Direkt zum Inhalt springen
  • Drucken
  • Sitemap
  • Schriftgrösse

Malerei? Malerei!

28. Oktober 2001 – 13. März 2002

007
Mark Staff Brandl, What the...?!, Wandinstallation Kunstmuseum Thurgau, 2001, Mischtechnik auf Papier
064
Paul Ritter, Grosser Vorhang, oder Wat zit her achter?, 2000, Acryllack auf Seidenacryl, ca. 460 x 440 cm
107
Lisa Schiess, Ruhekissen 1993/2000, mit Farbstift bearbeitete Nitrodrucke auf Satin, Schaumgummi und Keilrahmen
071
Max Bottini, Küche, 1999/2000, Oel auf Leinwand auf Karton, je 30 x 40 cm (52-teilig)
025
Gilgi Guggenheim
Was Malerei ist und kann, lässt sich mit wenigen Worten kaum mehr gültig beschreiben. In den letzten Jahren haben sich die verbindlichen ästhetischen Wertesysteme aufgelöst. Auch die Ausstellung Malerei? Malerei! bringt keine verbindliche Ordnung in diesen Zustand der babylonischen Sprachverwirrung. Sie legt lediglich eine Bestandesaufnahme einer aktuellen Situation vor, wobei die Beteiligten sich der Subjektivität der Auswahl und der Präsentation wohl bewusst sind. Anhand von siebzehn künstlerischen Positionen aus der Region wird aufgefächert, was an unterschiedlichen Möglichkeiten des malerischen Ausdrucks heute zu finden ist. Die Vorstellung der Region wird dabei ebenso weit gefasst wie der Begriff der Malerei: Gezeigt werden Künstlerinnen und Künstler aus einem geografischen Raum, der sich von Trogen bis Konstanz, von Dornbirn bis Winterthur erstreckt. Und der Begriff der Malerei erschliesst sich von Fall zu Fall aus den ausgewählten Werken selbst: Mal ist das Malerische durch eine gestalterische Tradition definiert, etwa der Geometrie als ordnungsgebende Struktur oder der Wandmalerei, mal ist es die Verwendung von Keilrahmen als Bildträger, die von Malerei sprechen lässt. Oder es ist der Einsatz von Ölfarbe und Pinsel auf Leinwand, der jeden Zweifel ausschliessen lässt, dass es sich um Malerei handelt.

Anhand von kleineren Werkgruppen der einzelnen Künstlerinnen und Künstler wird in „Malerei? Malerei!" die Frage gestellt, wo denn heute die Ränder der Malerei, wo allenfalls ihr Kern zu lokalisieren sei. Dabei spannt die Ausstellung ein Feld unterschiedlichster malerischer Ausdrucksformen und Themen der Malerei auf, in der sich die Betrachterin, der Betrachter selbstverantwortlich bewegen kann, um sich der eigenen Orientierungskriterien zu vergegenwärtigen – oder aber um sie irritieren zu lassen. Die Vielfalt und Komplexität der gezeigten Positionen führt dabei keineswegs zu Beliebigkeit. Zwischen den einzelnen Werkgruppen gibt es zahlreiche, offensichtliche Beziehungen. So fällt auf, dass kaum mehr nach der Natur, dafür aber umso mehr nach vorgefertigten Bildern gemalt wird. Referenzgrösse der Künstlerinnen und Künstler ist nicht mehr primär die sichtbare Wirklichkeit, sondern ihre Erscheinung in den Bilderwelten der Fotografie und der Massenmedien. So greifen denn Künstlerinnen und Künstler bei der Suche nach Motiven auffällig oft auf eigene oder fremde Fotografien zurück. Willi Oertig nutzt selbst geschossene Fotografien wie eine Skizze als Vorlage für seine Gemälde, wobei er die Motive durch die malerische Umsetzung entscheidend atmosphärisch auflädt und verfremdet. Selbst der banalste Gegenstand aus dem Atelier wird so zum mit Geheimnis umflorten Objekt. Ingmar Alge nutzt ebenfalls eigene Fotografien als Vorlagen. Zusätzlich zur atmosphärischen Aufladung baut er aber zusätzlich gezielt ein Spannungsfeld zwischen einer reinen Abbildlichkeit und dem freien malerischen Ausdruck auf. Indem er fotografische Details, etwa Fenster, übermalt, schafft er freie Flächen für das malerische Spiel des Pinsels auf der Fläche. Vera Ida Müller wiederum greift auf vorhandenes Bildmaterial aus den Massenmedien zurück. Ihr Malduktus verwischt die von ihr gewählten Motive, nimmt ihnen die fotografische Deutlichkeit und führt so die Alltagsbilder einer ganz persönlichen Interpretation und einer Verdichtung auf das Wesentliche zu. Noch einen Schritt weiter geht Monika Rechsteiner bei der gewollten Verunklärung des Motivs. Sie giesst Landschaftsfotografien in eine zentimeterdicke Wachsschicht ein, wodurch sich jede Wiedererkennbarkeit auflöst. Die Vorlage wird gleichsam blind. Dafür verbindet sich zarte Spiel des Lichts auf der milchigen Oberfläche mit den verdeckten Schatten der darunter liegenden Landschaft zu feinen, nicht definitiv festzuschreibenden Seherlebnissen an der Grenze zur Sichtbarkeit.

