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Landert, Markus

Vom privaten Schnappschuss zur künstlichen Inszenierung

Adolf Dietrich im Spiegel der Porträtfotografie

Text: Publikation "Adolf Dietrich. Fotografien", Verlag Benteli, Bern 2007. Im Nachlass von Adolf Dietrich finden sich viele Porträtfotografien des Künstlers, die nicht von ihm selber stammen können, da sein Fotoapparat weder einen Selbstauslöser noch eine Fernbedienung besass. Bei vielen dieser Dietrich-Porträts handelt es sich um Geschenke an den Künstler, was vom regen Besucherstrom im Atelier Dietrichs zeugen. Andere sind ganz gezielt für die Vermarktung des Künstlers und seine Werke in Auftrag gegeben worden. Die Qualität der Aufnahmen schwankt erheblich: vom professionellen Porträt bis zum Schnappschuss von Freunden und Bekannten ist alles zu finden. Aus den ersten fünfzig Lebensjahren von Adolf Dietrich haben sich - wie es für einen einfachen Kleinbauern auf dem Lande nicht anders zu erwarten ist - nur ganz wenige Porträtfotografien erhalten. So existieren etwa zwei konventionelle Schulfotografien. Auf dem einen aus dem Jahre 1891 kennzeichnet ein Pfeil den damals Vierzehnjährigen. Um 1912 datiert eine nächste Fotografie, die Adolf Dietrich inmitten einer Gruppe von neun Gleisarbeitern zeigt . Die Fotografie ist ein wenig spektakuläres Erinnerungsbild: Die Männer posieren bei der Arbeit. Nichts verweist darauf, dass Dietrich einen Sonderstatus besässe. Ebenso existiert ein um 1916 zu datierendes, konventionelles Fotoporträt, auf dem kein Hinweis auf Dietrichs künstlerische Tätigkeit zu entdecken ist.
Mitte der Zwanzigerjahre entsteht dann mit einem Schlag eine ganze Reihe von Porträtfotografien des Künstlers, die mit grosser Wahrscheinlichkeit von Adolf Dietrichs Neffen Heinrich Dietrich stammen. Heinrich war der Sohn von Adolfs Bruder Albert, der aus Berlingen ausgezogen war, und in Ludwigshafen lebte. Heinrich war 1926 in die Schweiz zurückgekehrt, wohl um hier die Rekrutenschule zu absolvieren, und hatte sich in Winterthur niedergelassen. Er besucht seinen Onkel Adolf in den folgenden Jahren regelmässig und von 1926 bis 1929 gibt es zwischen den beiden einen regen Briefwechsel, von dem sich im Nachlass die Briefe und Karten des Neffen erhalten haben. Heinrich ist ein Hobbyfotograf, der seine Bilder nicht, wie damals bereits möglich, zum Entwickeln ins Fotogeschäft bringt. Vielmehr vergrössert er seine Fotografien selber. Einmal lädt er auch seinen Onkel ein, diesem Prozess beizuwohnen, in der Hoffnung, dadurch bei Adolf ein vertieftes Verständnis für die Gesetzmässigkeiten des Fotografierens zu wecken. Er schreibt an seinen Onkel: „Deine Filme habe ich entwickelt. Ich muss nur noch die Bilder machen. Den einen Film hast (Du) ganz zu wenig belichtet. Der andere geht, ist aber auch schwach belichtet. … Am besten wäre es, wenn (Du) einmal dabei wärest, wenn ich einen Film entwickle. … Wenn (Du) jetzt wieder photographierst, schreib einmal auf, was für eine Belichtung, was für eine Blende, ob die Sonne gescheint hat und so weiter. So sieht man dann am besten, wie man belichten muss.“ Dieser wie auch andere Briefe belegen, wie der junge Heinrich seinen schon über fünfzigjährigen Onkel bei seinen ersten Schritten in der Auseinandersetzung mit der Fotografie begleitet und berät.
