierte bereits früh eine uns gerade heute wieder vertraute Konstellation im Prozess der Professionalisierung: die wechselseitige Erhellung von unternehmerischem Sachverstand und künstlerischer Kompetenz als existenzsichernde Synthese. Das ist fast vergessen und mag an einem prominenten Beispiel illustriert werden: die Brüder Edmund und Max Reinhardt begründeten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den ersten global ausgerichteten Theatertrust der Welt, ein Konzernimperium, das beste künstlerische Qualität mit hoch entwickeltem Geschäftssinn und zukunftsweisenden Managementstrategien perfekt und lange Zeit marktfähig und ertragreich zu verbinden wusste.

Es zählt zu den bitteren zeitgeschichtlichen Pointen, dass der Zivilisationsbruch von 1933 in Deutschland letztlich ein rein etatistisches Kulturverständnis mit gleichgeschaltetem Kulturbetrieb etablierte, auf den die beiden deutschen Staaten nach 1949 mit kulturpolitischen Gegenentwürfen, aber weiterhin etatistischer Orientierung reagierten.

Vergessen wir aber nicht: die kulturpolitische Grundausrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg basierte in Westdeutschland auf Autonomie - und zwar als doppelte Unabhängigkeit; von staatlicher wie marktwirtschaftlicher Verfügungsgewalt. Kunst sollte in diesem zweifachen Sinne frei sein, und als Verkörperung dieser künstlerischen Eigengesetzlichkeit galt der einzig dieser Autonomie verpflichtete Künstler oder Fachmann an der Spitze der Kulturinstitute. Kunst dient nur einem Zweck: da zu sein.2 Als Garant des Da-Seins, als gleichsam Daseinsverwalter fungierte einer vom Fach. Künsterisch-kulturelle Kompetenz in diesem engen, fachspezifischen Verständnis war Conditio sine qua non für die Führung eines Hauses. Beruf und Berufung, Professionalität verdichteten sich zu einem Berufsethos, das sich ganz allein aus der künstlerisch-kulturellen Kompetenz speiste und in ihr seine einzige Legitimation erkannte. Verwaltung, Publikum, Gesellschaft, Nützlichkeits- oder wirtschaftliche Effizienzkriterien blieben als Indikator oder Anspruchsgruppen wie selbstverständlich ausgeblendet oder sekundär. Theodor W. Adorno hat in seinem Nachruf auf einen Organisator von 1962 diesem emphatischen Bild des Kulturmachers, der dem künstlerischen Anliegen voraussetzungslos dient, ein letztes gültiges Denkmal gesetzt. In seiner Hommage auf den gerade verstorbenen Leiter des Kranichsteiner Musikinstituts, Wolfgang Steinecke, beschwört Adorno das Ideal marktferner, von Ernst und öffentlicher Zurückhaltung getragener Profession: „Mit dessen eigenen Mitteln hat er der Kunst zu jenem Ernst verholfen, den der Betrieb zerstört“, schreibt Adorno in „Ohne Leitbild“ und formuliert zugleich sein darin enthaltenes Gegenmodell zum aufkommenden neuen Geist der Zeit: „Der durchs Gelingen seines wahrhaft utopischen Projektes, alle Manager der Musik überspielte und darum die Rancune der Untalentierten erregte, die aufs Wort Manager anspricht, war selber das Gegenteil eines solchen. Mit sanfter inertia tat er, was zu tun seine Bestimmung war; nie hat er andere manipuliert, nie Menschen als Dinge, nie umgekehrt Mittel als Zweck missbraucht; so rein von jeglicher Interessiertheit wie nur je ein Künstler, der von der Welt nicht sich verführen lässt. Nicht bloss war ihm der eigene Vorteil höchst gleichgültig, er trat auch in seiner eigenen Leistung, dort wo alles auf ihn ankam, bis zur Anonymität zurück. Er vermied es, öffentlich zu sprechen, vermied es, bekannt werden zu lassen, wie sehr die ganze Darmstädter Schule sein Produkt war (...).“3

Zurückhaltung. Diskretion, Intimität, Abstand vom Betrieb - das macht die Qualifikation dieses kunstsinnigen Organisators aus. Adorno umreisst damit eine aus der Distanz, der Distinktion zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit geborene, allein auf Kunst und den ihr eigenen Rezeptionsraum verpflichtete „Profession“. Die Standards heissen: qualitative Ebenbürtigkeit mit den Künstlern, Kennerschaft und Identifikation mit der künstlerischen

Sache, intellektuelles Kommunikationsniveau, organisatorisches Agieren in stiller Zurückhaltung. Vom Persönlichkeitsbild bedeutet das Integrität und Redlichkeit, Menschenfreundlichkeit und Bescheidenheit. Und schliesslich formuliert Adorno auch das antagonistische Schreckbild: Der Manager, in dessen Person künstlerisches Kennen und organisatorisches Können auseinanderfallen, bei dem die Kunst an den Betrieb ausgeliefert wird. Der Manager ist von nun an die Bezugsgrösse, an ihm werden sich in Zukunft die Geister scheiden.

