Landert, Markus
Felix Brenners Universum
Von der Psüchodelischen Dr. Arbeit zum Internetradio
Text: Ausstellung "Wirgen und Wergen von Felix Brenner", Kunstverein Frauenfeld 2005 Leben und Arbeit von Felix Brenner funktionieren ausserhalb üblicher Kategorien und ausserhalb üblicher Normen. Felix Brenner ist ein Aussenseiter, in der Kunst ebenso wie in der Gesellschaft. Über ihn und sein Werk zu schreiben oder zu reden verlangt gleichermassen Einfühlung und Distanz. Deshalb pendelt dieser Text zwischen biografischer Erzählung und der Beschreibung von Arbeiten, immer mit dem Ziel nicht den Aussenseiter, sondern den Künstler zu sehen.
Ein Blick in Felix Brenners autobiografischen Dossiers erschliesst die Geschichte eines Lebens, das immer wieder durch radikale Brüche verändert worden ist. In Basel geboren und aufgewachsen, verlässt er schon mit 13 Jahren die Schule, bricht aus dem Elternhaus aus und beginnt eine langjährige Drogenkarriere mit allen negativen Begleiterscheinungen. Parallel zum Leben in WGs, Erziehungsheimen und Gefängnissen besucht Felix Brenner immer auch Kurse an der Grafikfachklasse an der Kunstgewerbeschule in Basel. Ein Stipendium ermöglicht ihm einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in New York. Er versteht sich als Künstler und seine Lithografien und mehrfarbigen Radierungen bleiben in der Szene nicht unbemerkt. Daneben gründet Felix Brenner 1987 die Kunst- und Politikbewegung „Blauer Planet“, engagiert sich in der „Alten Stadtgärtnerei“ und wird ein fester Bestandteil der alternativen Kulturszene in Basel.
Anfang der neunziger Jahre zieht Felix Brenner in den Jura, wo er in einem kleinen Dorf ein ruinöses Haus bewohnbar macht und seine erste ethnobotanische Gärtnerei anlegt. Verkaufserfolge an ersten Ausstellungen haben ihm den Erwerb von zwei Druckerpressen ermöglicht. Es entstehen vermehrt druckgrafische Arbeiten, mehrfarbige Radierungen und Lithografien. Die in den Kursen der Grafikfachklasse erworbenen gestalterischen Erkenntnisse werden experimentell erweitert. Felix Brenner sucht nach neuen Bildvorstellungen, nach neuen Umsetzungen seiner visionären Erfahrungen, nach einer Verbindung von Fotografie und traditionellen Drucktechniken.
Ein wichtiges Projekt der Zeit im Jura ist die Fertigstellung der „Psüchodelischen Dr. Arbeit“. Felix Brenner will seine Erfahrungen mit psychoaktiven Stoffen festhalten. Er züchtet Pflanzen, die halluzinogene Stoffe enthalten - Pilze, Kakteen oder Haschsorten - testet ihre Wirkung im Selbstversuch und notiert alles auf einem stetig wachsenden Stapel von Blättern. Felix Brenner ist überzeugt, einen wichtigen Beitrag zu leisten zur Ethnobotanik, jener etwas obskuren Wissenschaft, die die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen erforscht. Zur Ethnobotanik werden Forschungszweige aus mehreren Fachgebieten zugerechnet, die das Pflanzenwissen der verschiedenen Völker untersuchen und beschreiben. An der Schnittstelle zwischen Molekularbiologie, Chemie und Volkskunde fluktuierend wird dieses Fachgebiet nur selten an Universitäten gelehrt, umso häufiger aber im Umfeld alternativer Homepages mit Informationen über psychoaktiven Stoffe als wissenschaftliche Grundlage zitiert.