Viele Malerinnen und Maler beschäftigen sich mit Landschaftsmalerei. In verschiedener Form findet auch heute noch eine intensive Auseinandersetzung mit zwei Motiven mit langer Traditon statt. Seit über zweihundert Jahren wird in Berg- oder Meerbildern die Spannung zwischen Kultur und Natur immer wieder modellhaft formuliert. Auch Josef Felix Müllers Bildwelten beziehen sich auf diesen Diskurs des Erhabenen. Obwohl er banale Flugaufnahmen aus Zeitschriften als Vorlagen nutzt, bleibt es sein Ziel, auf das unerschliessbare Geheimnis der Natur, die unbegreifliche Grösse des Berges zu verweisen. Nicht um das Unbegreifliche abzubilden, eher um die Unbegreifbarkeit erahnbar zu machen. Gilgi Guggenheim entnimmt die Vorlagen für ihre sich effektvoll überschlagenden Wogen aus Katastrophenfilmen made in Hollywood. Durch einen differenzierten malerischen Prozess gelingt es ihr, diese standardisierten Bilder des Schreckens zu reprivatisieren. Die ehemals ganz auf den schnellen Effekt hin angelegten Filmbilder verwandeln sich in ihrer Malerei zu einem Ausgangspunkt für einen epischen Wahrnehmungsprozess mit medienkritischen Untertönen. Richard Tisserands Wellen schlagen weniger hoch. In seinen Ozeanbildern vereint sich die romantische Sehnsucht nach der unendlichen Grösse mit dem touristischen Blick auf die Naturgewalten. In Hinterglastechnik gemalt werden seine Meerbilder zu einer ironisch gebrochenen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der bildnerischen Tätigkeit überhaupt.

Neben der Auseinandersetzung mit traditionellen Themen der Kunstgeschichte beschäftigen sich Künstlerinnen und Künstler auch mit den Niederungen des Alltags. Max Bottini etwa hat in 52 Einzelbildern seine Küche akkurat bildnerisch aufgezeichnet. Flott hingemalt fächert sich der ganze Raum auf der Wand auf. Auf den zweiten Blick erweist sich diese banale Bestandesaufnahme jedoch als eine hintergründige Befragung von Raum und Zeit. Das Raumganze erweist sich als Konstruktion von Einzelteilen, die sich offensichtlich weder in zeitlicher noch in räumlicher Hinsicht bruchlos zusammenfügt. André Büchi wiederum greift auf der Suche nach geeigneten Motiven auf die Bildwelten von Werbung und Produktgestaltung zurück. WC-Ente und la vache qui rit, Ausschnitte aus Gebrauchsanweisungen oder Strassenkarten finden sich auf seinen Bildern zu erstaunlichen Puzzles zusammen. Oszillierend zwischen Alltag und Hochkunst lenken die Werke von Büchi und Bottini unsere Aufmerksamkeit gleichermassen auf Vertrautes. Sie reizen unseren alltagsstumpfe Blick und öffnen uns die Augen für die Schönheiten des Banalen.