Adorno hat letztlich in diesem kleinen Text die bis heute - implizit wie explizit - gültigen Vorurteilsstrukturen und Einstellungsmuster zum Thema Kultur und Professionalität geprägt. Es spricht den vielen aus dem Herzen, die aus Eigennutz oder weil sie nicht anders denken wollen, Kunst und kulturelle Vermittlungsarbeit einzig in Kategorien des Widerständigen oder Abstandwahrens begreifen.

Die Zeiten, wir wissen das, haben sich aber wandlungsdynamisch verändert: In der neuen sozialen wie kulturellen Formation der „Erlebnisgesellschaft“ gelten andere Regeln und Gesetze, wenn Professionalität gefordert wird. Nicht nur finanziell, sondern vor allem lebensweltlich stehen Kulturproduzenten und Kulturinstitutionen vor neuen Herausforderungen in ihrer Beziehung zu Rezipienten, zur Politik zu Staat, Öffentlichkeit und Markt. Die Rahmenbedingungen können nicht mehr mit denen der sechziger, siebziger oder achtziger Jahren verglichen werden. Die Lebensformen und Bewusstseinslagen der Menschen, ihre Wahrnehmung und ihr Nutzungsverhalten von Kultur verlangen einen offensiven Typus von Kulturmachern und neue Standards einer professionellen Kulturvermittlung. Was ist geschehen?

Wo niemand mehr Weg und Ziel vorzeichnet, wo man „historisch-lebensweltlich“ in eine Phase grenzenloser Offenheit angelangt ist, beginnt der zur Selbstorientierung verurteilte Mensch mit einer Vehemenz am „Gesamtkunstwerk Ich“ zu arbeiten, auf dass bevorzugt die Innenperspektive zum Ausgangspunkt von Weltansichten wird. In seiner mentalitätsgeschichtlichen Konsequenz bedeutet das: Die Philosophie des „interessanten Lebens“ verdrängt traditionelle aussenorientierte Auffassungen und führt zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Privatsphäre.4

Was bis vor ein paar Jahren noch pauschal und zunehmend routinisiert als Wertewandel und neue Unübersichtlichkeit, multioptionales Konsum- und Freizeitverhalten bezeichnet worden ist, wird in seinen praktischen Anforderungen wie Konsequenzen jetzt für Kultureinrichtungen und Medienunternehmen spür- und fassbar: Bindungen an Werte und Institutionen lockern sich, Verlässlichkeit oder Kalkulierbarkeit in Nutzungs- und Nachfrageverhalten nehmen ab, auf ausdifferenzierten Märkten wird die präzise Identifikation und Charakterisierung von Anspruchs- wie Zielgruppen immer diffiziler. Subjektivität und Vielfalt, Maskenspiel der Generationen, Warenkult, interaktive Netzwerke und mediale Dauererregungsarbeit sind wesentliche Oberflächensymptome der schönen neuen turbokapitalistischen Welt. Aber was geht in den Köpfen vor, wie steht s um die Gemütsverhältnisse?

Im wandlungsbeschleunigten Zug der Zeit wächst sowohl die Sehnsucht nach ordnungsstiftenden „Haltegriffen“ als auch nach Spielräumen spontaner Selbstentfaltung. Emotionalität und Ästhetik versuchen, das nach dem Schiffbruch politischer Utopien und dem Verschwinden verbindlicher wie verbindender Zielvereinbarungen entstandene Wertevakuum aufzufüllen und mit ihren Lebensbühnen wechselnder Attraktionen die neuen Orientierungsrahmen abzustecken. In dieser entertainisierten und erlebnisrationalen Lebenswelt kommt Waren und Marktplätzen, Events und Lifestyle nun Kultstatus zu.