Felix Brenners Forschungen haben einen ganz pragmatischen Hintergrund. In einem seiner Dossiers beschreibt er seine Arbeit im Jura wie folgt: „Ich wollte eine ethnobotanische Gärtnerei auf dem verwilderten Land aufbauen, um (diese) je nach gesetzlicher Lage auch umfunktionieren zu können auf professionelles Arbeiten für Pharma und kommerzielle Zwecke. Ebenso sollte in der ersten Linie Platz für botanische Pflanzversuche da sein. Eine Art Sammlung von Kakteen, Pilzarten und Kräuter verschiedener Arten mit Sammeltätigkeit von Jura-Alpkräutern, Schlüsselblumen und Juraweidensalbei, Thymian und Pfefferminz-Arten, die sehr schmackhaft sind, aber selten oder nicht einfach zu kultivieren sind. Mein originalgrafisches Atelier diente mir zur Dokumentation.“* Hier wird eine erste Beziehung zwischen Pflanzenexperimenten und künstlerischer Arbeit formuliert: Das Zeichnen und Drucken ist Dokumentationsinstrument. Erfahrungen und Erkenntnisse werden festgehalten, systematisiert und vervielfältigt, damit das Wissen von Dritten genutzt werden kann. Mit seinen Druckerpressen hatte Felix Brenner ein Instrument in der Hand, mit dem er unabhängig vom Einfluss Dritter oder den Zwängen einer kommerziellen Produktion seine Erkenntnisse veröffentlichen konnte.
Von der „Psüchodelischen Dr. Arbeit“ entstehen dann allerdings nur einzelne Exemplare, von denen keines mehr im Besitz von Felix Brenner ist. Die vermeintliche Idylle im Jura erweist sich je länger je mehr auch als konfliktbeladene, angstmachende Situation. Die Spannung wächst und eines Tages verbrennt Felix Brenner seine Arbeiten, macht die Maschinen unbrauchbar und flüchtet zusammen mit seinem Hund zuerst nach Basel, dann weiter nach Holland, wo er einen Asylantrag stellt. In Amsterdam kann allerdings niemand seine Bedrohungslage nachvollziehen und Felix Brenner wird in die Schweiz zurückgeschickt. Hier hilft ihm ein Bekannter, einen neuen Wohnort zu finden. Rückblickend erinnert sich Felix Brenner nicht ohne Humor an seine Ankunft im Herbst 2001 in der Ostschweiz: „So ging die Reise in den Thurgau. La Pomme, meine Bernersennenhündin und ich, zwei Schlafsäcke: einen für mich, einen für den Hund. 7 Kilo Hundefutter – und das war’s. ... Im Thurgau erwartete mich ländliche Stille. Meine erste Unterkunft: Ein Wohnwagen auf einem anthroposophisch dynamisierten Bauern-Gemüse-Feldhof. Darin hauste ich einen Monat. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Der Tag war geprägt durch Arbeit auf dem Hof. Samstags reiste ich nach Frauenfeld, um dort ein so genannter „Badezusatz“ zu kaufen. Um rauchbare Hanfdolden handelt es sich dabei. Diese suchte ich und zeichnete an Wochenenden im oder vor dem Wohnwagen. Bis eine Wohnung gefunden werden konnte, dauerte es jedenfalls eine Ewigkeit und ich wusste nicht, wann ich anthroposophisch geheuet und im Dynamisierungsfass zerkleinert würde – was natürlich nicht geschah.“
Einige Wochen später kann Felix Brenner in Altnau eine Wohnung beziehen und beginnt bald schon wieder mit grösseren Werken. Da die im Jura zurückgebliebenen Druckmaschinen trotz vielfältiger Bemühungen nicht wieder beschafft werden können, zeichnet und malt er. Bereits im Jura sind einzelne wandfüllende Zeichnungen entstanden, die stark farbig gehalten, komplex verschachtelte Raumkompositionen zeigen. Nur zwei dieser Arbeiten hat Felix Brenner bei seiner Odyssee in den Thurgau gerettet.
In Altnau hält Felix Brenner Eindrücke fest, denen er an seinem neuen Wohnort begegnet. Ein Bild zeigt seine erste Unterkunft im Thurgau, den Wohnwagen, Aussenansicht und Innenraum kunstvoll ineinander verschränkt. Ein anderes öffnet den Blick aus seiner Wohnung in Altnau und wieder andere zeigen verschiedene Gebäude aus dem Dorf – Kirchen und Wirtshäuser – Landschaftsstücke und Ansichten aus Frauenfeld oder Ittingen, oft auch nur Architekturdetails und Innenräume. Tiere und Menschen tauchen in den Bildern auf: Sein Hund „La Pomme“ oder Leute aus dem Dorf und Personen, die ihn in seinem Kampf um das Wiedergewinnen der Druckmaschinen unterstützen. Manchmal auch er selber. Auf den wandfüllenden Bildern entfaltet sich so ein Kaleidoskop von Felix Brenners Leben. Vielfältig verschachtelt greifen die Räume ineinander, verdichtet sich Erfahrenes und Erlebtes zu lebendigen Visionen, in denen sich die Welt als fragiles, bewegtes Terrain zeigt.
