Landert, Markus
Nachlässe in einer Museumssammlung
Ein Plädoyer für die Übernahme von Künstlernachlässen
Der Text erscheint in: "Künstlernachlässe", (Schweizer Kunst, 02.07/01.08), hrsg. VISARTE Schweiz, Zürich 26.10.07 Im Kunstmuseum Thurgau werden die Künstlernachlässe von Adolf Dietrich (1877-1957), Carl Roesch (1884 - 1979) und Hans Krüsi (1920 - 1995) aufbewahrt und betreut. Die Angliederung dieser Künstlernachlässe an die bestehende Kunstsammlung war ein wegweisender Entscheid, der das Gesicht der Sammlung entscheidend prägte. Jeder Nachlass bestand aus Tausenden von Kunstwerken von unterschiedlicher Qualität. Deren Übernahme belastet die Sammlung plötzlich mit einer Anzahl von wenn nicht belanglosen, so doch nicht unbedingt herausragenden Werken. Zudem gehören zu den Hinterlassenschaften der Künstler auch eine Vielzahl an Entwürfen, Fotografien, Briefschaften und anderen Dokumenten, die ebenfalls eine professionelle Erschliessung und Archivierung verlangten. Der Entscheid, die drei Künstlernachlässe zu übernehmen, bedeutete so, Abstand zu nehmen von einer Sammlungspolitik, die davon ausging, im Museum nur wichtige künstlerische Positionen anhand von herausragenden Meisterwerken gültig zu repräsentieren. Die Vorstellung des Museums als Schatzkammer von herausragenden Einzelwerken wurde aufgegeben zugunsten der Idee des Museums als umfassendes Kompetenzzentrum für bestimmte Themenbereiche und künstlerische Haltungen.
Als erster Nachlass fand jener von Adolf Dietrich Aufnahme in die Sammlung des Museums. Eigentümerin ist die Thurgauische Kunstgesellschaft, die dem Museum bald nach der Aufnahme eines provisorischen Betriebs 1972 die Gemälde als Depositum anvertraute. Von dieser Lösung profitierten das Museum ebenso wie die Kunstgesellschaft. Die Dietrichbestände des Museums wurden durch rund drei Dutzend wichtige Werke aus dem Nachlass ergänzt, wodurch die noch jungen Institution plötzlich eine repräsentative Werkgruppe des wichtigsten Thurgauer Künstlers präsentieren konnte. Die Kunstgesellschaft wiederum war entlastet von der Verantwortung, die wertvollen Gemälde fachgerecht aufzubewahren. Erst 1994 erfolgte die Übernahme des restlichen Nachlasses bestehend aus Skizzenbüchern, Zeichnungen, Fotografien, Negativen und einer Vielzahl von Dokumenten.
Der Dietrich-Nachlass ist dem Museum als Depositum anvertraut, was der Institution verschieden Vorteile bringt. Es erhält praktisch unbeschränkten Zugriff auf ein bedeutendes Werkkonvolut und es gewann in der Thurgauischen Kunstgesellschaft einen wichtigen Partner, der Entscheidendes dazu beitrug, die wissenschaftliche Aufarbeitung zu finanzieren. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit wurden so bis 2007 zwei Bearbeitungsprojekte realisiert: ein erstes für die Inventarisierung der Werke und die Ordnung der Korrespondenz, ein zweites für die Sichtung und Bewertung der Fotografien. Beide Projekte mündeten in Ausstellungen und Publikationen, die den Künstler heute in einem ganz anderen und differenzierteren Licht erscheinen lassen. Diese wissenschaftlichen Projekte lösten je Investitionen und Lohnzahlungen von mehreren hunderttausend Franken aus, die ohne die Übernahme des Nachlasses dem Museum nicht zugute gekommen wären.
Das Modell der partnerschaftlichen Nachlassbearbeitung war so erfolgreich, dass es auch bei der Bearbeitung des Nachlasses von Carl Roesch zur Anwendung gelangte. Auf Anregung des Museums gründete die Familie Roesch eine Stiftung, in die sie nicht nur den künstlerischen Nachlass sondern auch bedeutende finanzielle Mittel einbrachten. Mit der Stiftung als Partnerin und zusätzlichen Beiträgen aus dem Lotteriefonds inventarisierte das Museum in der Folge den Roesch-Nachlass und legte 2006 die Resultate in einer Retrospektive mit umfassender Publikation der Öffentlichkeit vor. Weitere, vertiefende Aktivitäten sind in Vorbereitung.