Den „Künstlern am eigenen Leben“ (Ulrich Beck) ersetzt der lebensästhetische Imperativ die objektive Moral und erst recht die überkommenen Ideologien. Die Losung heiss schlicht: „Erlebe Dein Leben!“.

Die Erlebnisgesellschaft setzt die Massstäbe kultureller Rezeption, der Wettbewerb um Gunst und Ressourcen wird härter, der Legitimations- und Akzeptanzdruck auf die Kultureinrichtungen wächst.

Das ist der Befund, was tun?

Zur Erlebnisgesellschaft gehört der Kulturmanager. Der Kulturmanager als Beruf und als universitäre Ausbildungsdisziplin ist das Ergebnis der umfassenden Ästhetisierung- , Individualisierungs- und Ökonomisierungsprozesse der achtziger und neunziger Jahre. Was ist seine Profession? In der eher defensiven Berufsbildbestimmung, wie sie gern von den Protagonisten des Faches Kulturmanagement vertreten wird, ist er ein Schnittstellenexperte zwischen Kultur und Wirtschaft, ein Ermöglicher und Dienstleister der Künste, der viel moderiert und sich möglichst aus Inhalten und Programmarbeit heraushält. Dafür fordert eine durchmedialisierte, marketingbestimmte und performativgeprägte Öffentlichkeit um so mehr seine kommunikativen und vermittelnden Talente. Der kulturmanageriale Profi ist Generalist aus Leidenschaft, denn Kultureinrichtungen und Kunstproduzenten von heute brauchen identitätsstiftende Persönlichkeiten mit grosser Aussenwirkung, scheint es doch immer nur um das eine zu gehen: Aufmerksamkeit, Visibility und Geld.
Professionalisierung der Kultur vor diesem Hintergrund hat nichts mit Fluch oder Segen, sondern nur mit einem im Vergleich zur Vergangenheit merklich erweiterten Anforderungsprofil und Kompetenzportfolio zu tun. Die Notwendigkeiten liegen auf der Hand, die Konsequenzen bereiten vielen Unbehagen.

Werden wir also konkret, und ich freue mich, Ihnen nicht im Fachjargon unserer Tage einen beispielhaften Professionalisierungsprozess beschreiben zu müssen. Ich erzähle Ihnen eine kleine Episode aus einem wunderbar poetischen, 150 Jahre alten Novellentext von Adalbert Stifter: Die Erzählung heisst „Bergkristall“ und ist Teil seines Zyklus „Bunte Steine“ von 1853:

„Einige Zeit nach dem Tode seiner Eltern, durch welche ihm das Haus derselben zugefallen war, das er nun allein bewohnte, änderte sich der Schuster gänzlich. So wie er früher getollt hatte, so sass er jetzt in seiner Stube und hämmerte Tag und Nacht an seinen Sohlen. Er setzte prahlend einen Preis darauf, wenn es jemand gäbe, der bessere Schuhe und Fussbekleidungen machen könne. Er nahm keine anderen Arbeiter als die besten und trillte sie noch sehr herum, wenn sie in seiner Werkstätte arbeiteten, dass sie ihm folgten und die Sache so einrichteten, wie er befahl. Wirklich brachte er es jetzt auch dahin, dass nicht nur das ganze Dorf Gschaid, das zum grössten Teile die Schusterarbeit aus benachbarten Tälern bezogen hatte, bei ihm arbeiten liess, dass das ganze Tal bei ihm arbeiten liess und dass endlich sogar einzelne von Millsdorf und anderen Tälern hereinkamen und sich ihre Fussbekleidungen von dem Schuster in Gschaid machen liessen. Sogar in die Ebene hinaus verbreitete sich sein Ruhm, dass manche, die in die Gebirge gehen wollten, sich die Schuhe dazu von ihm machen liessen.

Er richtete das Haus sehr schon zusammen, und in dem Warengewölbe glänzten auf den Brettern die Schuhe, Bundstiefel und Stiefel; und wenn am Sonntage die ganze Bevölkerung des Tales hereinkam und man bei den vier Linden des Platzes stand, ging man gerne zu dem Schusterhause hin und sah durch die Gläser in die Warenstube, wo die Käufer und Besteller waren.