Bei der Produktion der Bilder finden die ethnobotanischen Experimente eine pragmatische Anwendung. Felix Brenner malt seine Werke in Rauschzuständen. „Die Hanfekstase ist für mich und mein Wirken sehr wichtig, egal ob ich eine karitative Diskothek oder Radiostation ohne mein Wissen betreibe (...) oder ob ich malerisch-naturwissenschaftlich arbeite.“, meint er. Obwohl die Bilder das Resultat halluzinogener Wahrnehmungserfahrungen sind, entstehen sie nicht in einem schnellen, expressiven oder gar unkontrollierten Malvorgang. Vielmehr komponiert Felix Brenner sie sorgfältig und bewusst. Mit Hilfe der Fotografie werden einzelne Motive und Raumeindrücke zueinander in Bezug gebracht und verdichtet. Diese fotografischen Elemente werden kontrastiert mit „elementaren Sachen, wie fliessendem Wasser“. Die ausgewählten Motive projiziert Felix Brenner an die Wand, macht eine Vorzeichnung mit Bleistift, die mit Tusche nachgezogen und zu guter Letzt mit starken Farbtönen eingefärbt wird.
Parallel zu den wandfüllenden Bildern führt Felix Brenner im Thurgau seine ethnobotanische Forschungsarbeit weiter. Er züchtet Kakteen und Kräuter. Die Wände seiner Wohnung sind da, wo keine Bilder hängen, mit der Beschreibungen seiner Pilze und Kakteen tapeziert oder mit Dokumentationsmaterial über seinen Auszug aus dem Jura. Auch heute noch wuchern die Zeugnisse jener dramatischen Tage gleichsam über seine Wohnungswände: Fotografien des Hauses mit Garten, der Druckerpressen oder Kopien seiner Briefe skizzieren die Ereignisse des Auszugs: Anklage und Erinnerungsarbeit gleichermassen.
Seine Studien fasst Felix Brenner zudem in dicken Dossiers zusammen, in denen er seine botanischen Zuchterfolge (ebenso wie die Misserfolge), seine Korrespondenz über Einkauf und Wirkung der Kräuter, seinen Kampf um die Druckmaschinen aber auch die Entstehung seiner Bilder sorgfältig dokumentiert und kommentiert. Was für den schnellen Leser eine Anhäufung von Informationen ohne System zu sein scheint, folgt durchaus einem geplanten Vorgehen. Felix Brenner meint: „Die Verfassung des Dossiers verläuft mit Lebenslauf direkt in das Umfeld meiner Tätigkeit. Einiges wird sich wiederholen und wiederholen, weil das Konzept zur Verfassung, von mir zu Beginn festgelegt wurde, im Verlauf der Arbeit aber die eigene Richtung bestimmte. Dies erschien mir als (das) Authentische. Und in der Liebe zu diesem Authentischen, verweigere ich jegliche eigene Korrektur der Rechtschreibung oder der thematischen Reihenfolge der Inhaltsbeschreibungen. Der lesende Interessent soll sich sein Blickwinkel eröffnen. Sicher ist der ganz anders wie meiner und das ist gut so. Wir sind dem individuellen Verarbeiten unserer eigenen Identität verpflichtet, was Verfassung und Bewährung angeht.“ Die vermeintliche Unorganisiertheit der Dossiers erweist sich also als das Resultat einer geplant intuitiven Vorgehensweise, die es zulässt, dass auch weiterführende Gedanken in das vorwärtsschreitende Dokumentationswerk aufgenommen werden können. Dieses Vorgehen rechnet allerdings nicht nur mit einer neugierigen Leserschaft, sondern auch mit einer kritischen und selbstbewussten.