Im Briefwechsel finden sich auch Hinweise darauf, dass Heinrich nicht nur Bilder seines Onkels vergrössert, sondern diesen mit seinem Fotoapparat auch hin und wieder porträtiert. So bezieht sich folgende Briefstelle wohl auf ein solches Porträtfoto: „Beiliegend schicke ich Dir die letzten Photos, die nicht so schön ausgefallen sind, wie ich gewollt habe. Das Unscharfe an Deinem Bild kommt vom Entwickeln.“ Oder einige Wochen zuvor: „Die Photographie ist sehr schön geworden. Beiliegende Bilder sind nur Probebilder. Es ist Tageslichtpapier und noch nicht fixiert. Fixieren heisst, lichtbeständig machen. Wenn Du die Bilder ins Tageslicht legst, werden sie schwarz und verschwinden. Aber dunkel halten sie sich. Ich mach Dir natürlich noch ein Gaslichtbild. Das sind die grauen.“ Im Nachlass haben sich einige Fotoporträts von Adolf Dietrich erhalten, die aufgrund ihrer Brauntönung und ihrem Hang zum Verblassen von Heinrich stammen könnten. Ziemlich sicher ist diese Autorschaft bei Fotografien, die Adolf Dietrich beim Wandern im Alpsteingebiet oder in einem Restaurant zeigen. Von diesen existieren neben den kleinformatigen Originalen spätere, von Hans Baumgartner belichtete Abzüge, auf denen neben dem Stempel Baumgartners hinten der Vermerk „Phot. H. Dietrich“ zu lesen ist. Bei einem weiteren halben Dutzend Aufnahmen liegt zumindest eine Autorschaft von Heinrich Dietrich nahe, so etwa bei der Fotografie, die den Maler zusammen mit Sophie Dietrich auf dem vereisten Untersee zeigt. Auf diesen frühen Fotografien von Adolf Dietrich tritt der Künstler als selbstbewusster, kräftiger Mann auf. Es gibt keine expliziten Hinweise auf seine künstlerische Tätigkeit. Vielmehr ist Adolf Dietrich in bäuerlicher Kleidung zu sehen, zu Hause, unterwegs auf Wanderungen oder auf dem zugefrorenen See. Nicht der Künstler wird gezeigt, sondern der liebe Verwandte aus Berlingen, mit dem Heinrich das Hobby des Fotografierens teilt und der immer wieder auch mit einem Besuch beehrt wird.
Im Sommer 1926 entsteht eine weitere Serie von Porträtfotos von Adolf Dietrich, die sich von den Erinnerungsbildern Heinrichs entscheidend abheben. Charakteristische, in die Negative eingeprägte Nummern lassen von sechs Bildern vermuten, dass sie vom gleichen Film stammen. Drei dieser Fotografien zeigen Dietrich in seinem besten Gewand allein vor verschiedenen Hintergründen: Einmal herausgeputzt mit Gilet und Krawatte auf seinem Steg mit dem Untersee im Hintergrund, einmal vor Gehölz mit einem Stumpen in der Hand, einmal vor seinem Haus in Berlingen. Die anderen Fotografien der Serie zeigen Dietrich zusammen mit einem eleganten, städtisch gekleideten Mann, seinem Galeristen, und zweimal zusammen mit seinem Modell Ida Füllemann. Der einfache, karierte Rock des Mädchens und ihre blossen Füsse bilden einen frappierenden Gegensatz zum formellen Anzug des Malers. Dieser hat offensichtlich seinen besten Anzug aus dem Schrank geholt für den besonderen Besuch, der nicht nur diese Fotos knipste, sondern überhaupt dafür sorgte, dass sich das Leben des Kleinbauern entscheidend veränderte.
Beim Fotografen dieser Bilder handelt es sich nämlich um Dietrichs Galeristen Herbert Tannenbaum, der den Künstler verschiedentlich in Berlingen besucht. Im August 1926 schickt er dem Maler einige Vergrösserungen: „Hier schicke ich Ihnen die sehr gelungenen Aufnahmen, die Ihnen hoffentlich Freude machen; wenn Sie von Ihren Porträt-Aufnahmen noch Abzüge haben wollen, so lassen Sie mich das bitte wissen.“ , heisst es in einem Brief an Dietrich und auch die abgebildete Ida Füllemann erinnert sich daran, dass Herbert Tannenbaum die Fotos geschossen habe. Wann und wie die Negative dieser und weiterer, ebenfalls von Tannenbaum hergestellten Bilder in den Besitz von Dietrich gelangt sind, ist nicht bekannt.
Eine zweite Fotoserie, bei denen die eingestanzte Nummerierung der Negative fehlt, entsteht während eines Aufenthalts von Dietrich in Mannheim. Der Fotograf ist einmal mehr Herbert Tannenbaum. Die Bilder zeigen Dietrich in Anzug und Krawatte vor Tannenbaums Galerie „Das Kunsthaus“ in Mannheim und einmal gar eingerahmt von zwei hübschen, namentlich nicht bekannten Damen. Der Aufnahmeort lässt sich bestimmen, da ein Ausschnitt aus dieser Fotografie 1927 in einem Artikel der Berliner Illustrierten „Die Woche“ reproduziert wurde. Der Galerist schickt dem Künstler ein Belegexemplar und merkt im Begleitbrief an: „Sie finden sogar Ihre Photographie, die ich damals vor dem Kunsthaus hier von Ihnen gemacht habe, dabei. Was meinen Sie dazu?“
Die Verwendung dieser einen Porträtfotografie in einer Zeitschrift ist ein Hinweis darauf, dass diese Bilder nicht nur als reine Erinnerungsschnappschüsse produziert wurden. Vielmehr sind die Fotografien Teil einer gezielten Vermarktungsstrategie des Galeristen. Herbert Tannenbaum gilt zu Recht als der Entdecker des Künstlers Adolf Dietrich. Er propagierte und verkaufte dessen Werk ab Mitte der 20er Jahre mit wachsendem Erfolg in Deutschland und der Schweiz. Der Galerist hatte die Werke des Berlinger Malers für sich in der Ausstellung „Das badische Land im Bild“ 1919 in der Kunsthalle Mannheim entdeckt. Er besuchte Dietrich 1920 und organisierte 1922 eine Ausstellungen in seiner Galerie „Das Kunsthaus“, die sich ebenfalls in Mannheim befand. Weitere Kontakte folgten. Seit 1923 besass Herbert Tannenbaum zudem in Heppenschwand im südlichen Schwarzwald, nur rund 90 Kilometer von Berlingen entfernt, ein Ferienhaus, wo ihn Dietrich spätestens 1926 zum ersten Mal besuchte . Dietrichs Bild von Tannenbaums Bauernhof dokumentiert diesen Aufenthalt ebenso wie eine Fotografie, die Dietrich im Kreise von Tannenbaums Familie zeigt.
