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Carlo Zinelli: Due "Pinocchi" rossi e orologio nero con figure

Herstellungsjahr: 1968

Technik: Tempera und Bleistift auf Papier

Masse: 70 x 50 cm

Carlo Zinelli malte seine Bilder konzentriert und in einem Zug. Einmal begonnen, liess er sich nicht mehr unterbrechen. Geschah dies dennoch, so führte er das Bild nicht mehr weiter. Das Werk "Due «Pinocchi» rossi e orologio nero con figure" zeigt mehrere Männer mit den typischen Alpenjägerhüten, die sich in Zinellis Werk immer wieder finden. Die zwei herausstechenden orangen Figuren haben lange Nasen und wurden deshalb als Pinocchios bezeichnet. Eine Uhr, ein Stuhl, ein kleiner Wagen sowie ein Kreuz mit einer hängenden Gestalt vervollständigen das Bilderrätsel. Auf der Rückseite des Blattes finden sich weitere Figuren in Schwarz, ebenso ein Wagen mit Pferd, ein Fahrrad und mehrere nicht eindeutig identifizierbare Formen.
Besonders geheimnisvoll ist die Gestalt am unteren Bildrand, deren Körper durch Füsse und Beine eindeutig bestimmt ist. Gegen oben scheint sich dieser aber aufzulösen. Dafür zeigen sich im Bauchbereich und bei den Augen undefinierbare, mit weissen Kreisen gefüllte Ausstülpungen.
Wurde Zinelli hier bei seiner Arbeit unterbrochen oder beliess er bewusst die vergleichsweise grossen Weissflächen? Macht das für die Betrachterinnen und Betrachter überhaupt einen Unterschied? Auf der Vorder- und Rückseite des Blattes sind zudem Worte geschrieben, die oft in nicht lesbare Kritzeleien übergehen und sich so einer konventionellen Lesbarkeit entziehen.
Zinellis Blätter sind voller Andeutungen, die sich aber auch bei intensiver Beschäftigung nicht zu einer klaren Botschaft zusammenfügen. Es lässt sich nicht bestimmen, welche Bedeutung die Kreise in den Körpern oder die vierzackigen Sterne haben. Die Beziehung der einzelnen Figuren zueinander ist rätselhaft, und es bleibt offen, ob es sich um eine Landschaftsdarstellung mit Figuren handelt oder ob Zinelli eine Geschichte erzählen wollte. Selbst bei den schablonenhaft umrissenen Gesichtsprofilen kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, ob damit wirklich Alpenjäger mit ihren charakteristischen Kopfbedeckungen gemeint sind oder ob der Hutschirm nicht auch als Nase aufgefasst werden könnte, was den Gestalten einen ganz anderen Ausdruck und Sinn verleihen würde.
Die Unbestimmtheit von Zinellis Bildsprache öffnet den Weg zu vielfältigen Interpretationsansätzen. Da die Zeichnungen ebenso an die Gestaltungsweisen von Höhlenmalereien wie an die zeichnerischen Strategien von Karikaturisten erinnern, ergeben sich mindestens zwei divergierende Deutungen: Werden die Zeichnungen als späte Verwandte von Höhlenmalereien gelesen, so verwandeln sich die flächig angelegten Figuren in überzeitlich gültige Symbole, die genauso mysteriös bleiben wie die Bilderfindungen der Höhlenmenschen. Werden die Darstellungen als Karikaturen verstanden, so lässt sich darin plötzlich ein Bildwitz, ja vielleicht sogar eine ironische Spiegelung der Welt entdecken, unabhängig davon, ob diese Aussage bei der Entstehung beabsichtigt war. Letztlich rückt es in den Hintergrund, was Zinelli zeigen wollte. Die Neugierde der Betrachterinnen und Betrachter, ausgelöst von der Unergründlichkeit und der gleichzeitigen Attraktivität seiner Bilder, kreist vielmehr um ästhetische Problemstellungen, etwa um die Fragen, wie Bilder überhaupt funktionieren, ob und wie sie Sinn zu erzeugen vermögen und was "ein Bild verstehen" genau bedeutet.

 

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