Ernst Thoma: Landscape V
15. August 2004 – 13. Februar 2005
Videoinstallation über eine Landschaft
An der Wand ein grosses Gemälde einer lieblichen Landschaft, mit Feldern, Wiesen und sanften Hügeln, in deren Mitte man einen Fluss erahnt. Sie verändert sich langsam, zeigt sich bald frühlingshaft in frischen Farben, bald sommerlich warm oder in dunkle Gewitterfarben getaucht. Einmal scheint es, als ziehe ein stürmischer Wind über sie hinweg. Dann wird es dunkel, und hinter dem Hügel geht der Mond auf.Im Verlaufe dieser Stimmungsänderungen verwandelt sich die Landschaft aber auch selbst. Sie verliert plötzlich an Konturen. Felder verschwinden, im Vordergrund entsteht ein See. Hügel verschieben sich und in der Weite des Hintergrunds erscheinen Berge, die den weiten Himmel mehr und mehr verdecken. Schliesslich wird die Sicht unklar. Einzelheiten verblassen und lassen nur noch die Silhouette der Landschaft erkennen. Bis sich die Umrisse schliesslich ganz auflösen und unsere Augen an die Grenze des Erkennbaren stossen.
Nichts, was auf menschliche Eingriffe hindeuten würde, stört die Idylle. Die Bildelemente, an die sich unser zivilisiertes Auge längst gewohnt hat – Gebäude, Autos, Strassen oder Spuren von Flugzeugen am Himmel – sind wegretuschiert worden, was der Szenerie etwas Unwirkliches gibt.
Der Experimentalmusiker und Medienkünstler Ernst Thoma präsentiert im oberen Ausstellungskeller des Kunstmuseums eine opulente, 3 x 12 m grosse Videoprojektion einer Landschaft, die sich über den Zeitraum von gut einer Stunde laufend verändert und von einer Tonspur begleitet ist. Die Änderungen vollziehen sich langsam und unmerklich und geben Gelegenheit, in die Landschaft einzutauchen und sie kontinuierlich neu zu erleben – als sich fortlaufend entwickelndes, imaginäres Naturschauspiel.
„Landscape V“ markiert im Schaffen des Ostschweizer Künstlers den vorläufigen Höhenpunkt einer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Landschaft. Ausgangsmaterial ist ein bestimmter Ausschnitt einer Gegend. Dieser wird fotografisch festgehalten und digital bearbeitet. Durch Umfärben von Bildelementen und durch Verschiebungen in der Tiefenstaffelung, durch perspektivische Verzerrungen und Überlagerungen erstellt der Künstler unzählige Variationen desselben Bildinhalts. Danach werden die einzelnen Bilder zeitverschoben übereinander kopiert und als Video abgespielt. Es entsteht ein Landschaftsgemälde aus ineinander fliessenden Stimmungen. Der Ton, der die Projektion begleitet, spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie das visuelle Bild selbst. Anfangs scheinbar vertraut, wechselt er bald in ungewohnte, stark abstrahierende Klangmalereien.
Der Kern der Arbeit ist im Malerischen zu suchen. Ernst Thoma meint dazu: "Eigentlich ist es Malerei und das Video Mittel zum Zweck...". Formal und inhaltlich an die Tradition der klassischen Tafelmalerei anknüpfend, thematisiert der Künstler mit seinem Werk Fragen der Komposition, der Landschaft, der Geste, des Gefühls und der Wahrnehmung und bewegt sich damit in den Bereichen, die traditionell der Malerei zugesprochen werden. Er erweitert jedoch die Möglichkeiten der Malerei und fügt ihr den Aspekt der Zeitlichkeit hinzu. „Landscape V“ präsentiert sich als ein Gemälde, das in stetiger Veränderung begriffen und um drei weitere Dimensionen bereichert worden ist: Indem es in den Raum hinein wirkt, unsere Sinne auch auditiv gefangen nimmt und einen zeitlichen Ablauf mit einschliesst.
Trotz aller Veränderungen und digitaler Eingriffe bleibt die Landschaft in "Landscape V" aber archetypisch. Wasser, Wiesen, Himmel, Wälder, Hügel und Berge sind Elemente, die wir gemeinhin mit dem Begriff der Landschaft verbinden. Landschaftsbilder sind uns vertraut und vermögen bestimmte Stimmungen in uns auszulösen. Einmal ist die Landschaft gewohnt realistisch gehalten, einmal scheint sie seltsam fern, als sei sie verblichen oder in Auflösung begriffen und zeige die Unschärfe einer Wirklichkeit, die nur noch Erinnerung ist, an Erlebtes vielleicht, wie an das seltsam wichtige Detail eines Traums oder die unerreichbare Wichtigkeit eines tief verwurzelten Kindheitsbildes. Landscape V baut auf dieser Vertrautheit auf, entführt die Betrachtenden aber zu ungewohnten Bildern. Der Künstler präsentiert uns 'die Landschaft' als sinnlich fliessende Bilderwelt, die zwischen Realitätsnähe und Abstraktion auf uns wirkt und zu eine „fast meditative“ Anschauung führt.
Den Landscape Bildern sind aber auch lustvolle Momente eigen, etwa das Spiel mit Realität und Fiktion, die das vermeintlich so Bekannte plötzlich seltsam exotisch anmuten lässt. Am Ende ist nicht mehr unterscheidbar, ob die Landschaft real oder ein Produkt der Imagination ist. Es setzt ein Wahrnehmungsprozess ein, der aus einem steten Hin und Her zwischen Bild, Ton, Raum, Sprache, Körper und Technik hervorgeht – eine perfekte Inszenierung.
Dorothee Messmer
Die Publikation zur Ausstellung ist im Shop erhältlich.