Die zweite Ausstellung Dietrichs im Kunsthaus von Herbert Tannenbaum 1925 wurde zu einem durchschlagenden Verkaufserfolg und der Galerist intensivierte seine Anstrengungen, um Dietrich bekannt zu machen. Dabei ging der Galerist höchst professionell vor. 1925 taucht zum ersten Mal jenes „Label“ auf, das die Rezeption von Dietrichs Werk stark bestimmen wird: Adolf Dietrich, der Tagelöhner und Maler, oder in einer Variation: Adolf Dietrich, der Holzfäller und Maler . 1927 erscheint das Büchlein „Der Maler und Holzfäller Adolf Dietrich“ von Margot Riess, einer Bekannten von Herbert Tannenbaum, wodurch diese Charakterisierung über die Tagespresse hinaus festgeschrieben wurde. Wie aktiv die Hintergrundarbeit des Galeristen war, illustrieren jeweils kleine Hinweise wie „Bilder mit Genehmigung von Dr. Herbert Tannenbaum, Kunsthaus Mannheim, wiedergegeben“, die viele Artikel der Zwanzigerjahre über Dietrich begleiten. Obwohl ein gültiger Galerievertrag 1925 zwischen Tannenbaum und Dietrich nicht zustande kam , blieb eine enge Zusammenarbeit bestehen, bis der Jude Tannenbaum 1937 vor den Nationalsozialisten nach Holland fliehen musste.
Die Vermittlungsstrategie von Tannenbaum zeichnet sich dadurch aus, dass er die Aufmerksamkeit des Publikums nicht nur auf das Werk des Künstlers, sondern auch auf dessen Person lenkt. In den meisten Artikeln wird auf die besonderen Lebensumstände des Künstlers, seine kleinbäuerliche Herkunft und Unverbildetheit hingewiesen. Dessen Verankerung in einer als unverdorben verstandenen Dorfgemeinschaft bildet gleichsam die Garantie für die Echtheit des künstlerischen Ausdrucks. Im „Maler und Holzfäller“ Adolf Dietrich zeigt sich ein Gegenmodell zum städtischen Bohemien oder zum intellektuellen Avantgardisten. Der Künstler Adolf Dietrich wird so zu einem Modellfall einer Schöpferpersönlichkeit hochstilisiert, die mit sich, ihrem Werk und der Umwelt ganz in Einklang steht. Als Model einer nicht-entfremdeten Arbeit erhält Dietrich in der damals tobenden Auseinandersetzung zwischen einer radikalen Gegenstandslosigkeit, der neusachlichen Strömung und dem Postulat einer „Neuen Deutschen Romantik“ in den deutschen Kunstzeitschriften grosse Aufmerksamkeit. .
Parallel zu solchen Diskussionen in Fachzeitschriften wird in den damals aufkommenden Illustrierten eine popularisierte Version des Künstlerbildes vom „Maler und Holzfäller“ verbreitet. Besonders diesem Umfeld gelangen vermehrt auch Porträtfotografien zum Einsatz. So erscheint 1927 in der Illustrierten „Die Woche“ erstmals eine Porträtfotografie von Dietrich. Sie ergänzt einen Text über Leben und Werk des Künstlers sowie Reproduktionen seiner Arbeiten. Unter dem Titel „Maler und Holzfäller“ wird in Kurzform die Künstlerkarriere des „Tagelöhners Adolf Dietrich“ erzählt, „der in seiner freien Zeit aus eigenem Antrieb und nur für sich selber malt. … Darauf interessiert sich ein Mannheimer Kunsthändler für den Unbekannten, stellt ihn aus, verkauft, und heute hängen einige Bilder des Holzfällers bereits in Museen. Der aber arbeitet nach wie vor im Gemeindewalde und malt unbeirrt weiter…“ . Beim Betrachten von Dietrichs Bildern, - der Artikel wird unter anderem durch das Porträt von Dietrichs Vater von 1913 illustriert, sei zu erkennen, „dass es sich hier um einen wahrhaften Künstler handelt, um einen Menschen von ursprünglicher Begabung und ausgeprägter Eigenart. Diese Bilder erinnern in ihrer spröden Farbigkeit, in der erdgebundenen „Sachlichkeit“ des Sehens und Formens irgendwie an alte deutsche Meister. Alles wächst aus jener „Primitivität“, die den überzivilisierten Grossstadtmenschen mit stiller, tiefer Sehnsucht erfüllt“. Die Porträtfotografie, die radikal reduzierte Karrierebeschreibung vom Tagelöhner zum Künstler in Verbindung mit der Reproduktion von Werken Dietrichs fassen so in grösster Konzentration zusammen, was den Maler vom Bodensee für das damalige grossstädtische Publikum attraktiv macht.
