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Judit Villiger: Hasenkabinett

Herstellungsjahr: 2010

Technik: Öl auf Sperrholz

Masse: je 42 x 30 cm

In Naturmuseen des 19. Jahrhunderts wurden vielfach Modelle verschiedener Lebensräume in Form bühnenartiger Guckkästen präsentiert. Die dort vor gemalten Hintergründen inszenierten Tierpräparate nimmt Judit Villigers Werkgruppe «Hasenkabinett» (seit 2000) als Ausgangspunkt. (...)
Das grosse Spektrum an blau, grau und grün schimmernden Pinselstrichen verleiht den Hasen eine unmittelbare körperliche Präsenz. Wie in einer Ahnengalerie versammelt, schweben ihre Brustporträts auf weissem Gessohintergrund. Der klinisch leere Bildraum strahlt die Kälte und abstrakte Neutralität eines Labors aus, während die Virtuosität der Ausführung in Öl altmeisterlich anmutet – was der Begriff «Kabinett» noch unterstreicht. Das Motiv des Hasen erinnert an Fruchtbarkeitssymbole, die Trophäe an herrschaftliche Jagdstillleben, die kantigen Schädelformen lassen an kubistisch zerklüftete Bildräume denken und ihre metallische Glätte an futuristische Roboter. Wiederum wird ein Netz aus Andeutungen an vergangene, gegenwärtige und virtuelle Bildwelten geknüpft und ausgeworfen.
Tatsächlich dienten Judit Villiger Fotografien von ausgestopften Tieren aus naturhistorischen Sammlungen als Vorlagen für die Malerei. Die Tierpräparate verströmen als in typischem Idealzustand einbalsamierte Hüllen noch heute den enzyklopädischen Geist des 19. Jahrhunderts. Damals wurde in naturhistorischen Museen gemäss entwicklungsgeschichtlicher Abfolgen und anhand von Modellen evolutionärer Fortschritt vermittelt und auch direkt oder indirekt auf gesellschaftliche Entwicklungen übertragen.
In Judit Villigers komplexer Vervielfachung der Aneignung – das fotografierte Präparat, wiederum in die Malerei übersetzt – scheinen die feingliedrigen Tiere stets unverwandt den Betrachter zu fixieren. Durchbrechen sie das konventionelle Blickregime, das den Erbeuter und Erforscher zum unverhohlen einseitig blickenden Voyeur erhoben hatte?
In einem Auge spiegelt sich ein Fensterkreuz, das – wie bei Albrecht Dürers im Jahr 1502 aquarelliertem Feldhasen – auf die Bildentstehung in einem Innenraum verweist. Mit solch hintergründigen Andeutungen unterlegt Judit Villiger dem scheinbar einfachen Motiv wie einen Subtext die Schritte von der Taxidermie über die Fotografie zum gemalten Abbild. Dieser Transfer überführt das Tier in eine Erscheinung, die verschiedene Projektionen auf Natur und Geschichte in sich vereint. Trotz oder gerade aufgrund der Akkumulation von Vereinnahmungen entwischt sie beständig jeder eindeutigen Interpretation.
(Stefanie Hoch in der Publikation "Judit Villiger- erfunden und erlogen", Sulgen 2013, S. 14.ff.)

Biografie

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