Etwas anders entwickelte sich die Übernahme des Nachlasses von Hans Krüsi. Als Hans Krüsi im Winter 1995 starb, war das Kunstmuseum Thurgau als Haupterbe im Testament eingesetzt. Mit dem Nachlass von Hans Krüsi erhielt die Museumsammlung von Aussenseiterkunst einen neuen, bedeutenden Schwerpunkt. Mit den Kunstwerken gelangten auch die Bildrechte in den Besitz des Museums, was zusätzliche Verantwortung und Verwaltungsaufwand bedeutet, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten und Einnahmen.
Im Gegensatz zum Dietrich-Nachlass, wo bereits ein mit viel Fachwissen vorsortierter Werkkörper übernommen werden konnte, trafen die Mitarbeiter des Museums bei Krüsi eine völlig ungeordnete, beinahe unüberschaubare Situation an. Trotzdem konnte auch hier nur rund fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers mit der Ausstellung „Auch ein nichts kann etwas werden“ eine erste Übersicht über den Nachlass vorgelegt werden. Seither ist mit Unterstützung des Museums ein viel beachteter Film über Künstler entstanden und im Frühjahr 2008 soll in Zusammenarbeit mit Michael Stauffer eine nächste Krüsi-Präsentation mit drei Hörspielen realisiert werden. Mit Schenkungen an andere Institutionen, etwa an die collection d’art brut in Lausanne, oder über Verkäufe wird ganz gezielt die Verbreitung des Werks von Hans Krüsi vorangetrieben.
Die Arbeit mit den Nachlässen ermöglichten dem Museum die Realisierung substantieller, wissenschaftlicher Projekte, die neben Ausstellung und Publikation auch ein entscheidender Zugewinn von weiteren Kompetenzen ins Museum brachten. Nicht zuletzt dank der Nachlassbearbeitungen verfügt das Kunstmuseum Thurgau seit Mitte der Neunzigerjahre ein modernes, digitales Inventarisierungssystem und über zeitgemäss organisierte Lager- und Archivräume. Trotz dieser Erfolgsgeschichten muss die Übernahme von Nachlässen die Ausnahme bleiben. Ein solches Engagement wird nur dann ins Auge gefasst, wenn es sich um eine herausragende künstlerische Position handelt, die den formulierten Sammlungszielen des Museums ganz entspricht. Und auch dann kann eine Übernahme nur erfolgen, wenn die Lagersituation geklärt und die Finanzierung einer Inventarisierung und Bearbeitung sichergestellt ist. In den meisten Fällen wird deshalb ein Schenkungsangebot von Nachlässen freundlich aber bestimmt abgelehnt.
Einzelschicksale
Johannes Diem
2005 zog der Thurgauer Maler Johannes Diem, geboren 1924 in Zürich, ins Pflegeheim. Sein künstlerischer Nachlass gelangte ins Brockenhaus Frauenfeld, wo das Kunstmuseum Thurgau nach einem Anruf einer aufmerksamen Mitarbeitern noch eine Auswahl wichtiger Werke erwarb.
Natale Sapone (1921 - 2001)
Nur wenige Tage vor seinem Tod schenkte Natale Sapone dem Kunstmuseum Thurgau noch eine repräsentative Werkgruppe. Der übrige Nachlass wurde von seiner Familie dem Verein „Werk Natale Sapone“ übergeben, dessen Ziel es ist, die rund 600 Werke zu verkaufen und an Institutionen zu verschenken.
Als erster Nachlass fand jener von Adolf Dietrich Aufnahme in die Sammlung des Museums. Eigentümerin ist die Thurgauische Kunstgesellschaft, die dem Museum bald nach der Aufnahme eines provisorischen Betriebs 1972 die Gemälde als Depositum anvertraute. Von dieser Lösung profitierten das Museum ebenso wie die Kunstgesellschaft. Die Dietrichbestände des Museums wurden durch rund drei Dutzend wichtige Werke aus dem Nachlass ergänzt, wodurch die noch jungen Institution plötzlich eine repräsentative Werkgruppe des wichtigsten Thurgauer Künstlers präsentieren konnte. Die Kunstgesellschaft wiederum war entlastet von der Verantwortung, die wertvollen Gemälde fachgerecht aufzubewahren. Erst 1994 erfolgte die Übernahme des restlichen Nachlasses bestehend aus Skizzenbüchern, Zeichnungen, Fotografien, Negativen und einer Vielzahl von Dokumenten.