Allerdings fällt auf, dass Tannenbaums Porträt von Dietrich, das den „Maler und Holzfäller“ in bestem Gewand, mit weissem Hemd und Krawatte vor einer städtischen Fassade zeigt, die „erdgebundene Sachlichkeit“ nicht so richtig zur Darstellung zu bringen vermag. Nicht nur Herbert Tannenbaum hat diesen Mangel erkannt und so erhält Dietrich im Mai 1927 von einer Berliner Fotoagentur, der Atlantic Photo-Co. die freundliche Anfrage: „Sehr geehrter Herr! Von verschiedenen Tageszeitungen und Zeitschriften sind wir gebeten worden, photographische Aufnahmen Ihrer werten Persönlichkeit an der Staffelei und bei Ihrer Arbeit als Holzfäller und Tagelöhner zu beschaffen und bitten wir deshalb uns die Erlaubnis zur Herstellung photographischer Aufnahmen zur Verbreitung in der gesamten Presse zu erteilen.“ Ganz gezielt wird hier von der Fotoagentur eine Inszenierung von Dietrich als Kleinbauer, Holzfäller und Maler bestellt. Herbert Tannenbaum ist von dieser „wilden“ Konkurrenz nicht begeistert und melden Dietrich seinen Besuch an: „… ich hoffe bestimmt in der nächsten Woche in der Schweiz zu sein und möchte Sie dann ein oder zwei Tage besuchen… Die Berliner Atlantic-Photo-Gesellschaft, die sich mit Ihnen direkt in Verbindung gesetzt hat, hat vorher vergeblich versucht von mir Abbildungsmaterial zu bekommen. Ich habe veranlasst, dass sie auf Ihre verschiedenen Anfragen keine Photographien bekommt, weil ich auf meine Erkundigungen über die Art und Weise, wie diese Photo-Gesellschaft die Abbildungen vertreibt, schlechte Auskünfte bekam. Dass sich nun die Gesellschaft direkt an Sie gewendet hat, ist also, wie Sie sehen, ein etwas unanständiges Umgehungsmanöver. Ich möchte sie bitten, von sich aus diesen Leuten keine Photographien zu schicken. Im allgemeinen wäre es überhaupt gut, wenn Sie alle derartigen Anfragen über Abbildungen, Aufsätze und Ausstellungsbeschickungen erst vorher mit mir besprechen oder von vornherein an mich verwiesen …(Wenn ich nach Berlingen komme, wollen wir sowieso ein bisschen photographieren… .)“
Was genau in der Folge weiter geschah, lässt sich nicht belegen. Im Nachlass finden sich allerdings zwei mit einer Plattenkamera aufgenommene, 17,7 x 12,9 cm grosse Glasnegative, deren Motive genau der Bestellung der Atlantic Photo-Co. entsprechen: eine Abbildung von Adolf Dietrich als Waldarbeiter sowie eine Fotografie, die den Künstler beim Malen zeigt. Bei der einen Aufnahme beugt sich Dietrich mit Zipfelkappe, aufgekrempelten Hemdsärmel und einer rustikalen Säge in der Hand inmitten einer wuchernden Waldidylle über seine Arbeit. Hinter ihm stehen drei junge, kräftige Männer, die in dieser Inszenierung die Komparsen spielen. Es ist nicht zu übersehen: Dietrich, der Holzfäller, ist die Hauptperson dieser Szene, ganz anders als bei den älteren Ansichten, die Dietrich bei der Arbeit zeigen, und bei denen die Personen als nicht hierarchisch gegliederte Gruppe auftreten. Die Fotografie ist eine professionell hergestellte Scharade für das Kunstpublikum: Seht her, der Künstler Adolf Dietrich, wie er im Walde arbeitet.
Kaum glaubwürdiger aber von grosser Suggestivkraft ist die Fotografie, die Adolf Dietrich beim malen zeigt. Er sitzt auf einem Schemel vor einem Parkgitter, auf dem Schoss ein Bild des Parks. Beim Gemälde handelt sich um das 1925 signierte Werk „Im Park beim Friedrichsplatz, Mannheim.“ Auf der Fotografie ist es, obwohl bereits signiert, noch nicht fertig. Im Vergleich zum heute bekannten Zustand des Gemäldes fehlt eine Frauenfigur mit ihrem Hund ebenso wie die Feinzeichnung der Schatten oder auch einige Details im Hintergrund. Die auf der Fotografie gezeigte Situation ist genauso inszeniert wie bei der Aufnahme im Wald. Dietrich hat seine Werke kaum je direkt vor der Natur gemalt. Das Bild „Im Park beim Friedrichsplatz“ ist mit einiger Sicherheit genauso wie die meisten anderen Arbeiten auf dem Stubentisch in Berlingen entstanden. Zumindest unpraktisch, wenn nicht unmöglich, ist auch die Konstellation, mit der einen Hand den Pinsel und mit der anderen das Bild halten zu müssen: wo bleibt denn Farbe und Palette? Es handelt sich also ebenso wie beim Waldbild um eine höchst künstliche Inszenierung. Diesmal wird das Stück vom einfachen Bäuerlein gegeben, das in die Stadt kommt, um hier seine Bilder zu malen. Die einfachen Kleider, die grossen Hände, die hochgekrempelten Ärmel, die ausgetragenen Schuhe erzählen vom einfachen, harten Leben des einfachen Bauern, dessen Werke eben gerade durch den Wechsel zwischen praktischer Arbeit und dem Eigenausdruck als Selbstzweck ihre besondere Ausdruckskraft gewinnen. Die Künstlichkeit der Inszenierung steht dabei in einem unüberbrückbaren Widerspruch zum Anspruch auf Einfachheit und Authentizität, für die Dietrichs Werk stehen soll. Dadurch verlieren die Fotografien ihre Glaubwürdigkeit. Soweit bekannt, wurden die beiden Fotografien denn auch zu Lebzeiten Dietrichs nicht publiziert. Heute allerdings sind sie als frühe Beispiele für eine gezielte Inszenierung einer Künstlerrolle durchaus interessant.