Nach seiner Vorliebe zu den Bergen machte er auch jetzt die Gebirgsbundschuhe am besten. Er pflegte in der Wirtsstube zu sagen: Es gäbe keinen, der ihm einen fremden Gebirgsbundschuh zeigen könne, der sich mit einem seinigen vergleichen lasse. „Sie wissen es nicht“, pflegte er beizufügen, „sie haben es in ihrem Leben nicht erfahren, wie ein solcher Schuh sein muss, dass der gestirnte Himmel der Nägel recht auf der Sohle sitze und das gebührende Eisen enthalte, dass der Schuh aussen hart sei, damit kein Geröllstein, wie scharf er auch sei, empfunden werde, und dass er sich von innen doch weich und zärtlich wie ein Handschuh an die Füsse lege.“

Der Schuster hatte sich ein sehr grosses Buch machen lassen, in welches er alle verfertigte Ware eintrug, die Namen derer beifügte, die den Stoff geliefert und die Ware gekauft hatten, und eine kurze Bemerkung über die Güte des Erzeugnisses beischrieb. Die gleichartigen Fussbekleidungen hatten ihre fortlaufenden Zahlen, und das Buch lag in der grossen Lade seines Gewölbes.“5

Ich hoffe, Sie haben den Text und meine Intention richtig verstanden: Professionalisierung der Kultur im Kontext eines zeitgemässen kulturmanagerialen Denkens und Handelns hat zuvorderst mit unternehmerischer Produktverantwortung, handwerklichem Können, Identifikation mit dem Gegenstand, harter konzentrierter Arbeit an der Sache und entsprechend ehrgeizigem Qualitätsbewusstsein zu tun. Wer von seinem Produkt dergestalt überzeugt ist, muss dies - Adorno möge es entschuldigen - selbstbewusst hör- und sichtbar kommunizieren. Zum Verbreiten gehört darüber hinaus ein ordentlicher Vertrieb, denn Märkte hat jeder, er sollte sie kreativ bearbeiten wollen.

Wer über ein gutes Produkt verfügt, ist verpflichtet, es kongenial zu präsentieren. Wer Kunden und Besucher phantasievoll zu locken vermag, der muss sie dauerhaft zu binden, versuchen mit ihnen in Kontakt bleiben, auf dass er sie kennenlerne. Und wer erst einmal einen solch hohen Standard erreicht hat, steht permanent in der Verantwortung: Er muss kreative Ideen haben und neue Produkte kreieren; er muss die treuen Liebhaber seiner Produkte, die gewonnenen Beziehungen hegen und pflegen. Neben der selbstverständlichen Qualität bedarf es deshalb regelmässiger Ansprache und gezielter Information. Das Unternehmen Kulturmanagement, wie ich es verstehe, entwickelt und operiert im besten Sinne ganzheitlich: inhaltliche Kompetenz und kulturelle Vermittlungsstrategien bilden eine Einheit, liegen in einer Hand. Und nicht zu vergessen: Nur wer persönlich für sein Produkt (oder: Programm) haftet, wirkt authentisch und bleibt unterscheidbar. Professionalisierung gründet auf den Regeln des Unternehmerischen - die gelten jenseits von Profit oder Non-Profit, Gewinnerzielung oder Kulturauftrag.

Nichts anderes versteckt sich hinter Professionalisierung der Kultur, sofern man es ohne ideologische Scheuklappen betrachtet und vor allem wirklich ernst meint und denn auch kann. Das ist nicht schrecklich schwer, aber auf jeden Fall anstrengend. Hauptsache aber, man investiert genügend Leidenschaft und es bereitet Spass, womit wir fast wieder am Anfang, bei den Dilettanten und Kavalieren wären. Ein grosser Schweizer Dichter hätte diese Wendung lapidar so kommentiert: „Nichts Neues unter der Sonne.“6

1 Deutsches Wörterbuch. Jacob und Wilhelm Grimm. Bd. 7 . München 1999. S. 2160.

2 Vgl. Hans-Georg Gadamer: Die Aktualität des Schönen. Stuttgart 1985.

3 Theodor W. Adorno: Nachruf auf einen Organisator. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt/M. 1970. S. 71/74.

4 Gerhard Schulze: Gehen ohne Grund. Eine Skizze zur Kulturgeschichte des Denkens. In: Andreas Kuhlmann (Hg.): Philosophische Ansichten der Kultur der Moderne. Frankfurt/M. 1995. S. 110.

5 Adalbert Stifter: Bergkristall. Erzählung. Stuttgart 1980. S. 17f.

6 Gottfried Keller, Brief vom 26. 6. 1854 an Hermann Hettner. In: Carl Helbling (Hg.), Gottfried Keller: Gesammelte Briefe in vier Bänden. Bern 1950-54, S. 396.