Der jüngste Werkkomplex von Felix Brenner besteht aus Videoarbeiten. Ursprünglich hatte er vor, eine Radiostation zu betreiben, um seine Schallplattensammlung nutzen zu können. Diese Idee führte zu einem Internetprojekt, das mit Hilfe eines Kunststipendiums des Kantons Basel in Angriff genommen werden konnte. Felix Brenner kaufte sich einen neuen Computer und fand heraus, dass es heute keine grosse Sache mehr ist, Videofilme zu machen und aufs Netz zu legen. So arbeitet er an Filmen, in denen seine wandfüllenden Bilder plötzlich zu Kulissen werden für Auftritte, in denen er in skurrilen Verkleidungen magische und vielleicht auch ironischen Rituale durchführt.
Felix Brenners Wohnung ist deshalb im Moment nicht nur ethnobotanisches Versuchslabor, Dokumentationszentrum und Ausstellungsraum. Sie ist auch Aktionsraum und Filmstudio. Der Kern all dieser Aktivitäten ist die Person Felix Brenners, der die unterschiedlichen Ausdrucksformen nutzt, um sich seiner Wirklichkeit zu versichern, sie zu fassen, zu halten und an seine Mitmenschen zu vermitteln. Alle Elemente seines Schaffens – die ethnobotanische Forschungstätigkeit ebenso wie die Bild- und Videoproduktion oder die Dokumentationsarbeit – bilden eine untrennbare Einheit und verweisen unablässig aufeinander. Felix Brenner ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Lebenskunstwerker, bei dem Kunst und Leben, Forschung und Genuss, Bilderei und Wirklichkeit zu einer komplexen, alternativen Weltbeschreibung zusammenfinden. Diese Wirklichkeitsbeschwörung ist – von aussen gesehen – in vielen ihrer Elemente abstrus oder zumindest ungewöhnlich. Denn Felix Brenners Wissen folgt nicht den Strukturen des üblichen Wissens, sein Forschen nicht den Wegen normaler Wissenschaftlichkeit. Seine Strategien einer kontrollierten Manipulation der Wahrnehmung stören die übliche Sicht auf die Wirklichkeit. Wer eindringt in das Universum von Felix Brenner läuft Gefahr, dass Ruhe und Sicherheit der eigenen Wahrnehmung auch ohne Drogenkonsum zumindest irritiert werden. Wer die Welt durch die Augen von Felix Brenner zu sehen beginnt, erfährt, wie vieles ganz anders gesehen werden könnte und dass dies nicht nur schlecht sein müsste.
* Alle Zitate aus Dossiers von Felix Brenner. Typoskripte, 2000-2004.
Ein Blick in Felix Brenners autobiografischen Dossiers erschliesst die Geschichte eines Lebens, das immer wieder durch radikale Brüche verändert worden ist. In Basel geboren und aufgewachsen, verlässt er schon mit 13 Jahren die Schule, bricht aus dem Elternhaus aus und beginnt eine langjährige Drogenkarriere mit allen negativen Begleiterscheinungen. Parallel zum Leben in WGs, Erziehungsheimen und Gefängnissen besucht Felix Brenner immer auch Kurse an der Grafikfachklasse an der Kunstgewerbeschule in Basel. Ein Stipendium ermöglicht ihm einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in New York. Er versteht sich als Künstler und seine Lithografien und mehrfarbigen Radierungen bleiben in der Szene nicht unbemerkt. Daneben gründet Felix Brenner 1987 die Kunst- und Politikbewegung „Blauer Planet“, engagiert sich in der „Alten Stadtgärtnerei“ und wird ein fester Bestandteil der alternativen Kulturszene in Basel.
Anfang der neunziger Jahre zieht Felix Brenner in den Jura, wo er in einem kleinen Dorf ein ruinöses Haus bewohnbar macht und seine erste ethnobotanische Gärtnerei anlegt. Verkaufserfolge an ersten Ausstellungen haben ihm den Erwerb von zwei Druckerpressen ermöglicht. Es entstehen vermehrt druckgrafische Arbeiten, mehrfarbige Radierungen und Lithografien. Die in den Kursen der Grafikfachklasse erworbenen gestalterischen Erkenntnisse werden experimentell erweitert. Felix Brenner sucht nach neuen Bildvorstellungen, nach neuen Umsetzungen seiner visionären Erfahrungen, nach einer Verbindung von Fotografie und traditionellen Drucktechniken.