1926 gibt es noch weitere Versuche, ein gültiges Bild von Dietrich als Künstler zu definieren. Auf den dabei entstehenden Fotografien sitzt Dietrich auf einem Stuhl im Freien, das eine Bein über das andere geschlagen, den Blick fest auf sein Motiv gerichtet, das er gerade in seinem Skizzenbuch festhält. Bei einer Variation des Motivs schaut er direkt in die Kamera und trägt einen Hut auf dem Kopf. Die Negative dieser Fotos finden sich ebenfalls im Nachlass Dietrichs. Wahrscheinlich sind diese Bilder ebenso wie die anderen frühen Porträts von Herbert Tannenbaum gemacht. So nennt die Legende zur Abbildung des Porträts mit Hut im Katalog „Für die Kunst. Herbert Tannenbaum und sein Kunsthaus“ zwar keinen Fotografen, besagt aber, dass es sich hier um „Adolf Dietrich in Heppenschwand, 1926“ handelt. Das Bild ist also zumindest im Ferienhaus von Tannenbaum aufgenommen. Allerdings vermag auch diese Inszenierungen des Künstlers als Zeichner nur beschränkt zu überzeugen. Bohrend stellt sich die Frage: Wie kommt der Stuhl aufs freie Feld? Solche Zweifel hintertreiben jede Glaubwürdigkeit des Bildes, auch wenn bekannt ist, dass der Künstler durchaus seine Eindrücke in der freien Natur in Skizzenheften festgehalten hat, um ausgehend von diesen Zeichnungen in seiner Stube seine Bilder zu malen.
Wirklichkeitsnäher und überzeugender ist erst eine Fotografie aus dem Jahr 1935, die Adolf Dietrich beim Zeichnen in einem Boot zeigt. Andere Bilder aus der gleichen Serie beweisen, dass die Fotografie während eines Bootsausfluges auf dem Untersee mit Kollegen aus Berlingen entstanden ist. Wenngleich Dietrich auch bei dieser Gelegenheit eine Pose einnimmt, so ist hier sein Künstlertum konzentriert auf den Moment des Schauens und des ersten flüchtigen Festhaltens einer Bildidee. Höchstens noch die etwas groben Händen verraten etwas von der Mühseligkeit der anderen Alltagstätigkeiten und die bäuerliche Herkunft des Künstlers. Diese Fotografie erscheint 1935 in der kleinen Publikationsreihe „Des Bücherfreundes Fahrten ins Blaue“ von Karl H. Silomon, leider ohne Autorenangabe. Sie illustriert einen Text Silomons über die Malerei von Adolf Dietrich zusammen mit einer Fotografie, die Dietrich selbst von seinem Haus gemacht hat. Diese wird im Beitrag Silomons allerdings etwas abschätzig als Amateuraufnahme gekennzeichnet.
1928 besucht der Fotoreporter Anton Krenn den Berlinger Maler und es entsteht die erste publizierte Fotografie von Adolf Dietrich, die den Künstler beim Malen in seiner Stube zeigt. Krenn, der Fotoreporter, beherrscht sein Metier, was ihm erlaubt, auch in der nicht eben hellen Stube zu fotografieren. Dietrich sitzt hinter seinem Tisch bei der Arbeit und schaut in die Kamera. Der Fotograf zeigt den Künstler zum ersten Mal so, wie er sich in den kommenden Jahren durch Dutzende von ähnlichen Darstellungen im Bewusstsein der Öffentlichkeit eingraben wird: Dietrich in seiner Stube, am Tisch beim Malen. Anton Krenn verwertet seine Geschichte und dazu gefertigten Fotografien gleich mehrmals: zuerst 1928 in der „Schweizer Illustrierten Zeitung“, dann 1931 in der Zeitschrift „Der Sonntag“ und im „Familien-Wochenblatt-Kalender“. Manuskripte in seinem Nachlass lassen vermuten, dass er 1947 zum siebzigsten Geburtstag des Künstlers zumindest versucht, noch einmal eine Geschichte über Dietrich zu veröffentlichen.
