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Till Velten - La condition humaine

28. Oktober 2018 – 27. Oktober 2019

Till Velten, "Petra", Filmstill aus der Installation „Till Velten – La condition humaine“ im Kunstmuseum Thurgau, 2018
Ausstellungsansicht "Till Velten - La condition humaine", Foto: Stefan Rohner
Ausstellungsansicht "Till Velten - La condition humaine", 2018-2019, Foto: Stefan Rohner
Ausstellungsansicht "Till Velten - La condition humaine", 2018-2019, Foto: Stefan Rohner

Was ist der Mensch? Und: Welches Bild machen wir von ihm? Um diese Fragen kreist die Installation „La condition humaine“ von Till Velten, die im Kunstmuseum Thurgau ab dem 28. Oktober 2018 gezeigt wird. Der Basler Konzeptkünstler schafft eine Serie von Porträts von aussergewöhnlichen Menschen und stellt diese einer Auswahl von Werken des Autodidakten Erich Bödeker gegenüber. Mit dieser Gegenüberstellung schafft er Erfahrungsfelder, auf denen sich das Publikum grundsätzlichen Fragen über die menschliche Existenz stellen muss.

Der Ausgangspunkt für das Projekt „Till Velten – La condition humaine“ ist eine kleine Skulptur des Aussenseiterkünstlers Erich Bödeker (1904–1971) in der Sammlung des Kunstmuseums Thurgau. Die etwas grobschlächtige Betonplastik zeigt einen Jungen und ein Mädchen mit roten Haaren. Zwischen den beiden gibt es eine kreisrunde Aussparung im grün bemalten Betonsockel, wo ein Blumentopf hingestellt werden kann. Auf dem Sockel eingeritzt stehen zwei Namen: „Till“ und „Tanja“. Till, das ist der Künstler Till Velten, der als kleiner Junge zusammen mit seiner Familie Bödeker mehrfach besucht hatte. Der Aussenseiterkünstler, geboren 1904, hatte bis 1959 als Bergmann gearbeitet. Nach seiner krankheitsbedingten Frühpensionierung schuf er eine grosse Anzahl von Figuren aus Beton, die seinen Garten in einen unkonventionellen Skulpturenpark verwandelten. Ab den 1970er-Jahren war Bödeker in der Kulturszene des Ruhrgebiets ein Geheimtipp. Der Figurenpark des ehemaligen Bergmanns wurde zum Tummelplatz von Kulturinteressierten, die im Werk des Autodidakten eine unverbildete und dadurch authentische Weltwahrnehmung erkannten. Till Veltens Vater Heinz, selbst Künstler, Kulturaktivist und Kunstlehrer, schrieb über den Aussenseiter mehrere Zeitungsartikel und gab bei ihm sein eigenes Porträt und das seiner Kinder in Auftrag. Jahrzehnte später begegnet Till Velten diesem Porträt im Museum wieder und stellt sich da die Frage, was das denn ist, ein Porträt.
Aus der Auseinandersetzung mit dieser Frage, die durchaus auch in eine Selbstbefragung münden kann, entwickelte Till Velten das Projekt von „la condition humaine“. Eine seiner künstlerischen Strategien besteht seit Längerem darin, Menschen zu interviewen, ihnen Fragen zu bestimmten Themen zu stellen, mit denen er sich selbst gerade beschäftigt. Jedes dieser Gespräche kann immer auch als Porträt der beiden am Gespräch beteiligten Personen verstanden werden. Für „La condition humaine“ geht er einen Schritt weiter. Velten erstellt Videoporträts von ausgewählten Personen. Es sind besondere Menschen, die der Künstler für seine Arbeit für eine Zusammenarbeit anfragt. Nicht Stars oder Intellektuelle, sondern Menschen, die ihm aufgrund besonderer Intensitäten aufgefallen sind, etwa eine Blinde, die sich durch den Stadtverkehr Wiens bewegt, eine Therapeutin, deren Gestik ihn interessiert, einen Mitarbeiter in der Gärtnerei der Kartause Ittingen, der mit seinen geschickten Händen die Wurzeln von Pflanzen auf ganz eigenartige Weise zu bearbeiten vermag.

In der Ausstellung „Till Velten – La condition humaine“ inszeniert der Künstler die Videoporträts als Gegenüber von Skulpturen von Erich Bödeker. Dessen Menschen und Tiere sind gleichsam das Videopublikum von Till Velten. Sie sitzen im Halbrund um die Bildschirme herum und starren auf die bewegten Bilder des Videokünstlers. Bödekers Porträtvorstellung von Menschen trifft so unmittelbar auf Veltens Bilder von Menschen, die mit ganz anderen künstlerischen Ausdrucksmitteln gestaltet wurden. Die Vorgehensweise der beiden Künstler könnte unterschiedlicher nicht sein: Bödeker bannt typische Gesten der von ihm verehrten und porträtierten Menschen in klotzige Körper, schafft Statuen. Velten dagegen umspielt mit der Kamera die Flüchtigkeit der Gesten der porträtierten Personen mehr, als dass er sie festhält. Bödeker schafft Monumente, Velten flüchtige Erscheinungen. Beide aber lassen die Vorstellung von Personen entstehen, denen wir als Betrachterin oder Betrachter innert Sekundenbruchteilen bestimmte Eigenschaften zuschreiben: Dieser Mensch ist fröhlich, zugänglich, sympathisch oder aber mürrisch, abweisend, unnahbar. Mit diesem Menschen möchte ich mich unterhalten, oder ich gehe ihm besser aus dem Weg.

Im Ausstellungsraum treffen die Porträts von Till Velten und Erich Bödeker unvermittelt zusammen. Die Auseinandersetzung mit den so unterschiedlichen Ansätzen der beiden Künstler öffnet ein weites Feld der Interpretation und für das Publikum stellt sich eine Reihe von Fragen: Wie kann ein Mensch dargestellt werden? Welches Bild von einem Menschen ist diesem angemessen? Inwieweit entspricht ein Bild eines Menschen diesem selbst? Kann überhaupt ein adäquates Bild eines Menschen gemacht werden? Kann die Natur eines Menschen, sein Menschsein, das, was einen Menschen zum Menschen macht, „la condition humaine“ eben, überhaupt im Bild festgehalten werden? Und wenn ja, wie sehen solche Bilder von Menschen aus?

Auf arttv.ch findet sich ein interessanter Kurzfilm über die Ausstellung. Zur Ausstellung ist im Februar 2019 eine Publikation erschienen. Diese ist hier erhältlich.

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