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Meszmer, Alex

Entropie im Atelier oder nach mir die Sintflut

Der Text erscheint in: "Künstlernachlässe", (Schweizer Kunst, 02.07/01.08), hrsg. VISARTE Schweiz, Zürich 26.10.07 Materie ist dauernder Veränderung unterworfen und der Versuch, Dinge zu bewahren, heisst eigentlich: gegen die Natur zu arbeiten. Gäbe es diesen Prozess nicht, würde sich in kürzester Zeit der ganze Planet in eine unbewohnbare Müllhalde verwandeln. Das Werk von KünstlerInnen versteht sich als etwas Bewahrenswertes und wir versuchen den Verfallsprozess zu stoppen. Kunst zu zerstören, ist ein strafbarer Akt, ein Vergehen an der allgemein anerkannten Kultur. Als Jugendlicher beeindruckte mich nachhaltig, dass Max Frisch an einem bestimmten Punkt seiner Karriere alle seine Schriften im Wald verbrannte und einen Neuanfang wagte. Es war mir neu, dass KünstlerInnen so krass sein können, ihre Werke einer Zäsur zu unterziehen. Nur: um Kunst machen zu können, braucht es den Verfall. Wo wäre sonst Platz für die neuen Werke der Zukunft?

Performance und Aktionen, Netzkunst und Installationen bebildern beispielhaft künstlerische Prozesse – Werke im klassischen Sinne sind sie nicht. So scheint es fast anachronistisch, dass wir uns vor allem heute mit dem Thema Künstlernachlässe auseinandersetzen müssen, in einer Zeit, in der in Bälde die Problematik auf uns zu kommen wird, flüchtige Werke überhaupt zu bewahren. Video und digitale Kunst müssen viel aufwändiger gepflegt werden und ohne die Archivierung der technischen Geräte sind diese Werke bereits nach wenigen Jahren Geschichte. Briefe, Fotos, persönliche Notizen werden in Zukunft nur erforscht werden können, wenn für digitale Daten eine Archivierungslösung gefunden wird. Die durchschnittliche Haltbarkeit von Dateien beträgt nicht mehr als 15 Jahre, jeder Computercrash sorgt für eine natürliche Form der Auslese und so sich die heutige Entwicklung fortsetzt, sehen wir einer Zeit entgegen, deren Kultur nur für den Moment existieren wird. Werke die keinen Eingang in das öffentliche Datenbewusstsein finden, werden noch schneller als heute vergessen sein. Ob unsere Daten länger als eine Generation haltbar sein werden, ist ungewiss. Es kann durchaus sein, dass unsere Zeit im Rückblick aus der Zukunft kulturell nicht mehr existieren wird.

Die zeitgenössische Kunst entwickelt sich mit diesem schizophrenen Prozess und der Paradigmenwechsel des Begriffs Kunstwerk führt direkt in einen Generationenkonflikt: Die Generation KünstlerInnen , die mit dem alten Werkbegriff arbeitet, muss frustriert mit ansehen, wie eine andere Generation den Kunstbetrieb erobert, ohne über solche Zusammenhänge nachzudenken. Die Vorliebe für Jugendkultur als Dauerproduzent für Avantgarde und Subkultur, verstellt dem Kunstbetrieb die Sicht auf die Qualität gewachsener künstlerischer Auseinandersetzung. Der, so matt gesetzten Generation bleibt nur die Hoffnung auf die Zukunft und der Versuch, durch Lagerung die Zeit bis zur Korrektur der eigenen Bedeutung durchzustehen. Eine wirkliche Lösung findet sich allerdings auch durch den Wechsel nicht, denn selbst Video- oder Netzkünstler überlassen die Sorge um Aufbewahrung ihrer Arbeiten lieber den Experten und kokettieren mit Vergänglichkeit.

Jede KünstlerIn trägt in sich den Wunsch, in die Kunstgeschichte einzugehen. Tief im Inneren weiss aber auch jede KünstlerIn um die persönliche Bedeutung in der Welt – er/sie kann sich und sein Werk in Konkurrenz zu anderen einschätzen. KünstlerInnen die eine akademische Ausbildung durchlaufen haben, sind es gewohnt sich im Spiegel anderer Arbeiten und KünstlerInnen zu sehen. Insofern ist die Hoffnung auf posthume Entdeckung romantische Illusion und verbaut den Blick auf die Realitäten der Kunstwelt: Wer es bis zu seinem Tod nicht geschafft hat, eine mindestens überregionale oder nationale Bedeutung errungen zu haben, wird auch nach dem Tod nur sehr selten Ruhm und Ehren erringen. Sein Leben und Werk darauf auszurichten, ist bedenklich. Es sind die Hoffnungen und Illusionen die den Blick auf eine vorausschauende Planung des eigenen Ablebens verhindern und dass der Künstlerberuf immer noch dazu verleitet, die Wirklichkeit der eigenen Bedeutung zu verkennen, macht Nachlässe von KünstlerInnen oft zu Danaer Geschenken, mit denen die Verantwortung für das eigene Werk weitergegeben wird.

Unser aktueller Kunstbetrieb – vielleicht war er auch nie anders – hält sich für so gut organisiert, dass die Meinung, unerkannte Genies oder Strömungen werden frühzeitig bemerkt und gefördert, absolut gesetzt ist. Unsere aufgeklärte Gesellschaft kann es sich nicht vorstellen, dass sich Fehleinschätzungen der Geschichte wiederholen können und auch unser Blick für die Bedürfnisse der Zukunft getrübt sein kann. Der Künstlerberuf ist schick geworden und die Vermittlung der eigenen Kunst ist eine zentrale Aufgabe der KünstlerIn, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Nur so kann innerhalb eines akademischen Kunstbetriebs, langfristig eine stabile Position erreicht werden. Wer den ausgetretenen Pfaden des Kunstbetriebs folgt, mag zwar kurzfristig erfolgreich sein, der reine Marktwert entscheidet allerdings nicht über die kunstgeschichtliche Bedeutung – langfristig ist auch der Markt anderen Gesetzen unterworfen. Die KünstlerInnen, die sich dem Markt und dem Kunstbetrieb konsequent verweigern, brauchen Durchhaltevermögen und sind auf den Zufall als Entdecker angewiesen. Lebenslange Enttäuschungen können KünstlerInnen zur Nichtordnung des eigenen Nachlasses veranlassen, als Manifestation gegenüber einer gleichgültigen Gesellschaft. Manchmal widerspricht auch das Bewahren der künstlerischen Werke ihrer eigentlichen Intention.

Trotz alldem empfiehlt es sich, sich frühzeitig mit der Ordnung der künstlerischen Hinterlassenschaften auseinanderzusetzen. Ein Werkverzeichnis und eine gut geführte Dokumentation hilft mehr, als eine überbordende Sammlung an Papieren und Werken. Nachlassverwalter sind nicht immer diskret. Wer sich frühzeitig um einen geordneten Nachlass bemüht, kann eine persönliche Zensur des eigenen Lebens und Werks ausüben und entscheiden, welche Arbeiten, Informationen und Anekdoten der Nachwelt erhalten bleiben dürfen. Dies ist durchaus nicht zu verachten.

Klagen hilft nicht viel. Eigeninitiative und kreative Ideen sind in jedem Fall gefragter, als passives Hoffen. Sensibilität für zeitgenössische Probleme der Gesellschaft und ein Gespür für Entwicklungsmöglichkeiten in der Zukunft sind unser individuelles Instrumentarium als KünstlerInnen, das wir auch für den Umgang mit den eigenen Hinterlassenschaften nutzen können.

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