Wie unkompliziert ein der Besuch eines Fotoreporters vonstatten ging, kann ein Brief des Künstlers vom 4. Januar 1928 an Anton Krenn illustrieren. Dietrich schreibt: “Sehr geehrter Herr. Auf Ihre Anfrage v(om) 2. dies(es Monats) teile ich Ihnen mit, dass ich z. Zeit sozusagen stets zu treffen bin. Sollte die Haustüre, wie oft, geschlossen sein, so können Sie am daneben sich befindenden Dachkennelrohr etwas pochen, oder sie können mir p. Karte den Zeitpunk Ihres werten Besuchs anzeigen. Wegen Reproduktionen v. Bildern könnten Sie sich vielleicht auch an meinen Abnehmer Hr. Tannenbaum, Kunsthaus GmbH i. Mannheim wenden, doch finden Sie eventuell auch hier etwas passendes. Indessen zeichnet mit aller Hochachtung: Adolf Dietrich“
In der Folge besuchen immer wieder Fotojournalisten den Maler in Berlingen. 1937 schafft es Adolf Dietrich auf das Titelblatt der illustrierten Familienzeitschrift „In freien Stunden“ , ein Jahr später erscheinen Fotos vom gleichen Fotografen in der „Sie + Er“ . 1940 schreibt Hans Peter Klauser für die Frauenzeitschrift „Annabelle“ eine Reportage über seinen Besuch beim „Lebenskünstler“ Adolf Dietrich . Artikel von verschiedenen Autoren und Fotografen folgen in der „Schweizer Radio Zeitung“ , in der Modezeitschrift „Die Frau“ oder im „Schweizer Familien Wochenblatt“ . In diesen populären Zeitschriften wird das Motiv des Künstlers beim Malen begleitet von Bildern mit Dietrich, wie er in Küche, Schlafzimmer und Estrich sein Reich und seine Bilder vorzeigt. Spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Adolf Dietrich auch in der Schweiz ein populärer Künstler, dessen Werke und Lebensgeschichte in Massenmedien weite Verbreitung finden. In vielen Fällen schieben sich dabei Nacherzählung und Variation der Lebensgeschichte vor eine Auseinandersetzung mit dem Werk. Die Porträtfotografien werden wichtiger als die Werkreproduktionen. Die Texte sind in den meisten Fällen keine in den zeitgenössischen Diskurs eingebundene Kunstkritiken mehr, sondern eher Homestorys. Der Künstler wird zum wohlfeilen Motiv der Unterhaltungsmedien, die in der emotional aufgeladenen Erfolgsgeschichte des Aufstiegs vom Kleinbauern zum Künstler ein spannendes und immer wieder neu variierbares Thema finden.
Fotografien waren in der Herstellung nicht billig und verschiedentlich waren Porträtfotografien oder Reproduktionen von Werken Dietrichs Thema von Verhandlungen. So beklagt sich der Maler Willi Münch-Khe, der verschiedentlich Artikel über Dietrich schrieb, bei seinem Kollegen über Abgeltungen für Werkfotografien, die er an Tannenbaum zahlen musste. Solche Vergütungen schmälerten seine Einkünfte als Autor empfindlich. Bezugnehmend auf einen seiner Artikel, der 1935 in der Berliner Zeitschrift „Der Querschnitt“ erschien, meint Münch-Khe: „An Herrn Dr. Tannenbaum muss ich Reproduktionsrecht bezahlen. Ich habe von der Firma Ullstein für den in etwa 4 Wochen erscheinenden Artikel über Sie und Ihr Schaffen - der mir viel Arbeit gemacht hat - Reichsmark 50 erhalten. Es gehen von dieser Summe nun die von Herrn Dr. Tannenbaum geforderten Anteile für das Leihen seiner Fotografien in den nächsten Tagen an ihn ab. Ich erwarte gerade noch Antwort von ihm, was ich ihm zu bezahlen habe“ . Das Bemühen des Galeristen um den Alleinvertretungsanspruch für Reproduktionen und Porträtfotografien ist also nicht nur eine Dienstleitung für den Künstler, sondern auch verbunden mit durchaus handfesten finanziellen Interessen.