Parallel zu den wild wuchernden Motivwelten der gegenständlichen Malerei erweisen sich geometrisch-konstruktive Strategien als erstaunlich innovationsfähig. Geometrie als Kompositionsstrategie und Farbfelder als Ausdrucksträger werden in unterschiedlichsten Variationen immer wieder eingesetzt und weiterentwickelt. Natale Sapone gehört als Nestor der Ausstellung zur letzten Generation einer traditionellen konstruktiven Malerei. Alle seine Bildkompositionen beruhen auf dem Fünfeck und streben, mal komplexer, mal einfacher, immer nach einer ausgewogenen Bildharmonie. Auch Mirjam Prantls Bildwelten beziehen sich auf die Traditionen geometrischer Malerei des 20. Jahrhunderts. Allerdings öffnet die Künstlerin mit ihren Farbbändern und Linien die Malfläche zu Bildräumen, in denen die vermeintliche Sicherheit des Sehens eine ständige Irritation erfährt. Radikal anders nutzt Stefan Wartenweile die Geometrie. Obwohl auch er sich unter anderem auf Cezanne und Mondrian bezieht, sind seine geometrischen Konstruktionen eher Zersplitterungen denn harmonische Kompositionen. "Alles muss haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden" zitiert er Antonin Artaud und spielt damit auf die mit Hilfe der Geometrie zu erreichende Bildkomplexität an. Johannes Lacher wiederum bedient sich der Geometrie nur, um der Beliebigkeit der Formgebung zu entgehen. Er entlehnt aus Grundrissen antiker Gebäuden einfachste geometrische Konstellationen, die seinen scheinbar nachlässig hingespachtelten Farbauftrag optischen Halt geben. Zwischen Geometrie und Malduktus baut sich dabei ein Spannungsfeld auf, in dem sich die Grundbedingungen des Malens spiegeln. In Theres Weys aktuellen Bildern sind die früher verwendeten geometrischen Bildkompositionen nur noch erahnbar. Das Konstruktive hat sich aufgelöst in ein amorphes Formenspiel von Weiss und Gelb, in dem sich jede Sicherheit des Sehens auflöst. Malerei erweist sich hier als ein Instrument der Irritation und der Sensibilisierung.

Die Ausdrucksmittel der Malerei sind nicht eindeutig zu definieren. Was noch als Malerei zu betrachten ist, bleibt in vielen Fällen eine Ermessensfrage. Wenn Lisa Schiess fotokopierte Zeitungsbilder im Nitrodruckverfahren auf kissenartige Bildkörper druckt, so könnte ebenso von Objektkunst die Rede sein. Die Verwendung des Keilrahmens ist lediglich noch ein Verweis auf eine Tradition der Malerei, die gerade im Werk von Lisa Schiess eine ständige Überprüfung und Ausweitung erfährt. Oder wenn Paul Ritter Alice aus dem Wunderland auf einen raumteilenden Vorhang aufsprayt, handelt es sich eher um eine Installation denn um ein klassisches Tafelbild. Und auch Mark Staff Brandls Wandmalerei sprengt die jede Grenze eines konventionellen Begriffs der Malerei. Hier an den Rändern der Malerei werden im wahrsten Sinne des Wortes neue Räume erschlossen, neue Räume des Ausdrucks für Künstlerinnen und Künstler, neue Räume der Erfahrung und der Wahrnehmung aber auch für das Publikum.

Martina Koch, Dorothee Messmer, Markus Landert