Ein wichtiges Projekt der Zeit im Jura ist die Fertigstellung der „Psüchodelischen Dr. Arbeit“. Felix Brenner will seine Erfahrungen mit psychoaktiven Stoffen festhalten. Er züchtet Pflanzen, die halluzinogene Stoffe enthalten - Pilze, Kakteen oder Haschsorten - testet ihre Wirkung im Selbstversuch und notiert alles auf einem stetig wachsenden Stapel von Blättern. Felix Brenner ist überzeugt, einen wichtigen Beitrag zu leisten zur Ethnobotanik, jener etwas obskuren Wissenschaft, die die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen erforscht. Zur Ethnobotanik werden Forschungszweige aus mehreren Fachgebieten zugerechnet, die das Pflanzenwissen der verschiedenen Völker untersuchen und beschreiben. An der Schnittstelle zwischen Molekularbiologie, Chemie und Volkskunde fluktuierend wird dieses Fachgebiet nur selten an Universitäten gelehrt, umso häufiger aber im Umfeld alternativer Homepages mit Informationen über psychoaktiven Stoffe als wissenschaftliche Grundlage zitiert.
Felix Brenners Forschungen haben einen ganz pragmatischen Hintergrund. In einem seiner Dossiers beschreibt er seine Arbeit im Jura wie folgt: „Ich wollte eine ethnobotanische Gärtnerei auf dem verwilderten Land aufbauen, um (diese) je nach gesetzlicher Lage auch umfunktionieren zu können auf professionelles Arbeiten für Pharma und kommerzielle Zwecke. Ebenso sollte in der ersten Linie Platz für botanische Pflanzversuche da sein. Eine Art Sammlung von Kakteen, Pilzarten und Kräuter verschiedener Arten mit Sammeltätigkeit von Jura-Alpkräutern, Schlüsselblumen und Juraweidensalbei, Thymian und Pfefferminz-Arten, die sehr schmackhaft sind, aber selten oder nicht einfach zu kultivieren sind. Mein originalgrafisches Atelier diente mir zur Dokumentation.“* Hier wird eine erste Beziehung zwischen Pflanzenexperimenten und künstlerischer Arbeit formuliert: Das Zeichnen und Drucken ist Dokumentationsinstrument. Erfahrungen und Erkenntnisse werden festgehalten, systematisiert und vervielfältigt, damit das Wissen von Dritten genutzt werden kann. Mit seinen Druckerpressen hatte Felix Brenner ein Instrument in der Hand, mit dem er unabhängig vom Einfluss Dritter oder den Zwängen einer kommerziellen Produktion seine Erkenntnisse veröffentlichen konnte.
Von der „Psüchodelischen Dr. Arbeit“ entstehen dann allerdings nur einzelne Exemplare, von denen keines mehr im Besitz von Felix Brenner ist. Die vermeintliche Idylle im Jura erweist sich je länger je mehr auch als konfliktbeladene, angstmachende Situation. Die Spannung wächst und eines Tages verbrennt Felix Brenner seine Arbeiten, macht die Maschinen unbrauchbar und flüchtet zusammen mit seinem Hund zuerst nach Basel, dann weiter nach Holland, wo er einen Asylantrag stellt. In Amsterdam kann allerdings niemand seine Bedrohungslage nachvollziehen und Felix Brenner wird in die Schweiz zurückgeschickt. Hier hilft ihm ein Bekannter, einen neuen Wohnort zu finden. Rückblickend erinnert sich Felix Brenner nicht ohne Humor an seine Ankunft im Herbst 2001 in der Ostschweiz: „So ging die Reise in den Thurgau. La Pomme, meine Bernersennenhündin und ich, zwei Schlafsäcke: einen für mich, einen für den Hund. 7 Kilo Hundefutter – und das war’s. ... Im Thurgau erwartete mich ländliche Stille. Meine erste Unterkunft: Ein Wohnwagen auf einem anthroposophisch dynamisierten Bauern-Gemüse-Feldhof. Darin hauste ich einen Monat. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Der Tag war geprägt durch Arbeit auf dem Hof. Samstags reiste ich nach Frauenfeld, um dort ein so genannter „Badezusatz“ zu kaufen. Um rauchbare Hanfdolden handelt es sich dabei. Diese suchte ich und zeichnete an Wochenenden im oder vor dem Wohnwagen. Bis eine Wohnung gefunden werden konnte, dauerte es jedenfalls eine Ewigkeit und ich wusste nicht, wann ich anthroposophisch geheuet und im Dynamisierungsfass zerkleinert würde – was natürlich nicht geschah.“
Einige Wochen später kann Felix Brenner in Altnau eine Wohnung beziehen und beginnt bald schon wieder mit grösseren Werken. Da die im Jura zurückgebliebenen Druckmaschinen trotz vielfältiger Bemühungen nicht wieder beschafft werden können, zeichnet und malt er. Bereits im Jura sind einzelne wandfüllende Zeichnungen entstanden, die stark farbig gehalten, komplex verschachtelte Raumkompositionen zeigen. Nur zwei dieser Arbeiten hat Felix Brenner bei seiner Odyssee in den Thurgau gerettet.