Auch später versucht manch einer ein kleines Geschäft mit Porträtfotografien von Dietrich zu machen. So der angehende Arzt Helmut Kramm, der im Frühjahr 1937 den Künstler in Berlingen besucht und bei dieser Gelegenheit einige Fotos belichtet. Die Fotografien finden auf Umwegen zu Dietrich zurück, der sich bei Kramm meldet mit der Anfrage, ob Abzüge zu haben wären. Die Antwort aus München lautet: “Sehr geehrter Herr Dietrich! Soeben schreibt mir mein Freund Ressel von Ihnen und teilt mir mit, dass bei Ihnen meine Bilder, die ich im Frühjahr 1937 von Ihnen machte, solchen Anklang finden. Tatsächlich sind sie alle eigentlich ganz ausgezeichnet geworden und haben schon viel Lob erfahren… Ihrem Wunsch, die Bilder haben zu wollen, komme ich natürlich besonders gerne nach. Ich würde Ihnen den Vorschlag machen, dass ich Ihnen etwa die 6 besten der Serie sende und sie mit Nummern versehe, nach denen jederzeit Nachbestellungen ausgeführt werden können. … Leider bin ich nicht in der Lage, Ihnen die Bilder schenken zu können, was ich nur zu gern täte, aber Sie können sich denken, dass ein Student nicht über grosse Reichtümer verfügt! Ich würde dringend zu dem Format raten, das Ihnen Ressel sandte, diese Bilder kosten offiziell hier 1.20 M, ich würde sie Ihnen für 0.80 M pro Stück geben. … Wenn es Ihnen recht ist, d.h. wenn Sie mit meinem Vorschlag einverstanden sind, lieber Herr Dietrich, dann senden Sie mir doch einfach 4.80 +0.20M = 5.00M als runde Summe in der etwas vom Porto drinsteckt hierher, darauf würde ich Ihnen die Fotos sobald als möglich zugehen lassen…. Ich denke noch sehr gern an meinen Besuch bei Ihnen zurück und wünschte nur, dass ich ihn bald wiederholen könnte! Mit herzlichen Grüssen Ihr cand. med. Helmut Kramm“. Dietrich muss das Geld überwiesen haben, denn im Nachlass finden sich nicht nur zwei Porträtfotografien des Künstlers mit der Autorenangabe „Helmut Kramm“, sondern auch noch zwei weitere Briefe des Arztes, der sich dafür entschuldigt, dass die Lieferung der Fotografien so lange dauert.
Die wachsende Bekanntheit des Künstlers führt dazu, dass dieser zu einer Art Ausflugsziel oder, um es überspitzt zu formulieren, zu einem pittoresken Fotomotiv wird. Besucherinnen und Besucher häufen sich und manch einer bringt den Fotoapparat mit, um seine Eindrücke festzuhalten. Das eine oder andere so entstandene Bild findet seinen Weg, mit einem Gruss versehen, wieder zurück in die Malstube Dietrichs. Ein frühes Beispiel eines solchen Bildgrusses ziert eine Karte von Dr. Adolf Eiermann und Frau aus Mannheim, die Dietrich bei einem seiner Ludwigshafener Aufenthalte kennen gelernt haben und die vom Berlinger Maler auch Bilder besitzen. Dr. Eiermann und Frau schicken Dietrich Ende Dezember 1931 als Neujahrsgruss eine Karte mit Erinnerungsfotografie „zur freundlichen Erinnerung an die vielen gemeinsam verbrachten gemütlichen Stunden im Jahre 1931“. Ein Brief aus dem Jahre 1934 von Irmgard Jauch mit einer Fotografie, die die Frau mit Dietrich zusammen am Seeufer zeigt, dokumentiert eine weitere Beziehung des Künstlers zu einer befreundeten Familie. Irmgard Jauch ist die Ehefrau von Georg Alfred Jauch, einem Vogelkundler, der an seinem Wohnort Konstanz auch unter dem Spitznamen „Vogel-Jauch“ bekannt war. Kein Wunder, lädt der mit dem „gut gelungenen Bildchen“ angereicherte Brief zu einer Vogelexkursion, wohl ins Wollmatiner Ried, ein. Das Interesse an der Natur und an der Kunst verband die Familie Jauch mit dem Maler über den 2. Weltkrieg hinaus bis zum Tod Dietrichs 1957. Auch der Sohn Ehepaars Jauch, Winifried, wird zum regelmässigen Besucher in Berlingen. Ab 1936 fotografiert auch er und es entstehen vor allem nach dem Krieg eine Reihe der unbeschwertesten Aufnahmen von Adolf Dietrich. Regelmässige Kontakte zu Dietrich pflegt auch der Optiker Gerhard Hepp aus Konstanz. Das Fotografieren gehört gleichsam zu seinem Beruf und so ist es nicht erstaunlich, dass er Dietrich ab 1949 verschiedentlich porträtiert. Gleichsam im Gegenzug dazu lässt Dietrich immer wieder eigene Fotografien bei ihm entwickeln und vergrössern.
Oft wird bei einem Besuch auch Dietrichs eigener Fotoapparat hervorgeholt, um die Situation zu festzuhalten. Dutzende von Aufnahmen mit Negativen im Nachlass dokumentieren solche Kontakte. Dabei lässt sich Dietrich nicht ungern zusammen mit Frauen fotografieren. Eine der witzigsten dieser Aufnahmen entsteht bereits um 1929 in der Wohnstube des Künstlers und zeigt den verschmitzt lachenden Künstler zusammen mit Fanny Arnold, der Lebensgefährtin des Bregenzer Schriftführers der Künstlergruppe „Der Kreis“, Max Haller. Das Fotografieren gerät in diesem Kontext zu einem unbeschwerten Gesellschaftsspiel, das der Beziehungspflege und dem interesslosen Austausch dient.