Der Dietrich-Nachlass ist dem Museum als Depositum anvertraut, was der Institution verschieden Vorteile bringt. Es erhält praktisch unbeschränkten Zugriff auf ein bedeutendes Werkkonvolut und es gewann in der Thurgauischen Kunstgesellschaft einen wichtigen Partner, der Entscheidendes dazu beitrug, die wissenschaftliche Aufarbeitung zu finanzieren. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit wurden so bis 2007 zwei Bearbeitungsprojekte realisiert: ein erstes für die Inventarisierung der Werke und die Ordnung der Korrespondenz, ein zweites für die Sichtung und Bewertung der Fotografien. Beide Projekte mündeten in Ausstellungen und Publikationen, die den Künstler heute in einem ganz anderen und differenzierteren Licht erscheinen lassen. Diese wissenschaftlichen Projekte lösten je Investitionen und Lohnzahlungen von mehreren hunderttausend Franken aus, die ohne die Übernahme des Nachlasses dem Museum nicht zugute gekommen wären.
Das Modell der partnerschaftlichen Nachlassbearbeitung war so erfolgreich, dass es auch bei der Bearbeitung des Nachlasses von Carl Roesch zur Anwendung gelangte. Auf Anregung des Museums gründete die Familie Roesch eine Stiftung, in die sie nicht nur den künstlerischen Nachlass sondern auch bedeutende finanzielle Mittel einbrachten. Mit der Stiftung als Partnerin und zusätzlichen Beiträgen aus dem Lotteriefonds inventarisierte das Museum in der Folge den Roesch-Nachlass und legte 2006 die Resultate in einer Retrospektive mit umfassender Publikation der Öffentlichkeit vor. Weitere, vertiefende Aktivitäten sind in Vorbereitung.
Etwas anders entwickelte sich die Übernahme des Nachlasses von Hans Krüsi. Als Hans Krüsi im Winter 1995 starb, war das Kunstmuseum Thurgau als Haupterbe im Testament eingesetzt. Mit dem Nachlass von Hans Krüsi erhielt die Museumsammlung von Aussenseiterkunst einen neuen, bedeutenden Schwerpunkt. Mit den Kunstwerken gelangten auch die Bildrechte in den Besitz des Museums, was zusätzliche Verantwortung und Verwaltungsaufwand bedeutet, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten und Einnahmen.
Im Gegensatz zum Dietrich-Nachlass, wo bereits ein mit viel Fachwissen vorsortierter Werkkörper übernommen werden konnte, trafen die Mitarbeiter des Museums bei Krüsi eine völlig ungeordnete, beinahe unüberschaubare Situation an. Trotzdem konnte auch hier nur rund fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers mit der Ausstellung „Auch ein nichts kann etwas werden“ eine erste Übersicht über den Nachlass vorgelegt werden. Seither ist mit Unterstützung des Museums ein viel beachteter Film über Künstler entstanden und im Frühjahr 2008 soll in Zusammenarbeit mit Michael Stauffer eine nächste Krüsi-Präsentation mit drei Hörspielen realisiert werden. Mit Schenkungen an andere Institutionen, etwa an die collection d’art brut in Lausanne, oder über Verkäufe wird ganz gezielt die Verbreitung des Werks von Hans Krüsi vorangetrieben.
Die Arbeit mit den Nachlässen ermöglichten dem Museum die Realisierung substantieller, wissenschaftlicher Projekte, die neben Ausstellung und Publikation auch ein entscheidender Zugewinn von weiteren Kompetenzen ins Museum brachten. Nicht zuletzt dank der Nachlassbearbeitungen verfügt das Kunstmuseum Thurgau seit Mitte der Neunzigerjahre ein modernes, digitales Inventarisierungssystem und über zeitgemäss organisierte Lager- und Archivräume. Trotz dieser Erfolgsgeschichten muss die Übernahme von Nachlässen die Ausnahme bleiben. Ein solches Engagement wird nur dann ins Auge gefasst, wenn es sich um eine herausragende künstlerische Position handelt, die den formulierten Sammlungszielen des Museums ganz entspricht. Und auch dann kann eine Übernahme nur erfolgen, wenn die Lagersituation geklärt und die Finanzierung einer Inventarisierung und Bearbeitung sichergestellt ist. In den meisten Fällen wird deshalb ein Schenkungsangebot von Nachlässen freundlich aber bestimmt abgelehnt.
Einzelschicksale
Johannes Diem
2005 zog der Thurgauer Maler Johannes Diem, geboren 1924 in Zürich, ins Pflegeheim. Sein künstlerischer Nachlass gelangte ins Brockenhaus Frauenfeld, wo das Kunstmuseum Thurgau nach einem Anruf einer aufmerksamen Mitarbeitern noch eine Auswahl wichtiger Werke erwarb.
Natale Sapone (1921 - 2001)
Nur wenige Tage vor seinem Tod schenkte Natale Sapone dem Kunstmuseum Thurgau noch eine repräsentative Werkgruppe. Der übrige Nachlass wurde von seiner Familie dem Verein „Werk Natale Sapone“ übergeben, dessen Ziel es ist, die rund 600 Werke zu verkaufen und an Institutionen zu verschenken.