In Altnau hält Felix Brenner Eindrücke fest, denen er an seinem neuen Wohnort begegnet. Ein Bild zeigt seine erste Unterkunft im Thurgau, den Wohnwagen, Aussenansicht und Innenraum kunstvoll ineinander verschränkt. Ein anderes öffnet den Blick aus seiner Wohnung in Altnau und wieder andere zeigen verschiedene Gebäude aus dem Dorf – Kirchen und Wirtshäuser – Landschaftsstücke und Ansichten aus Frauenfeld oder Ittingen, oft auch nur Architekturdetails und Innenräume. Tiere und Menschen tauchen in den Bildern auf: Sein Hund „La Pomme“ oder Leute aus dem Dorf und Personen, die ihn in seinem Kampf um das Wiedergewinnen der Druckmaschinen unterstützen. Manchmal auch er selber. Auf den wandfüllenden Bildern entfaltet sich so ein Kaleidoskop von Felix Brenners Leben. Vielfältig verschachtelt greifen die Räume ineinander, verdichtet sich Erfahrenes und Erlebtes zu lebendigen Visionen, in denen sich die Welt als fragiles, bewegtes Terrain zeigt.
Bei der Produktion der Bilder finden die ethnobotanischen Experimente eine pragmatische Anwendung. Felix Brenner malt seine Werke in Rauschzuständen. „Die Hanfekstase ist für mich und mein Wirken sehr wichtig, egal ob ich eine karitative Diskothek oder Radiostation ohne mein Wissen betreibe (...) oder ob ich malerisch-naturwissenschaftlich arbeite.“, meint er. Obwohl die Bilder das Resultat halluzinogener Wahrnehmungserfahrungen sind, entstehen sie nicht in einem schnellen, expressiven oder gar unkontrollierten Malvorgang. Vielmehr komponiert Felix Brenner sie sorgfältig und bewusst. Mit Hilfe der Fotografie werden einzelne Motive und Raumeindrücke zueinander in Bezug gebracht und verdichtet. Diese fotografischen Elemente werden kontrastiert mit „elementaren Sachen, wie fliessendem Wasser“. Die ausgewählten Motive projiziert Felix Brenner an die Wand, macht eine Vorzeichnung mit Bleistift, die mit Tusche nachgezogen und zu guter Letzt mit starken Farbtönen eingefärbt wird.
Parallel zu den wandfüllenden Bildern führt Felix Brenner im Thurgau seine ethnobotanische Forschungsarbeit weiter. Er züchtet Kakteen und Kräuter. Die Wände seiner Wohnung sind da, wo keine Bilder hängen, mit der Beschreibungen seiner Pilze und Kakteen tapeziert oder mit Dokumentationsmaterial über seinen Auszug aus dem Jura. Auch heute noch wuchern die Zeugnisse jener dramatischen Tage gleichsam über seine Wohnungswände: Fotografien des Hauses mit Garten, der Druckerpressen oder Kopien seiner Briefe skizzieren die Ereignisse des Auszugs: Anklage und Erinnerungsarbeit gleichermassen.