Wie attraktiv Dietrich vor allem in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg als Fotomotiv war, zeigt die Tatsache, dass zwischen 1952 und 1955 mit Susi Iff Kolb, Rosmarie Reutlinger-Bär und Helga Lutz-Weisskönig gleich drei junge Fotografinnen Dietrich aufsuchten, um reportageartige Fotoporträts zu erstellen. Susi Iff Kolb, Absolventin der Fotoklasse der Zürcher Kunstgewerbeschule, besuchte den Maler zusammen mit dem Künstler Carl Roesch und dessen Frau mindestens zwei Mal und dokumentierte die Begegnung der so ungleichen Künstlerpersönlichkeiten. Helga Lutz-Weisskönig begleitete ihren Vater Werner Weisskönig, einen St.Galler Künstler, nach Berlingen, während Rosmarie Reutlinger gar die Abschlussarbeit ihrer Lehre als Fotografin als Reportage über Adolf Dietrich gestaltete. Akribisch halten die bei diesen Gelegenheiten entstandenen Fotoserien die Lebensumstände des Malers fest. Die mit Bildern tapezierten Wände, die mit Vogelkäfigen, Pflanzen, Tierpräparaten vollgestopfte Wohnung bilden die Kulisse für den Auftritt von Adolf Dietrich, der ebenso Künstler wie Aussenseiter, verschmitzt lächelnder Sonderling wie der frauenlose Einsiedler ist. Nicht nur Frauen waren von Dietrich fasziniert. Fotoporträts des Berlinger Malers gibt es auch vom bekannten Zürcher Fotografen Walter Drayer, dann von Franco Cianetti oder vom Churer Theo Vonow.
Der Fotograf, der nach dem Zweiten Weltkrieg das Bild von Adolf Dietrich entscheidend prägt, ist allerdings der Steckborner Hans Baumgartner. Er kannte den Maler seit 1937, besuchte ihn auch während des Krieges regelmässig und porträtierte den Maler über fast zwei Jahrzehnte hinweg mehrfach. Baumgartners Fotografien wurden in verschiedenen Umfeldern immer wieder publiziert, etwa 1942 in der Monografie von Carl Hoenn aber auch 1946 in der Zeitschrift für Fremdenverkehr „Nordostschweiz“ . Auch nach dem Tod des Künstlers wirkten Baumgartners Fotografien weiter, zum Beispiel in dem Adolf Dietrich gewidmeten du-Heft von 1958, in Heinrich Ammanns Buch zum hundertsten Geburtstag Dietrichs 1977 und nicht zuletzt auch in den monografischen Büchern des Fotografen selbst, in denen Dietrich-Porträts selten fehlen.
Baumgartners Fotografien decken viele Facetten der Persönlichkeit Dietrichs auf. Neben den konventionellen Fotografien von Dietrich beim Malen, zeigt Hans Baumgartner den Künstler auch bei seinen Alltagsbeschäftigungen, beim Einkaufen im Dorf oder bei der Pflege seiner Tiere. Dietrich ist für Baumgartner nicht nur als Künstler interessant, sondern auch als Modell eines einfachen, kleinbäuerlichen Lebens, von dem sich die Realität der Nachkriegszeit mit zunehmender Geschwindigkeit entfernt. Dietrich wird in den Fotografien Baumgartners gleichsam zum Inbegriff einer verschwindenden Lebensform.
Von besonderer Eindringlichkeit sind Baumgartners Fotografien aus Dietrichs letzten Lebensjahren. Der vom Alter gezeichnete Künstler ist nicht mehr der schalkhaft, sympathische Eigenbrödler, sondern ein gebeugtes, hinfälliges Männchen, das wie ein Sinnbild für die Endlichkeit allen Lebens in der Wildnis seines wuchernden Gartens steht. Diese intimen Bilder entstehen auf der Grundlage einer respektvollen Vertrauensbeziehung zum Künstler - Baumgartner dutzte den Künstler trotz langjähriger Bekanntschaft nie -, die eine Nähe und Direktheit erzeugen, die anderen Fotografen nicht in gleichem Masse möglich war.
Die Häufung der Fotografenbesuche und deren Professionalisierung führt in den Jahren nach 1950 dazu, dass das Bild des alten Malers, der einsam in einer vollgestopften Wohnung lebt, sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit festsetzt. Dieses Bild behielt seine Gültigkeit bis in die frühen Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als eine Neubefragung von Dietrichs Werk auch die älteren Fotografien wieder an die Oberfläche brachte. Heute erzählen die ganze Reihe von Porträtfotografien die bewegte Geschichte eines Malers, dessen Künstlerbild sich im Lauf seines Lebens verschiedentlich wandelte. Auch wenn die Reihe keine nennenswerten Lücken mehr aufzuweisen scheint, so ist das sich abzeichnende Bild nicht umfassend. Die Fotos zeigen Dietrich als Holzfäller, als Maler, als Zeichner, als Dorfbewohner von Berlingen oder als alleinstehender, alter Mann. Keine einzige Fotografie aber gibt es von Dietrich, dem Fotografen. Sein eigenes Fotografieren war offensichtlich nicht in Übereinstimmung zu bringen mit dem Bild, das sich die öffentliche Wahrnehmung vom Künstler Adolf Dietrich machte.

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