Othmar Eders Werke entstehen durch Hunderte von zarten Strichen auf dem Papier. Der Künstler arbeitete mit einer speziellen Technik, mit einer Mischung aus Kohlepapierübertragung und Bleistiftzeichnung. Der Duktus verweist auf eine Zeichnerhand, die in akribischer Weise den Stift führt. Weiche Schraffuren und exakt gezeichnete Formen und Linien bilden zwei grossformatige Naturdarstellungen in Helldunkelgestaltung. Auf den ersten Blick sind die vom Zeichner übertragenen Landschaftsausschnitte eindeutig – ein geschwungener Bachverlauf im Walde und eine lebendige Hügel-Wolken-Szenerie. Doch die Eindeutigkeit wird gestört: Der Künstler überdeckt die Naturdarstellungen mit einem transparenten Vorhang aus feinen vertikalen Linien und mit breiteren, dunklen Bändern. Othmar Eders Vorgehensweise ähnelt der Collagetechnik, bei der verschiedene Elemente über- und nebeneinander geklebt ein neues Bild ergeben. Bei Eder werden die Bildebenen allerdings in einem zeichnenden Prozess geschichtet. Der Künstler kombiniert mehrere Motive im gleichen Bild. Die Ausgangsmotive sind grafische Blätter aus dem wenig bekannten Frühwerk der Künstlerin Helen Dahm (1878–1968), die Eder in einer Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau entdeckt hatte. Er überlagerte die Landschaftsansichten Dahms mit Fotografien von Klebestreifen an einem Dachfenster in Lissabon, jener Stadt, die der Künstler seit mehreren Jahren immer wieder besucht. Der Steinbruch, der wie eine klaffende Wunde in der Landschaft liegt, wird ebenso «zugepflastert» wie der mäandrierende Bachverlauf. In der zeichnerischen Überlappung von Landschaftsdarstellungen aus dem 20. Jh. und aktuellen Architekturfotografien werden unterschiedliche Zeiten, Orte und Perspektiven zu surrealen Szenen vermischt. Die Bildproduktionen von Othmar Eder spiegeln eine zeitgenössische künstlerische Arbeitsweise, in der das uralte Medium der Zeichnung in neuer, faszinierender Form aufgegriffen wird.