Seine Studien fasst Felix Brenner zudem in dicken Dossiers zusammen, in denen er seine botanischen Zuchterfolge (ebenso wie die Misserfolge), seine Korrespondenz über Einkauf und Wirkung der Kräuter, seinen Kampf um die Druckmaschinen aber auch die Entstehung seiner Bilder sorgfältig dokumentiert und kommentiert. Was für den schnellen Leser eine Anhäufung von Informationen ohne System zu sein scheint, folgt durchaus einem geplanten Vorgehen. Felix Brenner meint: „Die Verfassung des Dossiers verläuft mit Lebenslauf direkt in das Umfeld meiner Tätigkeit. Einiges wird sich wiederholen und wiederholen, weil das Konzept zur Verfassung, von mir zu Beginn festgelegt wurde, im Verlauf der Arbeit aber die eigene Richtung bestimmte. Dies erschien mir als (das) Authentische. Und in der Liebe zu diesem Authentischen, verweigere ich jegliche eigene Korrektur der Rechtschreibung oder der thematischen Reihenfolge der Inhaltsbeschreibungen. Der lesende Interessent soll sich sein Blickwinkel eröffnen. Sicher ist der ganz anders wie meiner und das ist gut so. Wir sind dem individuellen Verarbeiten unserer eigenen Identität verpflichtet, was Verfassung und Bewährung angeht.“ Die vermeintliche Unorganisiertheit der Dossiers erweist sich also als das Resultat einer geplant intuitiven Vorgehensweise, die es zulässt, dass auch weiterführende Gedanken in das vorwärtsschreitende Dokumentationswerk aufgenommen werden können. Dieses Vorgehen rechnet allerdings nicht nur mit einer neugierigen Leserschaft, sondern auch mit einer kritischen und selbstbewussten.
Der jüngste Werkkomplex von Felix Brenner besteht aus Videoarbeiten. Ursprünglich hatte er vor, eine Radiostation zu betreiben, um seine Schallplattensammlung nutzen zu können. Diese Idee führte zu einem Internetprojekt, das mit Hilfe eines Kunststipendiums des Kantons Basel in Angriff genommen werden konnte. Felix Brenner kaufte sich einen neuen Computer und fand heraus, dass es heute keine grosse Sache mehr ist, Videofilme zu machen und aufs Netz zu legen. So arbeitet er an Filmen, in denen seine wandfüllenden Bilder plötzlich zu Kulissen werden für Auftritte, in denen er in skurrilen Verkleidungen magische und vielleicht auch ironischen Rituale durchführt.
Felix Brenners Wohnung ist deshalb im Moment nicht nur ethnobotanisches Versuchslabor, Dokumentationszentrum und Ausstellungsraum. Sie ist auch Aktionsraum und Filmstudio. Der Kern all dieser Aktivitäten ist die Person Felix Brenners, der die unterschiedlichen Ausdrucksformen nutzt, um sich seiner Wirklichkeit zu versichern, sie zu fassen, zu halten und an seine Mitmenschen zu vermitteln. Alle Elemente seines Schaffens – die ethnobotanische Forschungstätigkeit ebenso wie die Bild- und Videoproduktion oder die Dokumentationsarbeit – bilden eine untrennbare Einheit und verweisen unablässig aufeinander. Felix Brenner ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Lebenskunstwerker, bei dem Kunst und Leben, Forschung und Genuss, Bilderei und Wirklichkeit zu einer komplexen, alternativen Weltbeschreibung zusammenfinden. Diese Wirklichkeitsbeschwörung ist – von aussen gesehen – in vielen ihrer Elemente abstrus oder zumindest ungewöhnlich. Denn Felix Brenners Wissen folgt nicht den Strukturen des üblichen Wissens, sein Forschen nicht den Wegen normaler Wissenschaftlichkeit. Seine Strategien einer kontrollierten Manipulation der Wahrnehmung stören die übliche Sicht auf die Wirklichkeit. Wer eindringt in das Universum von Felix Brenner läuft Gefahr, dass Ruhe und Sicherheit der eigenen Wahrnehmung auch ohne Drogenkonsum zumindest irritiert werden. Wer die Welt durch die Augen von Felix Brenner zu sehen beginnt, erfährt, wie vieles ganz anders gesehen werden könnte und dass dies nicht nur schlecht sein müsste.
* Alle Zitate aus Dossiers von Felix Brenner. Typoskripte, 2000-2004.